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CD Gustav Mahler 6. Symphonie – MusicAeterna, TEODOR CURRENTZIS – SONY

26.10.2018 | cd

CD Gustav Mahler 6. Symphonie – MusicAeterna, TEODOR CURRENTZIS – SONY

 

Der griechische Hitzkopf aus dem russischen Perm hat wieder zugeschlagen. Seine Interpretation bricht – wie nicht anders zu erwarten – mit vielen Hörgewohnheiten, vor allem im Kopfsatz. Currentzis sieht in dieser Symphonie den Archetypen der klassischen Tragödie. Im Andante fühlt er Mahler über seinen Kummer als einen Teil seines Wesens sprechen. „Es ist ein Kummer, den man fühlt, wenn man übers Land geht und die Glocken der Kühe und Schafe hört.“ Die Metaphysik früherer Tage wird zur Metaphysik der Natur. Mahlers Begabung besteht für Currentzis darin, eine einfache Form zu nehmen und in ihr die tiefergehende Schönheit aufzuspüren, eine Schönheit, für die andere blind sind und macht die für alle sichtbar. Als Gegensatzmittler zwischen Trost und Hoffnungslosigkeit wendet sich Mahler an die Verletzten. „Am Ende gibt es die völlige Katharsis. Diese Katharsis bewirkt, das man am Ende nicht vernichtet, sondern lebendiger als zuvor ist.“ Diesen Ansichten zu folgen, ist durchaus legitim. 

 

Klingt das auf der neuen Aufnahme dann in etwa so, wie Currentzis seinen interpretatorischen Ansatz wortreich beschreibt? In der dramatischen Wucht setzt Currentzis Sicht wohl neue Maßstäbe. Schon der einleitende Marsch im Allegro energico, ma non troppo klingt wesentlich schroffer und wie aus Eisen, so als wäre die Musik von Stravinsky oder Shostakovich. Mahlers selbst so bezeichnete „Neigung zu wüstem Lärm“ wird hier weitgehend entsprochen. Rein vom Tempo her ist Currentzis mit insgesamt 83:51 Minuten sogar langsamer als Rattle in seiner späteren Version. (Im Vergleich dazu brauchte Kondrashin  mit dem SWR Orchester knappe 68:24; siehe Besprechung unten). 

 

Sein Ansatz wird polarisieren, oder als überpointiert und übertrieben empfunden werden. Der ewige Hochdruck, das „Drunter und Drüber“ in den Akzenten, das schwere Geschütz, das hier ständig aufgefahren wird, kann auf Dauer ermüdend wirken. Abphrasieren ist Currentzis‘ Sache nicht, eher das kurzfristige dynamische Rückfahren. Wegducken kann sich aber hier auch wieder keiner. Die Hörprüfung, an deren Ende die erlösende Erfahrung stehen soll, erfordert Durchhaltevermögen, lohnt sich aber. Im Scherzo geht es brutal und kantig zur Sache, kein spätromantisches Licht ist hier auszumachen. Lediglich im Andante gibt es ein Innehalten, bevor das alle Dimensionen sprengende Finale eine Achterbahn der Gefühle einläutet. Für Currentzis beginnt hier die Neue Musik, die Musik der Moderne – der Vorhang hebt sich. Und das ist auch zu hören. Also Vorhang auf und willkommen für diese extreme Stahlbetonversion der Sechsten Mahlers.

 

Tipp: Die Aufnahme wird ab Dezember auch in Vinyl erhältlich sein.

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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