Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CD: GIOVANNI SIMONE MAYR: AMOR NON HA RITEGNO • Concerto de Bassus, Franz Hauk. Weltersteinspielung. Liebe kennt keine Zurückhaltung

15.06.2025 | cd

CD: GIOVANNI SIMONE MAYR: AMOR NON HA RITEGNO • Concerto de Bassus, Franz Hauk

Weltersteinspielung

Liebe kennt keine Zurückhaltung

Das Label Naxos und der Dirigent und Musikwissenschaftler Franz Hauk führen ihren verdienstvollen Einsatz für den immer noch weitgehend vergessenen Komponisten Giovanni Simone Mayr (1763-1845) mit der Einspielung der Opera semiseria («Amor non ha ritegno») «Liebe kennt keine Zurückhaltung» fort.

unbenannt

Zu den Komponisten, die einmal die Spielpläne dominierten, dann vergessen gingen, und noch nicht (wirklich) wieder entdeckt wurden, gehört der Bayer Johann Simon Mayr. Giovanni Simone Mayr, wie er sich später in Italien nannte, wurde am 14. Juni 1763 in Mendorf im Altmühltal geboren. Bevor er um 1773 einen Freiplatz am Gymnasium der Jesuiten in Ingolstadt erhielt, führte ihn sein Vater, Lehrer und Organist, an die Musik heran. Mit Orgelspiel und Gelegenheitsunterricht finanzierte er seinen Unterhalt. Um 1780 wurde der Bündner Thomas Franz Maria de Bassus, Studiendirektor und Gründungsmitglied des Illuminatenordens, auf den jungen Organisten aufmerksam und förderte ihn nach Kräften. 1787 floh Mayr mit de Bassus, auf dessen Schloss Sandersdorf, wo er als Musiklehrer tätig war, nach Poschiavo. Seit den 1780er-Jahren besass de Bassus hier, im Heimatort seiner Familie, wo er mehrfach das Amt des Podestà bekleidete, eine Druckerei, in der er aufklärerische Schriften und ein eigenes, laizistisches Schulbuch druckte. Unklar ist, wie Mayr dann von Poschiavo nach Bergamo kam. Möglicherweise war sein zukünftiger Lehrer Carlo Lenzi einmal in Bayern und wurde so auf Mayr aufmerksam (Vermerk auf der «Lamentazione seconda per il Mercoledì Santo» (1771): «di Carlo Lenzi Maestro a Baviera in Germania».) In Bergamo wurde Graf Vincenzo Pesenti, Musikliebhaber und Mitglied des lokalen Hochadels, Mayrs neuer Förderer und schickte ihn 1789, als Mayr mittellos nach Bayern zurückkehren wollte, mit allem Nötigen nach Venedig, um sich dort weiterzubilden. In Venedig widmete sich weiter der Sakralmusik und erhält Unterricht von Fernando Bertoni, Kapellmeister von San Marco. Ermutigt von Komponisten wie Niccolò Piccinni und Peter Winter, begann mit «Saffo» (La Fenice, 1794) und «Lodoïska» (La Fenice, 1796) in der Lagunenstadt Mayrs Karriere als Opernkomponist. Rasch wurde Mayr zum bedeutendsten Opernkomponisten jener Zeit, der bis zum Ende seines kompositorischen Schaffens für das Fenice, die Scala, das Kärntnertortheater und viele andere Theater über 70 meist sehr erfolgreiche Opern komponierte. Als Mayr 1802 die Kapellmeisterstelle an Santa Maria Maggiore in Bergamo übernehmen konnte, kehrte er, der sich wie es scheint mit dem zeitgenössischen Opern-Business nie anfreunden konnte und in Venedig nicht wirklich heimisch wurde, ins ruhige Bergamo zurück. Hier sollte Mayr, dem erfolglos Theaterdirektionen in Lissabon, Paris, London und Sankt Petersburg, der Kapellmeisterposten in Dresden oder die Leitung des Liceo Musicale in Bologna angeboten wurden, bis zu seinem Lebensende bleiben und sich im musikalischen und gesellschaftlichen Leben der Stadt engagieren. Eine der wichtigsten Taten Mayrs war die Gründung der «Lezioni caritatevoli di musica»: einer Musikschule für minderbegüterte Hochbegabte. Berühmtester Schüler Mayrs und der «Lezioni caritatevoli» wurde Gaëtano Donizetti. Kompositorisch widmete sich Mayr immer stärker der Sakralmusik (Messen und Oratorien). Seit den 1820er-Jahren liess Mayrs Augenlicht nach und entsprechend auch sein kompositorisches Schaffen. Am 2. Dezember 1845 starb Mayr 82jährig in Bergamo. Dreissig Jahre später, 1875 wurden die Särge von Mayr und seinem Schüler Gaetano Donizetti feierlich in die Basilika Santa Maria Maggiore übertragen.

