CD GIACOMO PUCCINI „ TURANDOT“ – Aufwändige Studioproduktion mit Sondra Radvanovsky, Jonas Kaufmann, Ermonela Jaho und Michael Spyres; Warner
„Turandot ist durchdrungen von einer wunderschönen Subtilität, die in einer Oper voll beißender Ironie hervortritt. Puccini bewegt sich zwischen Tragödie und Leichtigkeit, das gefällt mir sehr!“ Antonio Pappano
Antonio Pappano versteht sein Handwerk. Obwohl es seine erste aktive musikalische Auseinandersetzung mit Puccinis unvollendetem Letztling ist, gelingt dem langjährig an der Londoner Covent Garden Opera wirkenden Maestro in einer enormen Kraftanstrengung mit dem Orchester und dem Chor der Accademia Nazionale di Santa Cecilia im Parco della Musica in Rom eine beeindruckende Studio-Einspielung: ganz nach altmodischer Art in luxuriösen neun Aufnahmetagen (28.2-8.3.2022) und einer nach heutigen Begriffen ersten Starbesetzung bis hin zu den kleineren Rollen von Timur und Turandots Vater Altoum realisiert.
In erster Linie fasziniert, wie Pappano das hybride Werk anpackt. Wenn es bei „Turandot“ um mehr als um den Wettstreit über das jeweils markerschütterndste Gebrülle und länger gestemmte Spitzentöne von Sopran und Tenor gehen soll, dann ist Pappano der richtige Mann. Er legt enorm viel Wert auf eine höchstmögliche orchestrale Differenzierung, auf eine dramaturgisch gewichtete Balance zwischen den Streichern und den erweiterten Bläser- und Schlagzeuggruppen als auch auf die Schaffung der genuin passenden Stimmungen sowohl in den gigantischen Chören voller zeremoniellem Pomp samt geschwätzigen Höflingen und der von ‚primitiven Urgefühlen‘ gezeichneten Menge sowie in die Feinzeichnung der Figuren des Stücks.
Dem für Puccini so typischen und in „Turandot“ auf die Spitze getriebenen Nebeneinander von sarkastischem Geschwätze/Parlando und hochemotionalem Pathos, von zartestem Gefühl und weit ausholender theatralischer Geste, von klanglichen Exotismen (chinesische Spielart der comedia dell’arte) und französisch impressionistisch inspirierter Instrumentierung, von scharfen Rhythmen à la Stravinsky und kosmisch futuristischen Klangflächen, weiß Pappano nicht nur mit detailreich ausgetüfteltem Gesamtkonzept, sondern auch mit sicherer Bühnenpranke zu entsprechen. So erreicht Pappano, dass „Turandot“ nicht in oberflächlichem Bombast erstickt, sondern das Märchen im Innersten belebt wird, das sich der Dichter Carlo Gozzi als Parabel des Triumphs der Liebe über grausame Starre und den Missbrauch absoluter Machtfülle ausgedacht hat und das Giuseppe Adami & Renato Simoni zu einem zünftigen Opernlibretto verarbeitet haben.
Freilich ist die Oper auch eine alle Märchenmaße sprengende Sado-Maso Story zwischen der eisumgürteten, kein Stimmstahl scheuenden Prinzessin und ihrem feurig todesmutigen Werber um Gunst und Macht, ein gigantomanischer Ringkampf der Geschlechter, eine Geschichte des Erkennens und der Wandlung, schlichtweg eine hübsche Utopie. Da trägt Puccini im Tenorhit „Nessun dorma“ sowie der sopranröhrigen Auftrittsarie der männermordenden Titelheldin „In questa reggia“ und dem Duett Turandot-Calaf wahrlich dicke auf. Und liefert so den besten dramatischen Sängerinnen und den silbern am hellsten strahlenden Tenorhelden üppige Vorlagen für olympisches Stimmleistungsshowbusiness und eine wagnerisch-tristansche Variante dafür, wie Liebe stimmlich lauthals optimal funktionieren soll.
