CD: GIOVANNI SIMONE MAYR: Messa solenne IN D MINOR • Concerto de Bassus, Fritz Hauk
Weltersteinspielung
Eine Offenbarung!
«Kyrie in d-Moll, von großem Ausdruck, sanft, religiös, mit wunderschönem Gesang, dessen erstes Stück fugiert endet und das zweite von sehr voller Wirkung mit Passagen für zwei Trompeten ist; Gloria in Es-Dur, wo es ein wunderschönes Quartett zu den Worten et in terra pax gibt. Auch bewundernswert ist das Cum Sancto aufgrund einer Fuge, die mit bizarren Gedanken und neuen, köstlichen Mitteln durchwoben ist.»
(Girolamo Calvi (1791–1872), erster Biograph Johann Simon Mayrs, in seiner gedruckten Übersicht der geistlichen Werke von Mayr (Nr. 27))
Das Label Naxos und der Dirigent und Musikwissenschaftler Franz Hauk führen ihren verdienstvollen Einsatz für den Komponisten Giovanni Simone Mayr mit der Weltersteinspielung der Messa solenne in d-Moll weiter.
Zu den Komponisten, die einmal die Spielpläne dominierten, dann vergessen gingen, und noch nicht (wirklich) wieder entdeckt wurden, gehört der Bayer Johann Simon Mayr. Giovanni Simone Mayr, wie er sich später in Italien nannte, wurde am 14. Juni 1763 in Mendorf im Altmühltal geboren. Bevor er um 1773 einen Freiplatz am Gymnasium der Jesuiten in Ingolstadt erhielt, führte ihn sein Vater, Lehrer und Organist, an die Musik heran. Um 1780 wurde der Bündner Thomas Franz Maria de Bassus, Studiendirektor und Gründungsmitglied des Illuminatenordens, auf den jungen Organisten aufmerksam und förderte ihn nach Kräften. 1787 floh Mayr mit de Bassus, auf dessen Schloss Sandersdorf, wo er als Musiklehrer tätig war, nach Poschiavo. Seit den 1780er-Jahren besass de Bassus hier, im Heimatort seiner Familie, wo er mehrfach das Amt des Podestà bekleidete, eine Druckerei, in der er aufklärerische Schriften und ein eigenes, laizistisches Schulbuch druckte. Unklar ist, wie Mayr dann von Poschiavo nach Bergamo kam. Möglicherweise war sein zukünftiger Lehrer Carlo Lenzi einmal in Bayern und wurde so auf Mayr aufmerksam (Vermerk auf der Lamentazione seconda per il Mercoledì Santo (1771): »di Carlo Lenzi Maestro a Baviera in Germania«.) In Bergamo wurde Graf Vincenzo Pesenti, Musikliebhaber und Mitglied des lokalen Hochadels, Mayrs neuer Förderer und schickte ihn 1789, als Mayr mittellos nach Bayern zurückkehren wollte, mit allem Nötigen nach Venedig, um sich dort weiterzubilden. In Venedig widmete sich weiter der Sakralmusik und erhält Unterricht von Fernando Bertoni, Kapellmeister von San Marco. Ermutigt von Komponisten wie Niccolò Piccinni und Peter Winter 1794, begann in der Lagunenstadt Mayrs Karriere als Opernkomponist. Rasch wurde Mayr zum bedeutendsten Opernkomponisten Italiens jener Zeit. Als Mayr 1802 die Kapellmeisterstelle an Santa Maria Maggiore in Bergamo übernehmen konnte, kehrte er, der sich wie es scheint mit dem zeitgenössischen Opern-Business nie anfreunden konnte und in Venedig nicht wirklich heimisch wurde, ins ruhige Bergamo zurück. Hier sollte Mayr, dem erfolglos Theaterdirektionen in Lissabon, Paris, London und Sankt Petersburg, der Kapellmeisterposten in Dresden oder die Leitung des Liceo Musicale in Bologna angeboten wurden, bis zu seinem Lebensende bleiben und sich engagieren. Seit den 1820er-Jahren liess Mayrs Augenlicht nach und entsprechend auch sein kompositorisches Schaffen. Am 2. Dezember 1845 starb Mayr 82jährig in Bergamo. Dreissig Jahre später, 1875 wurden die Särge von Mayr und seinem Schüler Gaetano Donizetti feierlich in die Basilika Santa Maria Maggiore übertragen.