Worin liegt nun die Bedeutung des noch nicht Wiederentdeckten? Giovanni Simone Mayr ist der „Missing link“ zwischen der Opera seria des 18. Jahrhunderts und der romantischen Oper und dem Melodramma des 19. Jahrhunderts. Mit seinem musikalischen Wissen entwickelte Mayr aus dem Stil Cimarosas, Paisiellos und der italienischen Opern Mozarts Musiksprache des Primo Ottocento. Begünstigt durch das durch die Französische Revolution in den 1790er Jahren starke Zunehmen von Opera semiseria Farsa sentimentale, beide mit larmoyanten Grundton, konnte Mayr das gegenseitige Durchdringen von Seria und Buffa «moderieren». Vor dem Hintergrund seiner Kenntnis der deutschen Musik, vor allem der Wiener Klassik, entwickelte Mayr ein neues Klangspektrum hinsichtlich Instrumentation, Orchesterbehandlung und Harmonik und konnte dieses auf Grund seines Ranges als einer der zeitgenössisch bedeutendsten Komponisten auch wirksam bekanntmachen. Mayr brachte die Wiener Klassik, die französische und italienische Oper seiner Zeit zusammen und schuf einen genuin neuen Stil und seine Instrumentationskunst und Behandlung der Singstimmen ist eine interessante und bereichernde Ergänzung zum Kanon der Belcantisten Rossini, Bellini und Donizetti.

Mayrs am 18. Mai 1804 im Teatro alla Scala zu Mailand uraufgeführtes melodramma eroicomico «Amor non ha ritegno» (auch z.B. 1813 in Bergamo: «La fedeltà delle vedove») nach einem Libretto von Francesco Marconi nach Vorlage («La donna contraria al consiglio») von Carlo Gozzi zeigt das gegenseitige Durchdringen von Seria und Buffa in nahezu idealer Weise. Der deutsche Musikwissenschaftler Ludwig Schiedermair (1876-1957) beschreibt das melodramma eroicomico in seiner Habilitationsschrift (Universität Marburg, 1906) «Beiträge zur Geschichte der Oper um die Wende des 18. und 19. Jahrhunderts» (2 Bände; Breitkopf & Härtel, Leipzig 1907/1910).

Donna Luigia, Prinzessin von Zamora, ist Witwe geworden und trauert im Schloss schwermütig um ihren Gatten. Ihre Hofdamen Laurina und Elena berichten von den vergeblichen Versuchen von Literaten, Mediziner und Philosophen den Schmerz der Fürstin zu heilen. Zu allem Übel brennt auch noch das Schloss. Die Liebhaber geben sich unterdessen die Klinke in die Hand: Herzog Don Alessandro mit seinem Knappen Giannetto, Don Fulsbergo und Don Morione. Allein im Schloss verzweifelt Donna Luigia schier an ihrer Trauer. Laurina und Elena versuchen sie mit der Zuführung zweier Philosophen, den als athenischen Weisen verkleideten Don Alessandro und Giannetto, erfolglos abzulenken. Aus Trotz plant Donna Luigia eine Jagd und ein Fest. Don Morione und Don Fulsbergo präsentieren sich der Prinzessin als unsterbliche Liebhaber; der Herzog hält sich als unbekannter Ritter mit herabgelassenen Visier im Hintergrund, was unweigerlich Donna Luigias Interesse weckt. Die Rivalen Don Morione und Don Fulsbergo treffen aufeinander: ein Duell wird aber verworfen. Auf der Jagd im Wald sucht Donna Luigia den unbekannten Ritter und die Ereignisse überschlagen sich: Don Morione und Don Fulsbergo flüchten vor einem wilden Schwein. Donna Luigia scheitert daran einen reissenden Fluss zu überqueren und ruft in Todesangst um Hilfe. Der Herzog erscheint und tötet das wilde Tier: Donna Luigia gelingt es nicht, den unbekannten Ritter festzuhalten. Ein Gewitter zieht auf und entlädt: die Jagdgesellschaft sucht ängstlich Schutz.

