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CD Hörbiographie SCHOSTAKOWITSCH „DOPPELTES SPIEL“ – Gelesen von UDO WACHTVEITL und ULRICH MATTHES; BR Klassik  

19.12.2021 | cd

CD Hörbiographie SCHOSTAKOWITSCH „DOPPELTES SPIEL“ – Gelesen von UDO WACHTVEITL und ULRICH MATTHES; BR Klassik

 

Russisch-sowjetische Zeit- und Musikgeschichte lebendig präsentiert

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“Das ist ein Spiel, das übel enden kann.”  Zitat aus dem Prawda-Artikel ‚Chaos statt Musik’ aus dem Jahr 1936.

 

Zum ersten Mal erscheint in der Serie BR-KLASSIK-Hörbiografien ein Komponistenporträt des 20. Jahrhunderts. Es ist vielleicht das spannendste, politisch, künstlerisch und privat. 

Die Faszination der Musik vieler Komponisten der Sowjetunion speist sich ja geradezu aus der Tatsache des “Doppelten Spiels”. Dem Regime an der Oberfläche zu “dienen” und es gleichzeitig mit raffiniert verborgenen bis nahezu unverschämt mutig offenen künstlerischen Mitteln zu entlarven, zu ironisieren, auf die Schaufel zu nehmen. Das hat der Kreativität und der avantgardistischen Entwicklung enorm Vorschub geleistet. Musiker wie Mieczysław Weinberg, Alfred Schnittke, oder Nikolai Kapustin mögen neben Dmitri Schostakowitsch – auch seine Musik strotzt vor Zitaten, Anspielungen und verdeckten Botschaften – Pate für die Vielfalt an musikalischen Richtung und Stilen stehen. 

 

Damit der Hörer nicht nur den mäandernden Lebenswegen folgen, sondern genau dieses entscheidende Element der spezifischen musikalischen Sprache des Schostakowitsch nachvollziehen kann, ist das Hörbuch wie alle anderen BR Komponisten-Biografien mit musikalischen Beispielen gespickt. 160 Musikausschnitte werden aufgeboten, um Geschichte, Biographie und Werk eng miteinander zu verknüpfen. Namen wie Haitink, Chailly, Jansons, Gergiev, Jurowski, das Mandelring Quartett, Hilary Hahn oder Maria Prinz garantieren die künstlerische Qualität der gewählten Aufnahmen.  

 

Autor Jörg Handstein hat die Hörbiografie kundig, spannend und abwechslungsreich eingerichtet. Handstein lässt den Künstler Schostakowitsch “im großen historischen Panorama der Sowjetunion” Gestalt gewinnen, lässt zudem Blicke durch das Guckloch ins Private zu. Auch “als Meister des Humors, als passionierter Fußballen oder als unsicherer Liebender” begegnet uns Schostakowitsch hier. Und natürlich geht es um Musik. Handstein:Sie bildet den Soundtrack einer ganzen Epoche und ….sie ist ungeheuer vielgestaltig. Neben den bekannten Symphonien und Konzerten sind a die frechen Klänge der Roaring Twenties, atonale Experiment, Filmmusiken, Lieder, eine groteske Oper, eine heitrer Operette und todtraurige Quartette. Nicht zu vergessen die dröhnende Propagandamusik, die Schostakowitsch dem Regime als Tribut entrichtete.” 

 

Folgende Betitelung der Kapitel findet sich auf der Website des BR:

 

ROTER OKTOBER (1917 – 1925) Revolution, Bürgerkrieg, Hungersnot: In Russland herrschen Gewalt und Chaos. Dann haben die Bolschewisten ihre Macht gefestigt. Für einen sensiblen Knaben aus dem Bürgertum ist das kein guter Start ins Leben. Dennoch beginnt der 13-jährige Dmitri ein Musikstudium. Er ist phänomenal begabt, und er will es schaffen – trotz Tod und Not.

 

DIE WILDEN ZWANZIGER (1925 – 1930) Dmitri Schostakowitsch, 19 Jahre, macht Furore mit einer Symphonie. In der jungen Sowjetunion blühen zumindest Kunst und Kultur. Klassik, Avantgarde, der Sound der „Roaring Twenties“ – noch ist alles möglich, und er saugt alles in sich auf. Er experimentiert, er provoziert, er brilliert in allen Genres. Das gefällt den „Proletarischen Musikern“ gar nicht.

