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CD HANS ZENDER: SCHUBERTS WINTERREISE . eine komponierte Interpretation für Tenor und kleines Orchester – HANS PETER BLOCHWITZ, ENSEMBLE MODERN

30.09.2019 | cd

CD HANS ZENDER: SCHUBERTS WINTERREISE . eine komponierte Interpretation für Tenor und kleines Orchester – HANS PETER BLOCHWITZ, ENSEMBLE MODERN – Ensemble Modern Medien

 

Wiederveröffentlichung – schlichtweg genial

 

Eines der spannendsten Alben der Klassik, nämlich Hans Zenders Bearbeitung/Neufassung von Schuberts Winterreise aus dem Jahr 1994/95 mit dem Tenor  Hans Peter Blochwitz und dem Ensemble Modern ist nun endlich wieder offiziell erhältlich. Hans Zender sucht in seiner unglaublich dichten „Übermalung“ nicht nach einer neuen expressiven Deutung, sondern macht „systematisch von den Freiheiten Gebrauch, welche Interpreten sich normalerweise auf intuitive Weise zubilligen: Dehnung bzw. Raffung des Tempos, Transposition in andere Tonarten, Herausarbeiten charakterlicher farblicher Nuancen. Dazu kommen die Möglichkeiten des „Lesens“ von Musik: innerhalb des Textes zu springen, Zeilen mehrfach zu wiederholen die Kontinuität zu unterbrechen, verschiedene Lesarten der gleichen Stelle zu vergleichen…“

 

Hans Zender will die Zukunftsperspektiven Schuberts aufzeigen ebenso wie die Verwurzelung Schuberts in der Folklore. In der Umsetzung kommen vor allem Holz, Blech und Schlagzeug zum Einsatz, Vor- und Zwischenspiele, blitzartige Soli, drastische instrumentale Kommentare bzw. brennende Lautfontänen, Dehnungen bzw. Beschleunigungen, wobei er auch die Räumlichkeit nutzt, um die Musiker auf Wanderschaft zu schicken, mit dem Effekt, dass die Klänge im oder sogar außerhalb des Raums reisen und irren. Zender intensiviert gegen Ende der Winterreise die Verfremdungen, entsprechend der zunehmenden Nähe des Wandersmanns zum Tod, die Beziehungen (O-Ton Zender) zum historischen Original werden immer labiler, die heile Welt der Tradition verschwindet immer mehr in eine nicht rückholbare Ferne.“ 

 

Natürlich verschieben sich die Akzente. Die grellsten Emotionen, die bisher im stillen Subkontext zwischen Gesang und Klavier schlummerten, holt Zender in einem grandiosen schöpferischen Parforceritt ins grell blendende Operationslicht der Seele. Die das menschlich Fassbare und Erträgliche oft überragende Tragik von Liebe und Einsamkeit, Vorahnungen, Ängste, Halluzinationen, Irrlichter, den Krähenflug, das Knurren des Hundes, das Literarischen und Bildliche der Vorlage generell erhalten hier extreme, unsere Existenz in alle Abgründe tauchende musikalische Gestalt. Das nimmt nichts von Schuberts Geist, sondern fügt hinzu, erhellt individuell die lyrische Vorlage nicht zuletzt des Klavierparts, steigert sie ins Unermessliche an interpretatorischer Dringlichkeit und Vision. 

 

Hans Peter Blochwitz tritt stilistisch in die Fußstapfen eines Peter Pears. Sein „keuscher“ lichter Tenor in der reinen Unschuld und kreatürlichen Not des jungen verzweifelten Mannes lässt die heiße Stirn des Fiebernden, seine Schritte über Stock und Stein, durch kaltes Wasser fühlen. „Die Lebenswelt des Wanderers mischt sich mit der Kunstwelt des Liedsängers. Darsteller des  Wanderers und dargestellter Wanderer werden ununterscheidbar.“ (Rolf Breuer in seinem klugen Kommentar zu Zenders Winterreise). Blochwitz hält als Sänger den klassischen Part des Unterfangens, in Phrasierung und Textdeutung bleibt Blochwitz der Mittler der bekannten Geschichte, das flatternde Vöglein, schnäbelnd und zwitschernd in seinem letzten Lied auf dem lavaspeienden Vulkan der Leidenschaften. Die herzzerreissend melodramatisch gesprochenen Passagen weisen Blochwitz als exzellenten Dramatiker aus. 

 

Final möchte ich noch einmal Rolf Breuer zu Wort kommen lassen: „Die Doppel-CD kann nicht genug gelobt werden. Dem souveränen und eindringlich singenden Hans Peter Blochwitz und dem subtil und expressiv zugleich spielenden Ensemble Modern unter der Leitung des Komponisten/Interpreten Zender ist eine autoritative Wiedergabe gelungen, die ich sogar als definitiv nennen würde, wenn das nicht dem Geist von Zenders Unternehmen widerspräche.“ 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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