Das Fest ist zu Ende gegangen: Der unbekannte Ritter hat im Turnier Don Fulsbergo und Don Morione besiegt. Als ihm die Prinzessin ein Medaillon des Sieges zusteckt, reicht der Ritter das Zeichen weiter an Laurina, was unweigerlich der Prinzessin Eifersucht erregt. Sie forscht weiter nach dem Unbekannten. Don Fulsbergo und Don Morione fordern eine Wiederholung des Duells: es erreicht sie ein Schreiben des unbekannten Ritters, dass er sie im Garten erwarte. Fulsbergo tritt in den Ring, wird aber vom Herzog besiegt; Morione schreckt anschließend vom Kampf zurück. Die Prinzessin erhält das Porträt, das der Herzog im Kampf verloren hat: Abgebildet sind die Fürstin mit ihren unbekannten Retter. Amor beginnt langsam zu wirken: Elena fühlt sich zu Morione hingezogen, Laurina zu Fulsbergo. Elena unterbreitet ihrer Herrin ein Schreiben des Rats und mehrere Portraits: Das Volk wünscht sich wieder einen Fürsten. Die Fürstin studiert das Portrait des unbekannten Ritters, ihres Retters: Es ist der Herzog von Valencia. Das Problem ist, dass mit dieser Dynastie eine historische Feindschaft besteht. Die Prinzessin kämpft mit sich selbst, aber schliesslich siegt die Liebe über die Vernunft. Die Prinzessin wendet sich dem Herzog zu, die Favoriten von Don Morione und Giannetto sind nun Elena und Laurina. Auf dem nächtlichen Garten-Fest finden sich die Prinzessin und der Herzog endgültig: Die Liebe kennt keine Zurückhaltung, keine Grenzen.

Die Handlung wirkt in der Gegenwart reichlich seltsam, vielleicht sogar abstrus, entspricht aber völlig dem Zeitgeschmack. Marconi hatte das Libretto bereits für ein früheres Werk des Komponisten früheres Werk von Giuseppe Nicolini erstellt, die Figuren für Mayr aber mit neuen, ausgesprochen pointierten Charakterzügen versehen. Im ersten Akt ist die Prinzessin Donna Luigia die kapriziöse Witwe, die von elegischem Schmerz erfüllt, ihren verlorenen Gatten beklagt. Im zweiten Akt tritt

Liebessehnsucht an die Stelle ernster Trauer und leidenschaftlicher Wutausbrüche. Die Rolle des Herzogs Don Alessandro ist der klassische schmachtende Liebhaber der italienischen Oper. Don Fulsbergo und Don Morione sind zwei Spielbässe und, gerade im 2. Akt, wo sie vor dem Wildschwein auf Bäume flüchten, klassische Figuren der Opera buffa.

Schon Mayrs Zeitgenossen berichteten von einer exquisiten Perfektion der Musik. Neben der luftig-leichten Sinfonia enthält die Partitur an rein instrumentalen Stücken noch zwei Märsche, die an die «Türken-Opern» erinnern, wovon einer nur für Bläser instrumentiert ist. Zahlreiche Gesangsstücke, auch die Secondarier sind von Mayr mit Arien bedacht und in herrlich melodischen Ensembles viel beschäftigt, sind von delikaten Instrumental-Soli (Horn, Kontrabass, Chitarra) begleitet. Passagen wie der Jäger-Chor und die darauffolgende Gewitterszene erinnern stark an die französische Oper. Das Concerto de Bassus unter Franz Hauk setzt Mayrs Partitur mit Verve und wunderbar herbem Klang historisch informiert um. In jeder Note des so wunderbar leicht scheinenden Spiels wird die Vertrautheit mit Mayrs Schaffen hör- und spürbar. Gleiches gilt es vom Simon Mayr Chor zu berichten. Nur zu gerne würde man diese Kollektive live erleben!

Yeree Suh gibt die Donna Luigia klarem, warmem, sicher geführtem Sopran reich an Farben. Die Höhen kommen klar, die Koloraturen sicher. Markus Schäfer überzeugt mit dem lyrischen Timbre seines Tenors. Die Stimme ist hell, höhensicher und mit Leichtigkeit geführt. Niklas Mallmann gelingt die Partie des Don Fulsbergo mit seiner Schwierigkeiten mit der italienischen Sprache wunderbar. Die Arie «Mi star furpe» mit grotesker Kontrabass-Begleitung kann komischer kaum gelingen. Der Bass von Daniel Ochoa ist etwas dunkler timbriert und bietet so einen guten Kontrast zur manchmal fast baritonal wirkenden Stimme Mallmanns. In Sachen (stimmlicher) Komik lässt auch er nichts zu wünschen übrig. Anna Feith als Laurina überzeugt mit kristallklarem, virtuos geführtem Sopran. Anna-Doris Capitellis Stimme ist leicht dunkler timbriert und klingt voluminöser. Philipp Polhardt gibt den Edelknaben Giannetto mit luftig leichtem Tenore di grazia.

Ein herrlich instrumentiertes Meisterwerk des frühen Ottocento harrt der Entdeckung!

 

15.06.2025, Jan Krobot/Zürich

 

Diese Seite drucken