CD „IL VERISMO D’ORO“ – SAIOA HERNÁNDEZ singt Arien von Mascagni, Cilea, Alfano, Catalani, Giordano, Puccini und Zandonai; Euroarts
Debütalbum mit vielen Raritäten
Die spanische Sopranistin Hernández, die gerade Turandot an der Bayerischen Staatsoper singt, verfügt zweifellos über einen technisch makellos geführten, dramatischen Sopran. Die Stärken ihres Spintos liegen in einer unglaublich sicheren, metallischen Höhe und satterdigen Tiefen. Allerdings könnte ihre ansprechend mezzodunkle, reich timbrierte Mittellage, so farbig und klangvoll sie ist, differenzierter und dynamisch abgestufter eingesetzt werden. Etwa durch gezieltere Pianissimi, wie das ihre Lehrerinnen Caballé oder Scotto so artistisch raffiniert vorgeführt haben. Auch über so manches Portamento könnte diskutiert werden.
Dennoch ist die Performance der insgesamt zwölf Arien und Szenen von so wenig bekannten Opern wie “Isabeau“, „Lodoletta“, „Risurrezione“, „La Leggenda di Sakùntala“, „Marcella“ oder „Iris“ vokal beeindruckend und von dringlicher erzählerischer Kraft. Die Schicksale der meisten nach den Textbüchern zartbesaiteten, jung-unglücklichen Frauen werden von den Veristen selten lyrisch sensitiv, sondern mit brennstabglühender vokaler Brachialgewalt vermittelt. Unterstützt wird Saioa Hernández auf dem Album von der Sopranistin Mercedes Arcuri und umfänglicher vom Tenor Francesco Pio Galasso, der in den Szenen Giorgetta – Luigi aus Puccinis Einakter „Il Tabarro“ und Francesca– Biancofiore aus Riccardi Zandonais Oper „Francesca da Rimini“ mitwirkt.
Das Interesse des Albums mit Kostproben aus der Epoche des italienischen Verismo liegt in der Wahl wenig bekannter Arien und Szenen. Sie stellen teils verkomponierte dramatische Legenden bzw. von um die Jahrhundertwende so beliebte exotische Tragödien dar bzw. handeln von fehlgeleiteten Leidenschaften, herzzerreißenden Liebessehnsüchten und fatalen Trennungen.
Gleich die erste Arie des Albums ‚Questa mio bianco manto‘ aus Mascagnis 1911 in Buenos Aires uraufgeführter Oper „Isabeau“ ist eine echte Entdeckung an psychologischer Wahrhaftigkeit und der Schilderung äußerster Emotionen einer stolzen jungen Frau. In dem Stück, das Vorbild für Puccinis „Turandot“ war, geht es um einen König, der seine Tochter, die keusche Prinzessin Isabeau, verheiraten will und dazu Ritter einlädt, an einem „Turnier der Liebe“ teilzunehmen. Sie will aber keinen davon, weil ihre Wahl ausschließlich dem gelten soll, den sie wirklich liebt. Natürlich geht das schief, weil der König die ungehorsame Tochter als Strafe nackt durch die Stadt reiten lässt. Damit das nicht zu erniedrigend für die arme Isabeau wird, ergeht ein Erlass, dass derjenige, der hinsieht, geblendet werden soll. Das ist Folco, ein Fremder, der nachdem sich Isabeau in ihn verliebt, von der Menge gelyncht wird. Sie folgt ihm ins Jenseits durch Selbstmord.
Auch die zweite Arie stammt von Mascagni aus dessen Oper „Lodoletta“ und zeigt den Komponisten von „Cavalleria rusticana“ auf der Höhe seiner Erfindungskraft. Die Handlung ist ziemlich hanebüchen. Die niederländische Waise Lodoletta und der Künstler Flammen lieben sich. Als sie sich weigert, mit ihm zusammenzuziehen, geht er nach Paris. Ihren Entschluss alsbald bereuend, folgt sie ihm und kommt in Lumpen und völlig erschöpft vor seinem neuen Pariser Domizil an, wo gerade eine glamouröse Party zum Jahreswechsel stattfindet. In ihrer letzten Arie ‚Ah il suo nome..Flammen, perdonami!‘ erkennt sie, dass ihre Bemühung vergeblich war und stirbt im Schnee, nicht ohne vorher delirierend den abwesenden Lover um Vergebung gebeten zu haben.
