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CD „Ich tanze mit dir in den Himmel hinein“ – Frühe Tonfilmschlager mit dem Münchner Rundfunkorchester; BR Klassik

10.05.2022 | cd

CD „Ich tanze mit dir in den Himmel hinein“ – Frühe Tonfilmschlager mit dem Münchner Rundfunkorchester; BR Klassik

Einstige Propagandafalle oder einfach nur mitreißende Musik? Beides

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Veröffentlichung: 27.5.2022

2016 hat Ernst Theis in einem Mittwochskonzert im Münchner Prinzregententheater mit dem Münchner Rundfunkorchester erstmals Arrangements von Filmschlagern ohne Worte präsentiert. Die Titel stammen aus Filmen, deren Kinopremieren im Zeitraum 1932 bis 1958 stattfanden. Franz Grothe, Theo Mackeben, Michael Jary und Robert Stolz sind die Namen, denen Hits wie „Sing mit mir“, „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehen“, „Davon geht die Welt nicht unter“, „Du hast Glück bei den Frau’n, Bel Ami!“  oder „Ungeküsst sollst du nicht schlafen geh‘n“ aus der Feder flossen wie süßer Wein.

Oder ist da doch ein kleiner Wermutstropfen dabei? Freilich weiß heute ein jeder, dass die positive Energie und Einprägsamkeit dieser Melodien, ihr himmelblauer Sonnenschein im lachenden Glück oft in krassem Widerspruch zu ihrer Entstehung und Nutzung für Werbezwecke der Nationalsozialisten standen. Große Musik/Kunst und ihre Querwirkungen mit der Politik. Das Thema ist heute aktueller denn je.

Nur ist Musik an und für sich niemals politisch, sondern nur künstlerisch schwach oder erstklassig. Vor allem, wenn es sich um Instrumentalmusik für Unterhaltungszwecke handelt. Hören Sie selbst, was das Münchner Rundfunkorchester, 1952 für die Aufführung von gehobener U-Musik gegründet, alles an orchestralem Glanz, Schwung und Geigensilber aus den Bearbeitungen von Ulrich Sommerlatte, Marco Jocvic, Nico Dostal, Gerhard Mohr, Horst Kudritzki, Fred Ralph oder Carl Michalsky herausholt. Das darf man ruhig genießen und sich daran erfreuen. Allerdings darf man schon wissen, wie diese Schlager historisch einzuordnen sind.

Matthias Keller: „Der 1941/42 unter der Regie von Rolf Hansen gedrehte Ufa Astreifen „Die große Liebe“ entstand genau zu dem Zeitpunkt, da das Hitler-Regime erkennen musste, dass der von ihm begonnene Krieg so schnell kein Ende finden würde. Goebbels schätzte neben „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh’n“ ganz besonders Zarah Leanders „Davon geht die Welt nicht unter“ als Durchhalteparole mit Schlagerqualitäten. Keller weist in seinem überaus informativen Aufsatz „Frühe Tonfilmschlager“ im Booklet, in dem zu allen Titeln historische Konnexe aus mehreren Perspektiven erhellend dargestellt sind, darauf hin, dass gerade im Film “Die große Liebe“ der „Krieg samt Fliegeralarm, Luftschutzkeller und Kriegsfront thematisiert wird, und seine Botschaft auch bei KZ-Insassen und Oppositionellen Gehör fand als eine Art verklausuliertes Versprechen auf eine bessere Welt nach dem Nazi-Terror.“

Die Welt bewegt sich eben selten in bloßen Schwarz-Weiß Kategorien und ein weiterer Blick hinter die Kulissen fördert Interessantes zutage. „Franz Grothes „Sing mit mir“ als Eröffnungstitel der CD kann als Musterbeispiel für jenen Musikstil betrachtet werden, den sich die Nationalsozialisten für ihre cineastischen Ablenkungsszenarien wünschten: schwungvoll, leichtfüßig und angereichert mit lustvoll verspielten Bläserfiguren. Das ganze angetrieben von schwungvollen Pizzicato-Bässen, zu denen sich im zweiten Teil eine Art Csardas Rhythmik gesellt. …..,wie der Filmkurier 1939 schrieb: eine glamouröse Revue-Musik, die auch aus einem Hollywoodstreifen jener Jahre hätte stammen können. Genau hier liegt der feine Unterschied. Denn spätestens seit Kriegsbeginn waren Jazz und Swing offiziell unerwünscht – und mit Kriegseintritt der USA auch die amerikanische Tanzmusik allgemein. Die Folge war die Gründung eines Deutschen Tanz- und Unterhaltungsorchesters durch den Filmkomponisten Franz Grothe im September 1941. Der Auftrag hierzu erging direkt von Propagandaminister Goebbels, verbunden mit der Forderung, in den künftigen Orchestrierungen den Fokus auf die Melodie zu legen, die wiederum primär von den Streichern zu spielen sein und nicht von den Bläsern.“

Die Aufnahmen entstanden im Bayerischen Rundfunk und sind dementsprechend aufnahmetechnisch vom Feinsten. Die Titel zu Filmen können einfach als schöne Revue-Musik genossen werden oder aber historisch informiert nach der Lektüre der wissenden Anmerkungen durch Matthias Keller im Booklet, dem ich sehr herzlich für die Genehmigung zu den ausführlichen Zitaten danke. Diese besondere Geschichtsstunde mit vielen individuellen Lebensläufen, sie sich mit der vorliegenden Sammlung verbinden, ist jedenfalls alles andere als langweilig.

Zum Schluss noch ein Zitat von Matthias Keller: „Wenn das Münchner Rundfunkorchester zu seinem 70-jährigen Bestehen diese Musik darbietet, dann zum einen, weil ihr künstlerischer Wert auch im Nachkriegs-Deutschland kaum bestritten wurde; zum anderen, weil es nicht allzu viele Profiorchester gibt, die mit diesem Repertoire vertraut und in de Lage sind, es auf derart hohem Niveau zu musizieren.“

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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