CD: Gustav Mahler Sinfonie Nr. 5 cis-moll. Radio-Sinfonieorchester des SWR, Gary Bertini musikalische Leitung, SWR Music, SWR19164CD
Gary Bertinis Mahler-Fünfte: Ein unterschätzter Glanzpunkt
Gustav Mahlers fünfte Sinfonie ist ein Werk der Widersprüche – verflucht und vergöttert, rätselhaft und doch von ergreifender Unmittelbarkeit. Kaum eine andere Sinfonie des Komponisten markiert einen so deutlichen Wendepunkt in seinem Schaffen wie diese, die sich jeder einfachen Deutung entzieht. Umso reizvoller ist es, eine Einspielung wie die von Gary Bertini und dem Radio-Sinfonieorchester Stuttgart des SWR aus dem Jahr 1981 wiederzuentdecken. Hier begegnet uns ein Dirigent, der Mahlers komplexe Partitur nicht mit bombastischer Geste überfrachtet, sondern mit kluger Zurückhaltung und feinem Gespür für die innere Dramaturgie gestaltet.
Bertini, ein stiller Mahler-Meister, dessen EMI-Gesamtaufnahme mit dem WDR Sinfonieorchester längst Kultstatus genießt, zeigt auch hier, warum er zu den großen Interpreten dieses Repertoires gehört. Sein Zugang ist weder exzessiv romantisch noch kühl analytisch, sondern findet jene seltene Balance zwischen struktureller Klarheit und emotionaler Tiefe. Das Stuttgarter Orchester folgt ihm mit einer Mischung aus Präzision und Hingabe, wobei der Klang stets transparent bleibt – kein leichtes Unterfangen angesichts der dichten Texturen und eruptiven Ausbrüche, die Mahlers Partitur verlangt.
Gleich zu Beginn, im markanten Trauermarsch, setzt Bertini auf eine düster-dröhnende Grundierung, ohne je ins Schwere zu erdrücken. Die Blechbläser agieren mit kantiger Schroffheit, doch immer bleibt Raum für die subtilen Zwischentöne, die melancholischen Seufzer der Holzbläser oder das fragile Aufblitzen der Harfen. Der zweite Satz wird bei Bertini nicht zur bloßen Attacke, sondern zeigt auch eine tänzerische Elastizität – ein Beleg für sein Gespür für Mahlers rhythmische Verspieltheit und dann auch wieder für die geforderte Vehemenz. Mit weitem Atem und kontemplativen Momenten zaubert Bertini ein scheinbar leichtes Scherzo, doch auch hier blitzen immer wieder Schattenmomente auf.
Doch das Herzstück der Sinfonie, das berühmte Adagietto, ist es, das Bertinis Interpretation besonders prägt. Viele Dirigenten neigen dazu, diesen Satz in schwelgerischer Langsamkeit zu ertränken; Bertini hingegen wählt auch eher ein getragenes Tempo, das jedoch fließt und die zarte Lyrik der Streicher ohne falsche Sentimentalität zur Geltung bringt. Es ist eine Interpretation, die anrührt, ohne zu rühren – ganz im Sinne Mahlers, der dieses Stück bekanntlich als Liebeserklärung an Alma komponierte.
Das Finale schließlich gerät unter Bertinis Händen zu einem triumphierenden, aber nie platten Ausklang. Die kontrapunktischen Verflechtungen der Themen werden mit beeindruckender Deutlichkeit herausgearbeitet, und doch bleibt der Gestus stets lebendig, fast improvisatorisch. Man spürt, wie sehr Bertini die innere Logik der Sinfonie durchdrungen hat – jenes scheinbar chaotische, aber in Wahrheit minutiös geplante Wechselspiel zwischen Tragik und Heiterkeit, das Mahlers Fünfte so einzigartig macht.
Die Klangqualität dieser SWR-Produktion ist erfreulich klar und ausgewogen, auch wenn die Aufnahme natürlich nicht den klinischen Glanz moderner Digitaltechnik besitzt. Mahler klingt hier eher trocken und damit wesentlich direkter. Doch genau diese leichte Patina verleiht der Einspielung einen warmen, fast historischen Charme.
Gary Bertinis Interpretation der Fünften ist keine, die mit spektakulären Effekten protzt, sondern eine, die durch ihre musikalische Intelligenz und ihre feine Nuancierung besticht. Sie erinnert daran, dass Mahler nicht nur der Komponist der gigantischen Klangmassen ist, sondern auch der intimsten, vielschichtigten Seelenzustände. Eine Entdeckung – nicht nur für Kenner, sondern für jeden, der sich auf diese rätselhafte, faszinierende Sinfonie einlassen möchte, die unter Bertinis Leitung deutlich anders tönt.
Dirk Schauß, im April 2025
Gustav Mahler
Sinfonie Nr. 5 cis-moll
Radio-Sinfonieorchester des SWR
Gary Bertini, musikalische Leitung
SWR Music, SWR19164CD