CD: HANDEL: ITALIAN CANTATAS – Sabine Devieilhe, Lea Desandre, Le Concert d’Astrée, Emmanuelle Haïm
Drei Power-Frauen für Händel
BBC Music Magazine Award Nominee 2020
Vom 9. bis 13. April 2018 hat Emmanuelle Haïm mit dem von ihr gegründeten Orchester „Le Concert d’Astrée“ und den Solistinnen Sabine Devieilhe (Sopran) und Lea Desandre (Mezzosopran) in der Église Notre-Dame-du-Liban in Paris italienische Kantaten und eine Trio-Sonate von Georg Friedrich Händel aufgenommen.
Die meisten der von Händel zwischen 1706 und 1723 komponierten Kantaten sind während seines Italien-Aufenthaltes von 1706 bis 1708 entstanden, viele davon, so auch „Aminta e Fillide (Arresta, arresta il passo, 1707, HWV 83)“, „Armida abbandonata (Dietro l’orme fugaci, 1708, HWV 105)“ und „La Lucrezia (O Numi eterni, 1707, HWV 145)“, für seinen römischen Mäzen Marchese Francesco Maria Ruspoli. Kantaten waren als Nachfolgerinnen der Madrigale zum Ende des 17. und Beginn des 18. Jahrhunderts die beliebtest Form vokaler Kammermusik. Neben zahlreichen Verbindungen zur Oper wie durchaus dramatischen Sujets oder die Abfolge Arie-Rezitativ war die ideale Form für die Aufführungen in Adelspalästen ein Grund der Popularität. Hinzu kommt, dass sie in Rom die einzige Möglichkeit waren, Sängerinnen, die ja nicht öffentlich auftreten durften, eine dramatische Bühne zu bieten.
„Aminta e Fillide“ ist eine der sieben Kantaten, die Händel für mehr als einen Sänger komponierte. Die Geschichte des Schäfers Aminta, der um Fillide wirbt und sie dann untypischerweise auch bekommt, zeigt wie nahe sich Pastorale und Kantate sind. Entstanden ist die Kantate für das erste Zusammentreffen Händels mit der Accademia degli Arcadi, deren Gastgeber Ruspoli war, und dürften im Palastgarten des Marchese uraufgeführt worden sein. Die Stimmen von Devieilhe und Desandre harmonieren aufs Schönste.
Auch „Armida abbandonata“ steht der zeitgenössischen Oper nah: sie ist länger als es die üblichen Kantaten der Zeit waren und verarbeitet das in den Opern populäre Sujet der Armida aus Torquato Tassos Kreuzfahrer-Epos „Gerusalemme liberata“ von 1581. In der für einen Sommeraufenthalt auf Ruspolis Landsitz entstandenen Kantate kann Devieilhe mit ihrem grossartigen Sopran brillieren.
Das Thema von „La Lucrezia“ gibt Raum für besonders intensive Gefühle der Protagonistin, die am Schluss dem Wahnsinn verfällt. Lucrezia fordert von den Göttern und der Unterwelt Rache an Sextus Tarquinius, dem Sohn des Königs, der sie, so will es die Überlieferung, 508 v.Chr. vergewaltigt haben soll, als ihr Gatte auf einem Belagerungsfeldzug war. Während es Lucrezia nicht verkraftet, dass die Götter und die Unterwelt ihren Wunsch nicht erfüllen, fegt eine Rebellion die tarquinische Monarchie hinweg. Die Republik entsteht. Hier kann Desandre nun zeigen, was in ihrem Mezzosopran steckt: von lyrischer Wärme bis zu mitreissender Dramatik stehen ihr alle Schattierungen zu Verfügung.
Die Trio Sonata in h-moll Op.2/1 HWV 386b, entstanden ebenfalls während des Italien-Aufenthalts, aber erst 1730 in London veröffentlicht, lockert die Abfolge der Kantaten angenehm auf.
„Le Concert d’Astrée“ überzeugt mit einer Leidenschaft, die in jedem Ton hörbar ist und findet in Emmanuelle Haïm, Sabine Devieilhe und Lea Desandre kongeniale Partner.
08.06.2020, Jan Krobot/Zürich