CD „IN EVENING LIGHT“ – Pēteris Vasks: Klavierkonzert Nr. 2 – SEBASTIAN BOHREN, Münchner Kammerorchester, Weltersteinspielung; AVIE
Das Violinkonzert „In Evening Light“,23 Jahre nach dem für Gidon Kremer geschriebenen Erstling „Distant Light“ entstanden, markiert das jüngere Schaffen des lettischen Komponisten Pēteris Vasks für Violine und Orchester. Gemeinsam mit „Lonely Angel“, einer Hommage an Vasks’ verstorbene Mutter, umrahmt es auf diesem Album Franz Schuberts „Rondeau brillant“ in b-Moll, Op. 70, D. 895, arrangiert für Violine und Streicher.
„Fernes Licht“ und „Abendlicht“, zwei völlig verschiedene und dennoch verwandte Ausdruckswelten, die eine nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, die andere im Herbst eines schöpferischen Lebensweges, profilieren den lettischen Komponisten als einen im Wesentlichen tonal schreibenden, atmosphärischen Klangmaler. Selbst ausgebildeter Geiger und Kontrabassist, bildet Vasks Werk einen Archipel an Emotionen zwischen Erinnerungsschmerz an das „Völkergefängnis Sowjetunion“, persönlichen Freuden und Leiden, die Beschwörung der Wunder der Liebe und der Natur.
Von welch großem Respekt und welch in feinste melancholische Schleier getauchten Wertschätzung für die Schöpfung ist auch sein dreisätziges Violinkonzert „Im Abendlicht“ getragen. Ein scharfer Beobachter ist dieser Pēteris Vasks, ein Komponist, der hineinhört und die Dinge erstehen, der volkstümliche Passagen einige unbeschwerte Momente heraufbeschwören, in die Lebenserzählung wehmütige Trauer einfließen lässt. Vergangene Konflikte, ihre Schatten, einander konterkartierende Gefühle und Dunkles blubbern an die Oberfläche. Ein felsenfester Glaube fern jeglicher analytischen Kälte steht auch jeglicher sentimentalen Verklärung entgegen.
Sebastian Bohren ist der Solist dieses Konzerts, das im Innersten schmerzende Beauté, Spiritualität und Virtuosität in einem dämmerigen Diminuendo zu Höherem eint. Das Herz des Konzerts bildet das Andante cantabile. Es handelt sich um den 17-minütigen Mittelteil, der dem Soloinstrument nicht nur in der Kadenz den dramatischen narrativen Faden überantwortet, während das Orchester in stets komplexeren Harmonien bis zu stürmischen Dissonanzen dem Unbewussten des Helden Plastizität und Form zu geben versucht. Im mit con amore eindeutig betitelten dritten Satz umschmeichelt der Geigensang die immer lichtvoller atmenden Kantilenen. In zartem Pastell haucht das Konzert aus.
Die Mediation für Streichorchester und Violine „Einsamer Engel“ stammt aus dem Jahr 2006. Sie ist ein Kind des fünften Satzes des vierten Streichquartetts (1999). Vasks: „Das Stück ist die Vision eines Engels, der einsam über die Menschen hinwegfliegt, voller Trauer darüber, welche Aggressivität und Grausamkeit zwischen ihnen ist. Wie ein Schutzengel berührt er mit seinen Flügeln die Erde und bringt so Trost und Heilung.“ Hier ist es zuallererst die Violine, die zu gedämpften Klängen der Streicher in von Ruhe bestimmten lang gezogenen melodischen Strömen fantasiert. Das Werk ist der mit 90 Jahren verstorbenen Mutter des Komponisten gewidmet.
Sebastian Bohren, der seiner Geige unerhörte Klangwirkungen abgewinnen kann, ist ein Meister der Zwischentöne. Mal klingt seine G. B. Guadagnini aus dem Jahr 1761, mit differenziertem Bogenstrich und bewusst sparsam eingesetztem Vibrato gespielt, wie eine Flöte, mal wie eine mystische Stimme, die flüstert, schmeichelt und umgarnt. Zu bewundern sind Phrasierung, weiträumige Legatobögen, bei Schubert und der Meditation zudem eine ergreifende, beinahe somnambule Verinnerlichung.
Begleitet wird Bohren vom Münchner Kammerorchester unter der kongenialen musikalischen Leitung des schwedischen Dirigenten Sergej Bolkhovets, einst selbst ein gefragter Violinist, der als Orchestermusiker u.a. bei den Berliner Philharmonikern, dem Deutschen Sinfonieorchester und dem Schwedischen Radio-Symphonieorchester musizierte.
Fazit: Wahrhaftig und mit lächelndem Ernst. Ein Album für die einsame Insel.
Dr. Ingobert Waltenberger