CD HUW MONTAGUE RENDALL: CONTEMPLATION – Ben Glassberg dirigiert das Opéra Orchestre Normandie Rouen; Erato
Grandioses Solo-CD-Debüt mit der denkbar schönsten aller hohen lyrischen Baritonstimmen
Huw Montague Rendall sieht aus wie ein Filmstar der dreißiger Jahre und singt so, wie man sich das vom mythischen Orpheus vorstellen mag. Der charismatische englische Sänger gehört einer neuen Generation an, die intellektuell auf der Höhe, ihre Kunst der Kreatürlichkeit des menschlichen Seins und der Kommunikation der existenziellen Kraft von Musik verschrieben haben. Uneitel, pur, zu hundert Prozent und mit Temperament und einer gehörigen Portion Humor bei der Sache.
Wer unter Berliner Melomanen erinnerte sich nicht an seine Interpretation von Ambroise Thomas‘ „Hamlet“ an der Komischen Oper, in Wien hat er als Brittens „Billy Budd“ das Publikum bewegt.
Er beherrscht nicht nur sein Instrument eines edel timbrierten lyrischen Baritons mit einem Schuss Kavalierbariton darein hervorragend, Montague Rendall ist ein sensibler wie expressiver Gestalter, der dem poetischen Gehalt von Text und Musik auf den Grund geht. Jemand, der den Charakter der Stücke und der Figuren, die er verkörpert, umfassend reflektiert, um beim Singen völlig loslassen zu können und umso freier zu sein.
Unter dem Titel „Contemplation“ führt uns der Senkrechtstarter auf seinem Album in Kompositionen von Mozart bis Gounod, von Thomas bis Duparc, Britten, Mahler und Korngold in den Genres Oper, Operette, Orchesterlied und Musical (Rogers „Carousel“) vor, wie intensiv erfüllt und gleichzeitig technisch/stilistisch makellos diese berühmten Nummern mit quellfrischem Leben erfüllt werden können. Dabei scheint nichts kalkuliert und noch weniger auf Effekt bedacht. Der ehrliche, unmittelbare Ausdruck ergibt sich bei Huw Montague Rendall nicht zuletzt aus der Flexibilität und dem Blühen einer Stimme, die er dynamisch vom geflüsterten Pianissimo bis zu einem kernigen Forte ausreizt und in unzähligen Farben schillern lässt.
Aber lassen wir doch den 30-jährigen Briten selbst zu Worte kommen:
„Musik hat sich in meinem Leben immer wieder als beherrschende Kraft erwiesen, die mir in den heftigen Lebensstürmen Orientierung gibt. Sie ist eine unschätzbare Gefährtin und bietet mir tiefe Einsichten in die labyrinthische Vielschichtigkeit der menschlichen Psyche. Die sorgfältig ausgewählten Kompositionen wirken wie ein Spiegel, indem sie die Vielfalt der Lebenswirklichkeit wiedergeben und zu besinnlichen Reisen in mein Unterbewusstsein anregen. Ohne diesen harmonischen Leitfaden und die dadurch gebotenen nachdenklichen Offenbarungen wäre mein Leben völlig anders verlaufen.
Diese musikalischen Meisterwerke führen gelegentlich zu Betrachtungen über Themen wie Sterblichkeit, einen berauschenden Liebestrank und die ungeheure Kraft einer persönlichen Entscheidung. Sie dienen als zeitlose Anleitung für das Überwinden von Zeiten aufgewühlten Leids und sich auftürmenden, bedrängenden Unglücks. Die Macht der Musik lässt sich mit den unvorhersehbaren Strömungen eines mächtigen Flusses vergleichen: manchmal muss man die Stärke aufbringen, um gegen den reißenden Strom anzuschwimmen, während man sich andererseits der Strömung überlässt und sich von ihr stromabwärts treiben lässt. Musik zeugt, wie dieser Fluss, von der ehrwürdigen Schönheit der Natur und der Widerstandskraft des menschlichen Geistes.“
Link zu Huw Montague Rendall und Elisabeth Boudreault singen „Pa-Pa-Pa-Papagena“ (Mozart „Die Zauberflöte“)
https://www.youtube.com/watch?v=lP9V7_fevgQ&t=6s
Wie auf dem Video von der Aufnahmesitzung des Duetts Papageno/Papagena aus Mozarts die „Zauberflöte“ mit der hinreißenden Elisabeth Boudreault nachvollzogen werden kann, ist Huw Montague Rendall nicht nur ein klug kritischer Zeitgeist, sondern füllt auch das Fach des schelmischen Komödianten mit Bühnenblut.
Einen Höhepunkt des Albums herauszugreifen, fällt mir schwer. Aber Fritzens Lied ‚Mein Sehnen, mein Wähnen‘ aus Erich Wolfgang Korngolds „Die tote Stadt“ oder die Ballade des Mercutio aus Gounods „Roméo et Juliette“, ‚Mab, la reine des mensonges‘ sind beste Beispiele für das traumhafte Legato und die Eleganz der Phrasierung des Sängers, auf der anderen Seite für die quirlige Gewandtheit und Leichtigkeit der Tongebung, seine gestalterische Raffinesse und die berührende Natürlichkeit des Vortrags. Wie lasziv verführerisch Huw Montague Rendall klingen kann, sei der Canzonetta. ‚Deh vieni alla finestra‘ aus Mozarts „Don Giovanni“ abgelauscht.
Toll an dem Album ist auch, dass Dirigent Ben Glassberg und das Opéra Orchestre Normandie Rouen als adäquat mitschöpfende Gestalter agieren, dramaturgisch wach und klangschön aufspielen und so ihren Anteil zum außerordentlichen Gelingen dieses Albums auf das Angenehmste für die Hörerschaft beisteuern.
Inhalt des Albums:
- Ambroise Thomas: J’ai pu frapper le misérable…Être ou ne pas être aus „Hamlet“
- Charles Gounod: O, Sainte médaille…Avant de quitter ces lieux aus „Faust“; Mab, la reine des mensonges aus „Romeo et Juliette“
- Erich Wolfgang Korngold: Mein Sehnen, mein Wähnen aus „Die tote Stadt“
- Gustav Mahler: Lieder eines fahrenden Gesellen; Ich bin der Welt abhanden gekommen
- Benjamin Britten: Look through the port aus „Billy Budd“
- Henri Duparc: Chanson triste
- Wolfgang Amadeus Mozart: Hai gia vinta la causa aus „Die Hochzeit des Figaro“; Deh vieni alla finestra aus „Don Giovanni“; Pa-pa-ge-na! Pa-pa-ge-no! aus „Die Zauberflöte“
- André Messager: Au jardin ou les fleurs sont ecloses aus „Monsieur Beaucaire“
- Richard Rodgers: Soliloquy aus „Carousel“
Aus dem Terminkalender von Huw Montague Rendall: Am 18. und 20.12.2025 ist er der Eisenstein in konzertanten Aufführungen von Johann Strauss‘ „Die Fledermaus“ im Festspielhaus Baden-Baden, ab 18. Februar 2025 wird er den Pelléas in Claude Debussys Oper „Pelléas et Mélisande“ an der Opéra National de Paris verkörpern.
Dr. Ingobert Waltenberger