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CD „HEIMAT: 500 Jahre Heimatlieder und -gedichte“ – DANIEL BEHLE und GERMAN HORNSOUND, MARIO ADORF; Prospero

15.10.2022 | cd

CD „HEIMAT: 500 Jahre Heimatlieder und -gedichte“ – DANIEL BEHLE und GERMAN HORNSOUND, MARIO ADORF; Prospero

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Heimat, ein Begriff, so deutsch wie singulär, so romantisch idyllisch wie soziologisch komplex, so wichtig wie oft missbraucht. Ich stimme mit dem Arrangeur der meisten Titel der CD, Alexander Krampe überein, wenn er meint, dass Heimat vieles sein kann: Ein Ort, Natur oder Landschaft, Erinnerung, Menschen, Freunde und Familie, eine Sehnsucht, Schmerzen, ein Albtraum, Verlust, Gewohnheit und Geborgenheit, Kultur, Sprache und Dialekt, Küche, Zuhause, Wurzeln, Sicherheit und dies alles multipliziert mit Gefühlen und Ansichten. Für jeden Menschen individuell und am Ende doch in manchem ähnlich.

Daniel Behle, ein heller timbrierter lyrischer Tenor mit Zug zum Heldischen, ist sowohl passionierter Opern- als auch genuiner Lied- und Konzertsänger. Zum ersten Mal hörte ich ihn vor zehn Jahren im Pariser Palais Garnier in Paris in der „Lustigen Witwe“ als Camille de Rossillon. Und war sofort von der makellosen Technik, der schlank geführten Stimme und vom jugendlich-tenoralen Draufgängertum angetan. Wie vorsichtig und klug der Sänger seine Stimmmittel seither entwickelt hat. Die Geschmeidigkeit, den lyrischen Zauber und eine tolle Höhe hat er wie eh und je (das hohe C sitzt), allerdings sind heldische Register dazugekommen, wie das eine traumverloren und liedhaft interpretierte Gralserzählung, eine der berührendsten der Schallplattengeschichte, zeigt.

Ja, und komponieren kann er auch. Auf dem Album ist er mit seinem eigenen Lied „Heimat ist dort, wo der Schlüssel passt“ zu hören. Alles, was Behle anpackt, tut er mit stilistischer Einfühlung und urwüchsiger Originalität. Als Gestalter ist Daniel Behle ein Meister der Phrasierung und klanglich differenzierten Textausdeutung. Ob Arie, Lied, Chanson oder Schlager, Behle trifft in allen Genres den adäquaten Ton.

Die Bandbreite, die Behle draufhat, ist enorm und kann auf diesem musikalisch so breit gestreuten Album genüsslich nachvollzogen werden. Von des Renaissancetonsetzers Heinrich Issac „Innsbruck, ich muss dich lassen“ über Berliner Operette eines Mischa Spoliansky „Der Mensch muss eine Heimat haben“ bis zu Richard Wagners Gralserzählung aus dem „Lohengrin“, von Brahms- und Schubert-Liedern über Kostproben aus Kreneks „Reisebuch aus den österreichischen Alpen“ und Hanns Eislers „Die Flucht“ sowie „Die Heimat“ bis zu Gustav Mahlers „Das irdische Leben“ aus ‚Des Knaben Wunderhorn‘ und „Über und der Himmel“ des Theo Mackeben reicht der Reigen der musikalischen Auseinandersetzung mit dem Begriff Heimat. Georg Kreislers köstlich ironischer Song „Wien ohne Wiener“ interpretiert Behle sprachlich so authentisch, als hätte er sein ganzes Leben nichts anderes getan, als in Stammersdorf beim Heurigen Wiener Lieder zum Besten zu geben.

Die Idee für die CD geht auf das Jahr 2017 zurück, als Daniel Behle und das exzellente Hornquartett German Hornsound beschlossen, gemeinsam ein Projekt durchzuziehen. Von den 50 Arrangements für vier Hörner und Tenor von Alexander Krampe wurden die 27 schönsten und ergreifendsten für das Doppelalbum ausgesucht. Die Bearbeitung der „Gralserzählung“ stammt vom Hornisten Stephan Schottstädt und Behle hat sich um die Instrumentierung seines Lieds selbst gekümmert.

