Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CD HEINRICH von HERZOGENBERG: COLUMBUS – Dramatische Kantate für Soli, Männerchor, gemischten Chor und großes Orchester, Op. 11 – cpo

13.10.2018 | cd

CD HEINRICH von HERZOGENBERG: COLUMBUS – Dramatische Kantate für Soli, Männerchor, gemischten Chor und großes Orchester, Op. 11 – cpo


„Seht ihr das Schiff, das schwache, schwanke, getragen von dem Ozean? So trägt der Gedanke den Menschen durch des Lebens Bahn. Es zieht dahin, unstet gebettet, zerreißend jedes Süße Band, das sanft uns an die Heimat kettet, ins ferne unbekannte Land.“
Idealer Einstiegs-Chor zu Columbus


Der einem französischen Adelsgeschlecht entstammende Heinrich von Herzogenberg, dessen musikalische Laufbahn ihn von seiner Geburtsstadt Graz über Leipzig nach Berlin führte, war ein waschechter Brahmsianer. Mit jungen 27 Jahren, als die vorliegende Kantate entstand, war die Abnabelung vom später verachteten neudeutschen Stil Richard Wagners jedoch noch nicht vollzogen. Das Ergebnis kann als durchaus reizvoll gelten. Zur Meisterschaft in der Behandlung der vielfältigen Chöre (12 Nummern von insgesamt 20 sind Chören zugedacht) kommen chromatisch spannende Klangschichten, eine ausgefeilte Leitmotivtechnik sowie dramatische Monologe des Columbus (bspw. der Höhepunkt der Kantate „Wie blinkt mit feuergleichem Schäumen“), die eher an den Fliegenden Holländer als an Brahms‘sche Fahrwasser erinnern. Auch motivische Anklänge an Tannhäuser sind deutlich auszumachen.


Die am 4. Dezember 1870 im Konzertsaal des Grazer Musikvereins uraufgeführte Kantate Columbus ist in zwei Teile gegliedert. Das Libretto hat Herzogenberg, wie Wagner es tat, selbst verfasst. Die Musik spricht lautmalerisch von Naturgewalten wie Wasser, Sturm und Wellen. Auf die menschliche Seele, deren irrationalen Ängste, Sehnsüchte, Bedingtheiten und Zwänge umgelegt, ersteht das simple Handlungsgerüst: Die lange Zeit den Stürmen der hohen See und der Ungewissheit, ob sie jemals Land erreichen werden, ausgesetzten Matrosen verzehren sich vor Heimweh. Das Vertrauen in den Kapitän ist angeschlagen, nur Fernando glaubt noch an dessen hehre Mission. Der Bootsmann zettelt einen Aufstand an. Drei Tage Schonfrist erhalten Columbus und Fernando. Sollte bis dahin nicht Land in Sicht sein, werden die beiden ins Wasser geworfen. Im letzten Moment jedoch erspäht der Aussichtsposten das rettende Ufer. Columbus verzeiht den aufständischen Matrosen und dem Bootsmann. Am Ende wird Gott für das Gelingen der Unternehmung der Entdeckung der ,Neuen Welt‘ gedankt.


Dramaturgisch ist die Kantate geschickt aufgebaut. Charaktermotive spiegeln auf der einen Seite Güte, Redlichkeit und Fairness, auf der anderen Seite das charakterlich Bedenkliche, Gewalt- und Gefahrvolle. Die einzelnen Szenen sind nicht durch Kadenzen klar voneinander getrennt, sondern gehen überwiegend ineinander ganz nach neudeutscher Manier über. Drei gemischte „ideale Chöre“ (einleitend, am Ende des ersten teils und zum Schluss), die den philosophisch-moralischen Überbau bilden, stehen die die Handlung befeuernden Matrosenchöre – teils mit Solisten – gegenüber. Von den drei männlichen Protagonisten hat Columbus drei Soloszenen zu singen, Fernando und der Bootsmann jeweils eine, in denen sich die dramatischen Ereignisse, aus Sicht des Komponisten wohl der Kampf von „Gut gegen Böse“, effektvoll zuspitzen.


Künstlerisch hat die neue Aufnahme aus dem Stefaniensaal Graz vom Mai 2017 viel zu bieten. Der Chor&Extrachor der Oper Graz (Chorleiter: Bernhard Schneider) bringen sowohl die Urgewalten der Schöpfung als auch die feine, komplexe Satztechnik bestens zum Ausdruck. Kraftvoll und geschmeidig, rhythmisch präzise, in den Stimmgruppen ausgewogen, und absolut intonationssicher ist dem Chor ein großes Lob auszusprechen. Bei den Solisten ist an erster Stelle der für mich aktuell weltbeste lyrische Bariton seiner Generation, der Südtiroler Andrè Schuen, in der Titelpartie zu nennen. Zur Erinnerung: Im konzertanten Da Ponte-Zyklus im März 2014 unter der Leitung von Nikolaus Harnoncourt in Wien sang Schuen den Figaro, Don Giovanni und Guglielmo. Der liedgeschulte Sänger bietet eine Meisterleistung an Phrasierung, Textausdeutung, und emotionaler Ehrlichkeit bei höchstem Wohlklang seines balsamischen, in allen Lagen gleich gut ansprechenden Baritons. Sein erster Auftritt in der frühromantisch schwärmerischen Szene „Wie wildes Wogenrollen“, wo er den Matrosen noch einmal Optimismus und Kraft für die probenreiche Fahrt vermitteln will, ist ein exquisites Beispiel an musikdramatischer Intelligenz, rhetorischer Finesse und lichtvollem Ausdruck. Schon der musikalischen Qualität der Kantate und Andrè Schuens überragender Gesangsdarbietung wegen sollte die Anschaffung des Albums eine lohnende Sache sein. Der österreichische Bariton Markus Butter darf in der Rolle des umstürzlerischen Bootsmanns markig und ausdrucksstark Stimme zeigen. Das charakterreiche Timbre passt wunderbar zur Dämonie der dunklen Mächte des Stücks. Beim Vibrato sollte dieser tolle Sänger aber doch ein wenig die Zügel anlegen. Lieder ist Michael Schade in der kurzen Rolle des Fernando mit den dramatischen Höhen völlig überfordert und klingt über weite Strecken nur noch strapaziert und scharf.


Die Grazer Philharmoniker unter der engagierten, zupackenden und gleichzeitig feinchirurgischen Leitung von Dirk Kaftan lassen dem intensiv-schönen Werk alle nötige Liebe zum Detail und den mächtigen Bogen zukommen, was dieser Aufnahme insgesamt einen hohen Rang sichert. Der Klang ist ein wenig trocken, die Stimmen ein Quentchen mehr in den Vordergrund zu rücken wäre eine gute Sache gewesen.


Dr. Ingobert Waltenberger

 

Diese Seite drucken