CD HANS SOMMER: Lied-Edition Vol.1 – mit Bariton JOCHEN KUPFER begleitet von Marcelo Amaral; NAXOS
Es ist nicht die erste Einspielung von Liedern des (Spät)Romantikers Hans Sommer, auf die Freunde von lyrischen Raritäten angewiesen sind. Vor zwei Jahren hat etwa der Bariton Sebastian Noack, begleitete von Manuel Lange am Klavier, eine sehr gute CD mit Liedern und Balladen herausgebracht. Die ganz Verwegenen können auch auf zweieinhalb Minuten einer Schellackplatte mit Leo Slezak zurückgreifen, wo er das Lied „Ganz leise“ zum Besten gibt.
Naxos hat in Kooperation mit BR Klassik mit diesem ersten Album einer auf drei CDs angelegten Serie also eindeutig die Nase vorne. Der Bariton Jochen Kupfer – er darf als nicht weniger als eine Offenbarung in Sachen Liedgesang gelten – und sein kundiger Begleiter am Flügel Marcelo Amaral können aus rund 300 im Nachlass in Berlin erhaltenen gedruckten und ungedruckten Liedern auswählen.
Warum diese melodisch eingängigen und erzählerisch so anschaulichen Lieder (stilistisch und harmonisch irgendwo zwischen Richard Wagner und Richard Strauss anzusiedeln; manche meinen, er wäre von Liszt ausgehend ein direkter Vorläufer von Hugo Wolf gewesen) mehr als ein Jahrhundert in der Versenkung verschwunden sind, ist schwer zu sagen. Bei den auf dem vorliegenden Album eingespielten Nummern (Minnesang Tannhäuser op. 5 Ausz.; zwei Lieder op. 22; Hunold Singuf, Rattenfängerlieder op. 4 Ausz.; Letztes Blühen op. 30; fünf Lieder op. 1; Lorelei op. 7; vier Lieder op. 40) handelt es sich jedenfalls überwiegend um längst überfällige Weltersteinspielungen.
Hans Sommer, der Vielbegabte, war Mathematiklehrer, Naturwissenschaftler und sogar vorübergehend Leiter einer Technischen Hochschule. Parallel zu dieser kognitiven Komponente fühlte er sich von früh an massiv zur Musik hingezogen. Später war Sommer ein in der Fachwelt anerkannter Spezialist für Linsensysteme zur Weiter- und Neuentwicklung optischer Apparate. Bevor er sich 1881 am Höhepunkt seiner wissenschaftlichen Karriere total in Richtung Musik umorientierte, betrieb er erste musikalische Ausbildung bei einem Chorleiter in Göttingen, versuchte sich als Kritiker und gehörte zu den frühen Förderern der Bayreuther Festspiele. Sommer gründete ferner den unter seiner künstlerischen Leitung stehenden ersten Braunschweiger Verein für Konzertmusik, erprobte ein Talent somit auch als Musikveranstalter. Wir müssen trotzdem bedenken, dass Sommer als spätberufener freier Musiker mit Mitte vierzig ungeachtet seines privaten Vermögens ein nicht geringes persönliches Risiko einging, konnte er doch weder genügend gut Klavier spielen noch Dirigieren; und als Musikpädagoge soll er auch nicht getaugt haben.
Eine erste Sammlung von fünf Liedern u.a. nach Texten von Nikolaus Lenau und Heinrich Heine – die auch in das vorzustellende Album Aufnahme fand, ging 1876 in Druck. Sonst war Hans Sommer, was die Wahl seiner Dichter der in den 80-er Jahren entstandenen Lieder betraf, durchaus weniger kritisch. Neben Eichendorff gab es viele „Butzenscheibenlyriker“ (der wievielten Reihe?), die Hans Sommer inspirierten. Vor allem Julius Wolff (er ist für die Textvorlagen von Opp. 4 und 5 verantwortlich) ist hier zu nennen, dessen Wahl Hans Sommer damit begründete, dass er damals kaum imstande gewesen wäre, die Edelsteine der Dichtung in angemessene Musik zu fassen.
Wir widersprechen hier ein wenig indigniert dem Komponisten und weisen auf die vielen unglaublich mediokren bis unsinnigen Texte (zahllose Operetten!) hin, zu denen nicht selten die schönsten Melodien erdacht wurden.
Wie dem auch sei, es lohnt sich, mit dem vielgestaltigen Liedschaffen von Hans Sommer auseinanderzusetzen. Natürlich gilt das für Liebhaber der Musik von Richard Strauss (der Hans Sommers als ausgezeichneten Künstler beschrieb) aber auch für all diejenigen, denen spätromantische Klangkunst per se nahesteht.
Jochen Kupfer ist der ideale Interpret für das Unterfangen. Künstlerisch reif, hat sich Kupfer sein jugendlich lyrisches Timbre bewahren können. Sein Edelbariton weiß mit der schwierigen Balance zwischen Tonqualität und Textverständlichkeit, den Erfordernissen von rezitativischem Parlando und großbogigen Kantilenen souverän zu jonglieren. Jochen Kupfer ist ein Meister der Gestaltung fein gedrechselter Binnenphrasen, ohne je die romantische Opulenz des Klangs zu vernachlässigen. Balsamischer Wohllaut und poetischer Sprachduktus, Klangmagie und dichterisches Credo gehen bei Kupfer eine Liebesehe ein. Nur an ganz wenigen Stellen bricht ein expressives Fortissimo zu sehr aus der Gesangslinie heraus.
Der brasilianische Pianist Marcelo Amaral versteht es als sensibler Begleiter, den Klavierpart mit einer eigenständig persönlichen Note zu versehen und das Projekt so in den Spannungskurven anzureichern. Empfehlung!
Dr. Ingobert Waltenberger