CD „IM ABENDROT“ MATTHIAS GOERNE singt Lieder von WAGNER, PFITZNER und RICHARD STRAUSS
Veröffentlichung: 16.4.2021
Nach dem Beethoven gewidmeten Liederalbum mit dem polnischen Jungstar Jan Lisiecki als Begleiter, das auf das frühe 19. Jahrhundert verweist, legt Matthias Goerne, unangefochtener Liedkaiser unter den deutschen Baritonen, mit dem der Hoch- bzw. Spätromantik verpflichteten Album „Im Abendrot“ nach.
Diesmal ist es der koreanische Pianist Seong-Jin Cho, der dem üppigst strömenden Stimmfluss des Sängers eher verhaltene, behutsam zarte Klänge am Klavier beisteuert. Raffinerter Pointillismus und spätromantische Wucht. Vielleicht gerade deswegen ist das Atout der Aufnahme, die technisch eindeutig die Stimme priorisiert, das Verschmelzen von Stimme und Klavier zu einer höheren Einheit. Der Pianist ist hier nicht, wie es so inflationär heißt, Mitgestalter, sondern ein dem Sänger verpflichteter Diener. Das hat was.
Matthias Goerne hat sich als Einstand der CD Richard Wagners Wesendonck-Lieder ausgesucht. Er ist nicht der erste Bariton, der sich an Wagners der Gattung Lied anvertrauten Studie zu „Tristan und Isolde“ versucht. 2007 hat Bariton Konrad Jarnot, am Klavier assistiert von Alexander Schmalcz, beim Label Oehms eine Aufnahme dieser berühmten Lieder, die überwiegend von dramatischen Sopranen bzw. Mezzos gesungen werden, herausgebracht. Beim selben Label hat auch Roman Trekel mit Oliver Pohl am Flügel diese Lieder‚ geschrieben für eine Frauenstimme‘, 2014 erneut für einen männlichen Interpreten arrogiert. Goerne selbst hat sich im Konzert schon wesentlich früher an die von Hans-Werner Henze 1976 erstellte Fassung der Wesendonck-Lieder für Altstimme und Kammerorchester gewagt.
Mit Hörgewohnheiten ist das so eine Sache, die auch mich nicht unberührt lässt. Aber wenn es einem Belcanto-Mezzo vom Zuschnitt einer Joyce DiDonato erlaubt und natürlich vergönnt sein soll, Schuberts „Winterreise“ zu interpretieren, so darf sich der Wagner-geeichte Matthias Goerne grundsätzlich auch den „Wesendonck-Liedern“ nähern. Zumal Goernes Bassbariton mittlerweile so edel-süffig bis samtig-flauschig daher rauscht und auch in der Tiefe in den letzten Jahren enorm an Substanz hat zulegen können. Die sinnlich-düstere Stimmung und dekadente Atmosphäre mit all den Paradoxien („taghelle Nächte, Glück im Schmerz, Verzückung im Tod)“ trifft er punktgenau. Dennoch gehen im Vergleich zu Aufnahmen mit (Mezzo)Sopran die letzte Dringlichkeit, das sich Hineinstürzen in eine Männern wohl verborgene Zwischenwelt ab. Es ist so ähnlich, als ob ein Bassbariton den „Liebestod“ singen wollte. Das kann transponiert rein technisch natürlich klappen, ideal ist es keinesfalls.
An Wagner schließen sich acht Gesänge von Hans Pfitzner an („Sehnsucht“, „Wasserfahrt“, „Es glänzt so schön die sinkende Sonne“, „Ist der Himmel darum im Lenz so blau?“, „An die Mark“, „Abendrot“, „Nachts“, „Stimme der Sehnsucht“). „Pfitzners Werke sind ein letzter tiefer Ausdruck der Romantik. In seinen Liedern lässt er die Welt von Schuberts ‚Winterreise‘ wiederauferstehen: die Einsamkeit du das Herumirren, die Unmöglichkeit der Liebe, endloses Leid und weite Landschaften. Dieser Welt fügt er seine eigene Farbe hinzu und taucht sie in die schwarze Tinte des 20. Jahrhunderts.“ Christophe Christie. Schon aufgrund der rauchigen Dunkelheit von Goernes Bassbariton passen diese Lieder wesentlich besser zu ihm als die luftig-silbrig funkelnden Vokalpreziosen von Richard Strauss. Der Pfitzner-Block bildet denn auch den glutrot glimmenden Höhepunkt der CD. Diese Lieder kommen zur goldrechten Zeit in der stimmlichen Entwicklung Goernes. Da sind auf einmal eine atemberaubende Intensität („An die Mark“), die existenzielle Quintessenz der Gesänge und bei aller üppigen Klanggebung auch der dichte musikalische Kern körperlich spürbar.
Den Abschluss des Albums bilden Lieder von Richard Strauss („Traum durch die Dämmerung“, „Morgen!“, „Ruhe, meine Seele!“, „Freundliche Vision“) mit dem Lied ,Im Abendrot‘ aus den „Vier letzten Liedern“ mit Anklängen an „Tod und Verklärung“ und das Brahms-Requiem als elegischem Ausklang.
Dr. Ingobert Waltenberger