 

DAS GOLDENE ZEITALTER (1930 – 1933) Stalin will den industriellen Fortschritt – und bringt Tod und Elend. Was gut funktioniert, ist seine Propaganda-Maschine, in die auch die Musik eingebaut wird. Schostakowitsch macht zum Schein mit, aber unter dieser Tarnung macht er große, menschliche Kunst. Er komponiert die „Lady Macbeth von Mszensk“. Das doppelte Spiel beginnt.

 

STALIN GEHT IN DIE OPER (1934 – 1937) Der Erfolg seiner Oper katapultiert Schostakowitsch ganz nach oben. Und gerade mal verheirat, schlittert er schon in eine Affäre. Schlimmere Folgen jedoch hat ein Operbesuch Stalins. Über Nacht wird das gefeierte Genie zum Misstöner Nummer eins erklärt. Die Karriere ist ruiniert, sein Leben in Gefahr. In der Sowjetunion tobt Stalins Terror.

 

FRIEDEN UND KRIEG (1938 – 1943) Rehabilitiert durch die 5. Symphonie, hat Schostakowitsch endlich ein Weilchen Ruhe. Bis Hitler die Sowjetunion überfällt. Er will die totale Vernichtung. Leningrad soll den Anfang machen. Während seine Heimatstadt aushungert, vollendet Schostakowitsch seine 7. Symphonie, die den Menschen neuen Mut macht. Doch der Krieg wird immer grausamer. 

 

VOLKSFEINDLICHE TENDENZEN (1944 – 1951) Nur unter gigantischen Opfern können die Nazi-Armeen besiegt werden. Stalin schreibt sich selbst den Erfolg zu und erwartet eine pompöse Siegessymphonie. Schostakowitsch liefert ein witziges, freches Werklein. Und bleibt erstaunlicherweise am Leben. Stalin hat noch einiges vor mit ihm. Schostakowitsch wird gehätschelt und gehetzt, ein Spielball der rohen Macht.

 

DIE FRATZE STALINS (1952 – 1958) Wie ein Halbgott lässt sich Stalin verehren. Aber er ist nicht unsterblich. Nach seinem Tod komponiert Schostakowitsch die 10. Symphonie: Es ist eine Abrechnung mit Stalins Diktatur und eine Warnung an die Nachwelt. Wird nun alles besser? Schostakowitsch bleibt skeptisch. Immerhin hat er nichts mehr zu befürchten. Schlimm ist nur der Tod seiner Frau. 

 

TAUWETTER (1957 – 1962) Nikita Chruschtschow, der neue Parteichef, rechnet ebenfalls mit Stalin ab. Er beendet den Staatsterror, gewährt Freiheiten und sucht den Kontakt zum Westen. Auch Schostakowitsch reist in diplomatischer Mission. Er lebt gut und kann sich künstlerisch frei entfalten. Aber für seine Privilegien muss er einen schrecklichen Preis zahlen.

 

HELD DER SOZIALISTISCHEN ARBEIT (1962 – 1969) Nach einer seltsamen Kurzehe heiratet Schostakowitsch nochmals. Irina, 27, ist eine Frau fürs Leben. Chruschtschows „Tauwetter“ entpuppt sich als Aprilwetter. Über der Kunst ziehen wieder dunkle Wolken auf. Aber Schostakowitsch, mit 60 Jahren ein lebender Klassiker, ist jetzt unangreifbar, und er komponiert wie es ihm passt. Nur das Herz spielt nicht mehr mit. 

 

DER LAUF DER ZEIT (1970 – 1975) Der Held, vielfach angeschlagen, ist nun sehr schnell gealtert. Immer mehr Monate verbringt er im Krankenhaus. Gedanken an den Tod und das ewige Leid durchtränken seine Musik. Doch seine Schaffenskraft ist ungebrochen. In Werken wie der 15. Symphonie und der „Michelangelo-Suite“ zieht er die Summe seines Lebens.

 

Zitiert und erzählt wird von allen Beteiligten voller Hingabe, Empathie und wo nötig, Dramatik. Die vielen historischen Details werden zu einem bunten Panorama verwoben, kurzweilig und aufwühlend. Vor allem die ruhige sonore Sprechstimme des Erzählers Udo Wachtveitl und Ulrich Matthes als Schostakowitsch stehen im Zentrum der klanglichen Realisierung. 

 

Eine Live-Einspielung der “Fünften Symphonie” in d-Moll, Op. 47 aus dem Jahr 2014, mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter der Leitung von Mariss Jansons, wird als willkommener Bonus angeboten.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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