Bleiben wir bei Mascagni, dessen Arie ‚Ancora il triste sogno pauroso‘ aus „Iris“ (Libretto Luigi Illica) den Abschluss des Albums bildet. Die Oper spielt in Japan, es dreht sich um ein armes, nur ihre Puppe und den Garten liebendes Mädchen. Der Bordellbetreiber Kyoto lässt Iris aber entführen, damit sich der reiche Osaka mit ihr vergnügen kann. Ihr blinder Vater kommt und verflucht sie, Iris springt aus dem Fenster und halluziniert in der Gosse die Stimmen von Osaka, Kyoto und ihres Vaters. In der knapp zehnminütigen Schlussszene des dritten Akts mit apotheotischem Sonnen- und Blumenchor besingt sie die tröstliche Sonne, die sich als einzige noch nie von ihr abgewendet hat. Sie stirbt. Saioa Hernández gelingt mit ihrem großkalibrigen, hier nuanciert eingesetzten Sopran eine bewegender Opernmoment. Eigentlich ist die Situation, in der das Mädchen stirbt, nicht auszuhalten und an Grausamkeit kaum zu überbieten, wäre da nicht die rauschhafte Verklärung durch die Musik. Mascagni at his best.
Sehr eigenartig hört sich ‚O nuvola, nuvola leggera‘ (Akt II) aus Franco Alfanos (Sie wissen schon, der mit dem Turandot-Schluss) schwülstiger Oper „La Leggenda di Sakùntala“ nach dem Sanskritdrama von Kalidasa an. Über einem wüst exotischen Orchestergebimmel erhebt sich eine durchwegs hochdramatische Gesangslinie. Unter enormen Dauerdruck ist bei dieser naturbeschwörenden Sehnsuchtsmusik Durchschlagsvermögen gefragt. Die aus einer asketischen Einsiedelei stammende Sakùntala wird von einem König geschwängert, dann nach einem Fluch verleugnet, dann wieder erkannt, wobei ein Ring, eine nachrichtenübertragende Wolke und im dritten Akt die Stimme der bei der Geburt Verstorbenen vom Himmel herab handlungstreibend wirken. Auch sonst ist die Aufführungsgeschichte abenteuerlich: Die Partitur fiel angeblich dem Krieg zum Opfer, wurde von Alfano 1945 rekonstruiert und diese Version 1952 in Rom aus der Taufe gehoben. 2006 wurden die ursprünglichen Noten wieder gefunden.
Aus Alfanos Oper „Risurrezione“ hören wir die Arie der schwangeren Caterina= Katiusha ‚Giunge il treno‘, die – verstoßen – auf den Prinzen Dimitri am Bahnhof wartet. Der kommt, allerdings in Gesellschaft einer Prostituierten. Caterina bleibt verborgen, sie sieht sich um ihre letzte Hoffnung betrogen.
Milder, ruhiger und von der melodischen Invention verinnerlichter geht es in ‚Ed ecco il suo ritratto‘ aus dem ersten Akt von Umberto Giordanos Oper „Fedora“ zu. Ein wenig besser bekannt sein dürfte ‚Poveri fiori‘ aus Francesco Cileas Oper „Adriana Levouvreur“ sein, das Saioa Hernandez besonders gut liegt. Vokal eine der besten Nummern des Albums. Von diesem Komponisten singt Hernandez noch das Gebet der um das Leben ihres Sohnes Federico bangenden Rosa Mamai ‚Esser madre é un inferno!‘ aus dem vierten Akt von „L’Arlesiana“.
Spannend ist noch das bereits erwähnte Duett ‚O Biancofiore‘ aus Riccardo Zandonais „Francesca da Rimini“, einer Oper die an der Deutschen Oper Berlin am 14.3.2021 eine glanzvolle Premiere erlebte. Auch Marcellas kurze Szene ‚È finita‘ aus Giordanos ‚moderner Idylle in drei Episoden‘ „Marcella“ ist ein Kennenlernen wert.
Fazit: Verismo hat mehr zu bieten als die ewig gespielten selben paar Opern. Ergo haben wir es mit einem vom Repertoirewert her grandiosem Album zu tun, von Saioa Hernández lebendig, voluminös und robust interpretiert. Ein weiteres Atout: Selten prächtig im Vergleich zu vielen anderen Arienalben spielt das fein- wie klangsinnliche Orquestra Titular del Teatro Real unter der musikalischen Leitung von Carl Montanaro auf. Auch der Coro de la Comunidad de Madrid macht einen guten Job.
Dr. Ingobert Waltenberger