CD IGOR STRAVINSKY: LE SACRE DU PRINTEMPS, L’OISEAU DE FEU – KLAUS MÄKELÄ dirigiert das Orchestre de Paris; DECCA
Wer in der Welt der klassischen Musik erinnerte sich nicht an den spektakulären diskografischen Paukenschlag, als etwa vor einem Jahr ein junger finnischer Cellist und Dirigent die große Schallplattenbühne des Major Medienhauses Universal mit der Gesamteinspielung aller Sibelius Symphonien mit dem Oslo Philharmonic Orchestra betrat?
Zum Zeitpunkt der Aufnahme gerade einmal 25 Jahre alt, beeindruckte der optisch dem jungen Klemperer nicht unähnliche Maestro mit weit ausholenden Gesten und pastosen, in kräftigen Farben gespachtelten symphonischen Klanglandschaften. Damit machte er deutlich, dass er nicht zu den Transparenzapologeten der jüngeren Generation zählt, die auf einen verdünnt-sehnigen Klang setzen.
Zuvor war der Frühzünder zum Chefdirigenten und künstlerischen Berater der Osloer Philharmoniker ernannt worden. Seit 2021 ist er Musikdirektor des Orchestre de Paris. Der künstlerische Direktor des finnischen Turku Music Festivals wird bald den Gipfel der künstlerischen Bestätigung erklimmen: Mit Beginn der Spielzeit 2027/2028 wird Klaus Mäkelä Chefdirigent des Concertgebouw Orchesters und damit eines der weltweit renommiertesten Klangkörper überhaupt.
Jetzt legt DECCA Mäkeläs erstes Album mit dem Orchestre de Paris vor, das mit einer Spieldauer von 83 Minuten den Stravinsky Hits „Le sacre du printemps“ und einer ungekürzten Version des Balletts „L’oiseau de feu“ gewidmet ist.
„Die Frühlingsweihe“ hat Stravinsky wie schon zuvor den „Feuervogel“ bekanntlich für die Ballets Russes von Sergei Djagilev komponiert. Als heidnische Feier bemüht sie einen mörderischen Brauch: „Alte angesehene Männer sitzen im Kreis und schauen dem Todestanz eines jungen Mädchens zu, das zufällig ausgewählt wurde und geopfert werden soll, um den Gott des Frühlings günstig zu stimmen.“
Klaus Mäkelä ist mit dem in helleren Farben als etwa US-amerikanische Symphonieorchester spielenden Orchestre de Paris ein Wurf gelungen. Im Unterschied zu den Sibelius-Symphonien hat Mäkelä gelernt, neben den großen Bögen und dramatischen Eruptionen den kleinsten Feinheiten in Instrumentierung und den atmosphärischen Valeurs der Musik besonderes intensives Augenmerk zu schenken. Hören Sie das geheimnisvolle, mystisch impressionistische Streicher-Klanggewebe der Introduktion zu ‚Le sacrifice‘. Mäkelä konzipiert „Le sacre du printemps“ nicht von Anfang an als übersteigerte Orgie in rhythmischer Entäußerung, sondern lässt die Geschichte stetig an Spannung zulegend linear sich entwickeln, bevor er in den Abschnitten ‚L’Adoration de terre‘ (Track 7) und ‚Danse de la Terre‘ (Track 8) alle Register der ekstatisch hämmernden Klangentladungen zieht.
In den ‚Cercles mystérieux des adolescentes‘ schraubt Mäkelä die Dynamik ganz herunter. In unheimlicher Ruhe vor dem Sturm ist das Orchester ganz auf leiseste Abschattierungen getrimmt, um dann mit einem harten Akzent die ‚Glorification de l’élue‘ umso spontan erschreckender wirken zu lassen. Insgesamt lässt Mäkelä mit dem Pariser Vorzeigeorchester die gesamte Zeremonie in all ihren Verästelungen jenseits von übereffekthascherischer Drastik tänzerisch pulsierend Revue passieren. Die irisierenden Orchesterfarben blühen im Kontrast zu archaisch rhythmischem Stahl besonders licht auf.
Um Klangkultur verwoben mit in jugendlicher Frische erfühlter Partiturtreue geht es Mäkelä auch im 1909/10 entstandenen „L’oiseau de feu“. Das russische Märchen handelt vom Zauberer Kastschej, dem in die Prinzessin Zarevna verliebten Thronfolger Ivan Zarevich und einem im Garten des russischen Magiers lebenden glitzernd leuchtenden Vogel. Als die Dämonen des Magiers Ivan töten wollen, hilft der frei gelassene Feuervogel. Der Prinz zerschlägt das Riesenei mit der Seele des Kastschej, der Zauberer stirbt. Alle Opfer sind befreit, so auch dreizehn Jungfrauen. Prinzessin Zarevna und Ivan Zarewitsch können nun unbehelligt ihrer Liebe huldigen.
Das Orchestre de Paris kann hier mit silbrigen Streichern und besonders duftigen Holzbläsern (Flöten!) punkten. Der Spagat zwischen Diatonik und Chromatik, zwischen zart gestrichelter Naturschilderung, teuflisch aufblitzender Fantasy und exotischem Expressionismus, die Experimente mit Blech, Schlagzeug, klaren Einzelstimmen und innovativen Mischklängen (um deren spontanes Mäandern es hier besonders geht) gelingen in der Neueinspielung hervorragend. Da sirrt, flirrt und flattert es buntfedrig durch die Lüfte, wehen Sehnsuchtsgesänge aus der Ferne, triumphiert am Ende das Hohelied von Schönheit, Dankbarkeit, Freundschaft, Freiheit und Liebe. Mehr davon!
Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=RhPkPvxSd8Q
Negativpunkt: Das Booklet ist auf Billiglabel CD-Niveau mit einem in Minilettern gedruckten 2-Seiter pro Sprache geschrumpft. Universal-unwürdig, wie ich meine.
Dr. Ingobert Waltenberger