CD GLENN GOULD, FRIEDRICH GULDA: STREICHQUARTETTE, ACIES QUARTETT; Gramola
Dass Friedrich Gulda komponiert hat – und das nicht zu knapp – wissen und schätzen wir. Es war Teil seines generös barocken Menschseins, seiner vielschichtigen Persönlichkeit, seines immensen Ausdruckswillens. Gulda war auf irgend eine Art und Weise die moderne Inkarnation von Mozart und Schubert zugleich. Vom kanadischen Pianisten Glenn Gould ist Standardkenntnis, dass seine Bach-Interpretationen, vor allem seine „Goldberg-Variationen“, mit dem kristallin trockenen Anschlag zu einem der großen Mythen der klassischen Musik geworden sind. Als Interpret ist der exzentrische Gould mit all seinen Marotten und Hypochondrien im Olymp der Musikgeschichte gelandet. Genau so einsam wie in seinem kleinen Studio, in das er sich nach seinem frühen Bühnenabschied 1964 zurückzog und wo er sich u.a. auch als Schriftsteller betätigte. Bei Konzerten fühlte er sich zum Variétékünstler degradiert.
Beiden Pianisten gemeinsam war ihre Vielseitigkeit, ihr Hang zur Technik und ihre ganz eigene Vorstellung von Studio-Aufnahmen, wohl auch ihre Exzentrik dem Publikum gegenüber.
Glenn Gould versuchte sich in der Zeit vor dem großen Ruhm als Komponist. Sein ausuferndes Streichquartett (37 Minuten) mit der Opuszahl 1entstand 1953 bis 1955. Es war also der kompositorische Versuch eines etwas über Zwanzigjährigen mit noch ausgeprägtem Hang zur Dodekaphonie. In die Musik hat er aber neben einer Viertonzelle alles hineingepackt, was er offensichtlich liebte und wohin es ihn mit Kraft zog. Das einsätzige Streichquartett mäandert unentschieden zwischen Ansätzen an Zweiter Wiener Schule, Kontrapunkt und spätromantischer Üppigkeit à la früher Schönberg oder Richard Strauss. Das Acies Quartett (Benjamin Ziervogel Violine, Raphael Kasprian Violine, Jozef Bisak Viola, Thomas Wiesflecker Cello) hat das Stück schon im September 2016 im Barocksaal des Stift Voraus aufgenommen. Die grandios aufspielende Formation vermag sowohl der formal kantigen Strenge als auch dem wie in einen Blumenkranz geflochtenen Sinnenrausch Goulds gerecht zu werden. Das ist ganz und gar nicht einfach, da eins in das andere übergangslos wechselt bzw. gleichzeitig zu bedienen ist. Der Schwäche der Komposition, die sich ohne Ziel und wenig Struktur ständig in konzentrisch übereinander gelagerten Kreisen um sich zu drehen scheint, steht ein trotz allem wunderbares Hörerlebnis gegenüber, unter der Voraussetzung, der Musikfreund lässt sich auf diese kurvenreiche, teils schwindelerregende Wanderschaft in spätromantischem Klangdickicht aufs Geratewohl ein.
Friedrich Gulda hat sein dreisätziges Streichquartett in fis-Moll ebenfalls Anfang der Fünzigerjahre geschrieben. Gulda war Schüler des Joseph Marx. In sein gekonnt konstruiertes Werk nahm er alles auf, was in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts gut und teuer war. Im Presto sind von Strawinksky über Bartok bis zu Shostakovich markante stilweisende Vorbilder auszumachen. Im letzten Satz Tranquillo singt die erste Violine Lieder in Einsamkeit, bevor sich die melodischen Elemente zu einem Miteinander schnüren. Eine elegische Stimmung liegt über dem Stück, dazwischen gesetzt rhythmisch energische Ausbrüche, Anklänge an Folklore, ein dichter Satz voller Lyrik und granitener Schönheit.
Auch hier stellt das Acies Quartett seine Meisterschaft unter Beweis. Diesmal mit Simon Schnellnegger an der Bratsche. Trotz der Komplexität der Partitur ist ihr Spiel von großer Klarheit getragen. Das Acies Quartett überzeugt und erfreut den Hörer uneingeschränkt mit Verve, Energie, insgesamt höchster Spiellust und einem umwerfenden technischen Können. Empfehlung!
Dr. Ingobert Waltenberger