Die kammermusikalisch reduzierten Arrangements, der dunkle wehmütige Klang der Hörner, der schlank-elegante Ton der vier Top-Solisten Christoph Eß, Sebastian Schorr, Stephan Schottstädt und Timo Steininger, all das trägt dazu bei, dass hier selbstredend Sentimentalität erlaubt ist, aber stets poetisch grundiert und volksliedhaft zurückhaltend interpretiert wird.

So viele leuchtende Piani eines Tenors habe ich schon lange nicht auf einer CD erlebt. Haben wir es mit Kitsch zu tun, wie es das Cover mit einem Horn auf weißem Grund flankiert von einem Segelschiffchen und Enzianblüten suggerieren könnte? Auf keinen Fall, weil hier von der Auswahl, der Bearbeitung und der Umsetzung höchst professionell und seriös gearbeitet wurde.

Ob es eine gute Idee war, den großen Mario Adorf zehn Texte von Jean Améry, Theodor Storm, Mascha Kaléko, Bettina von Arnim, Friedrich Nietzsche, Friedrich Hölderlin, Max Hermann-Neiße, Richard Dehmel und Franz Grillparzer zwischen die Lieder gestreut lesen zu lassen, sei dahingestellt. Der mittlerweile 92-jährige Schauspieler hat sein charakteristisches Timbre bewahren können, die berühmte Stimme klingt jedoch belegt. Besonders textverständlich rezitiert er also nicht.

Wer keine Berührungsängste mit dem Begriff „Heimat“ hat und neugierig auf diese ganz spezifische Zeitreise geworden ist, dem sei dieses solitäre Album empfohlen. Alexander Krampe zeichnet nicht nur für die traumhaften Arrangements verantwortlich, sondern hat zu jedem einzelnen Titel ausgiebig recherchiert und die zeitgeschichtlichen wie biographischen Umstände der Komponisten, Dichter und Werke in kurzen Texten lehrreich zusammengefasst. Da wird die gesamte Tiefe und Ambivalenz des Themas in Bezug auf nah und fern, vertraut und fremd offenkundig. „Denn der freie Gebrauch des Eigenen ist das schwerste“, wie Friedrich Hölderlin sagte.

Release-Konzerte:

  1. Dez 2022 Liederhalle Stuttgart
  2. Dez 2022 Alte Oper Frankfurt
  3. Dez 2022 Elbphilharmonie Hamburg“

    Die Jungs haben alles selber organisiert und es wäre doch schön, wenn alle drei Konzerte möglichst viel Zuspruch finden würden
    .“

Inhalt der CDs

  • Heinrich Isaac: Innsbruck, ich muss dich lassen
  • Mischa Spoliansky: Der Mensch muss eine Heimat haben
  • Johannes Brahms: Da unten im Tale; Über die Heide
  • Richard Trunk: Die Stadt
  • Franz Schubert: Erlkönig; Meeres Stille; Wandrers Nachtlied
  • Antonin Dvorak: Heimatlied
  • Hans Naumilkat: Unsre Heimat
  • Ernst Krenek: Regentag aus „Reisebuch“; Motiv aus „Reisebuch“; Auf und ab aus „Reisebuch“
  • Daniel Behle: Heimat ist dort, wo der Schlüssel passt
  • Richard Wagner: Gralserzählung aus „Lohengrin“
  • Hanns Eisler: Die Heimat; Die Flucht
  • Willy Engel-Berger / Meisel: Ein neuer Frühling
  • Hermann Leopoldi: Buchenwald-Lied
  • Carlo Sigmund Taube: Jüdisches Kind
  • Werner Eisenbrenner: Lied der Flüchtlinge
  • Gustav Mahler: Das irdische Leben aus „Des Knaben Wunderhorn“
  • Fritz Kreisler: Wien ohne Wiener
  • Johannes Oerding: Heimat
  • Werner Bochmann: Heimat, deine Sterne
  • Theo Mackeben: Und über uns der Himmel
  • Volkslieder: Ein Jäger aus Kurpfalz; Im Frühtau zu Berge; Kommt ein Vogel geflogen
  • Gedichte von Jean Amery, Theodor Storm, Mascha Kaléko, Bettina von Arnim, Friedrich Hölderlin, Max Herrmann-Neiße, Richard Dehmel, Franz Grillparzer

Daniel Behle (Tenor), Mario Adorf (Rezitation), German Hornsound

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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