Worin liegt nun die Bedeutung des noch nicht Wiederentdeckten? Giovanni Simone Mayr ist der „Missing link“ zwischen der Opera seria des 18. Jahrhunderts und der romantischen Oper und dem Melodramma des 19. Jahrhunderts. Mayr brachte die Wiener Klassik, die französische und italienische Oper seiner Zeit zusammen und schuf einen genuin neuen Stil und Mayrs Instrumentationskunst und Behandlung der Singstimmen ist eine interessante und bereichernde Ergänzung zum Kanon der Belcantisten Rossini, Bellini und Donizetti.
Und die Messa solenne in d-Moll ist klingender Beweis für Mayrs Kombination der bestehenden Stile, aus der er dann etwas genuin Neues erschaffen hat. In seiner Privatbibliothek finden sich zahlreiche geistliche Werke aus dem süddeutschen und österreichischen Raum, prominent darunter Werke von Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart und Joseph Eybler. Diese dienten ihm als Anregung für sein Schaffen im Bereich der geistlichen Musik, das er aber immer mit dem italienischen Stil. Zu den Charakteristika seiner Messen, die zur Gattung der «Messa concertata» gehören, äussert sich Mayr in der Antwort auf eine Anfrage aus Paris, Partituren einiger Messen zur Ansicht zu übersenden: «In der Lombardei sind feierliche Messen nichts anderes als eine Art Akademie, da abgesehen von zwei Ripieno- Abschnitten im Kyrie und zwei im Gloria der gesamte Rest nur aus den sogenannten Versetten besteht; d.h. aus langen Arien , wobei fast alle mit einem oder zwei beliebigen Instrumenten besetzt sind und dabei diese mit obligaten Partien kleinen Konzerten ähneln. Auf diese Weise überschreiten diese beiden Stücke allein, nämlich das Kyrie und Gloria, [zu] oft die Dauer von anderthalb Stunden. Dann werden weder das Sanctus noch das Benedictus, Agnus Dei etc. gesungen». Die Concertato-Abschnitte der Messe, Arien mit obligatem Instrument, quellen über vor lauter Farbigkeit und Wohlklang und lassen rasch, sehr rasch vergessen, dass man einer Messe beiwohnt. Jeder Abschnitt für sich lässt Mayrs geniale Instrumentierungskunst aufscheinen. Beispielhaft sei hier das «Qui tollis» und «Qui sedes» erwähnt, dass der Tenor mit zwei Hörnern und dem Chor bestreitet. Und da die Messa solenne in d-Moll als eine der wenigen Messen Mayrs das ganze Ordinarium enthält, dauert der Genuss auf der vorliegenden Aufnahme 96 Minuten.
Franz Hauk dirigiert das von ihm mitbegründete Concerto de Bassus (Konzertmeisterin ist die Mitbegründerin Theona Gubba-Chkheidze) und bringt mit dem ihm bestens vertrauten Klangkörper Mayrs herrliche Musik traumhaft süffig zu Gehör. Die Instrumentalisten brillieren in den Concertato-Abschnitten. Der 2003 von Hauk gegründete Simon Mayr Chorus steht dem Orchester in Sachen Musikalität und Wohlklang in Nichts nach.
Die Solisten, eiun jeder stilistisch höchst versiert und mit purem Wohlklang am Werk, die Sopranistinnen Anna Feith und Bogna Bernagiewicz, die Altistin Freya Apffelstaedt, die Tenöre Markus Schäfer und Fang Zhi und Bass Niklas Mallmann, krönen die Aufnahme.
Eine Offenbarung!
22.03.2023, Jan Krobot/Zürich