Puccini versteht es zudem gleichermaßen, mit einer seiner subtilsten und liebenswertesten Frauengestalten, nämlich der reizenden und selbst im Tode noch dezent zurückhaltenden Sklavin Liu zu überraschen. Sinnbild der unverbrüchlichen Treue bis in den Tod, setzt Ermonela Jaho in dieser Partie Maßstäbe. In seelenlandschafts-abgestuften Pastellfarben und innigsten Piani haucht sie ihre einsame Liebe und ihre jegliches Schicksal anklagenden Folterschreie in den Äther. Rein aus einem bruchlos funktionierenden und in aller Intensität leuchtenden Sangesvermögen heraus gestaltet Jaho diese im Innersten einzige aristokratische Figur der Oper leidenschaftlich, unbedingt, nobel um ihren Platz bewusst. Trotz der vielen solitären Diven und großartigen Sängerinnen in dieser Partie vor ihr, wie Moffo, Freni, Scotto, Ricciarelli oder Caballé, um nur einige zu nennen, empfinde ich persönlich Jaho vielleicht als die beste und eindringlichste aller Lius der Schallplattengeschichte.
Sowohl bei Turandot und als auch bei Calaf handelt es sich um Rollendebüts zweier durch Timbre und hohes Künstlertum auf ihre Art einzigartigen wie auch medial und von der Tonträgerindustrie gehypten Stars der Oper. Beide agieren im in jeder Hinsicht absoluten Grenzbereich ihrer Möglichkeiten, lassen aber letztlich durch den hundertprozentigen Einsatz und die Erfahrung im Umgang mit ihren aktuellen vokalen Mitteln aufhorchen.
Sondra Radvanovsky, die diese Partie demnächst auf der Bühne in Zürich darstellen wird (Premiere 18.6.2023, Calaf Piotr Beczala), ist ein besonderer Fall. Mit einer der voluminösesten Sopranstimmen und vom Stimmcharakter her gewöhnugsbedürftigsten Timbres ausgestattet, ist ihre Schallplatten-Turandot final ein großer Wurf geworden. Vom Belcanto-Fach herkommend, ist Radvanovsky mit ihrem seltsam metallenen, kurz vibrierenden Sopran, der in den Piani zu luxuriösen Kuppeltönen befähigt ist, eine hochinteressante Interpretin. Erwartungsgemäß schafft sie die hohen und höchsten Fortissimi-Lagen nicht ohne Schärfen (Wer außer der jungen Rysanek – von der leider nur die Auftrittsarie in zwei Versionen erhalten ist – hätte das noch verführerisch feminin gesungen?). Hingegen faszinieren gerade die leiseren Töne. Die dramaturgisch zwar fragwürdige, aber musikalisch (zumindest in der Alfano-Fassung) genüsslich auskomponierte Wandlung der Figur von der spinnenartigen ‚Schwarzen Witwe‘ hin zur liebesschmachtenden Frau vollzieht sie vorzüglich. Ob die Sängerin allerdings gut beraten ist, auf der Bühne auf Turandot und kolportiert bald auf die Isolde zu setzen, steht auf einem anderen Blatt.
Jonas Kaufmann hat mich in letzter Zeit live im Theater enttäuscht. Ich habe ihn zuletzt in Wien als „Andrea Chenier“ an der Wiener Staatsoper kurzatmig und stumpf klingend erlebt. Kaufmanns Atouts sind sein besonders sämiges und charaktervoll viriles Timbre, seine stilistische Vielfalt und die stupende Sprachbegabung, seine ganz ihm eigene Mischung aus deutschem Gestaltungswillen und Latin Lover-Charme. Die beiden berühmtesten Rollenvertreter vor ihm, die mit dieser Partie auch ihre Karriere markiert haben, waren Franco Corelli und Luciano Pavarotti. Beide verfügten über helle, silbern strahlende Tenorstimmen, perfekten Stimmsitz und technisch sichere, endlose Höhen. Jonas Kaufmann kommt in der aktuellen Stimmverfassung bei aller Dramatik seines baritonal gefärbten Tenors nicht (mehr) ohne stentorhafte Kraft und ziemlichen Druck aus. Daraus resultiert eine bronzen-erdige Massivität, und damit einhergehend eine gewisse Eindimensionalität der sowieso schon so machohaften Figur, die sich am Ende der berühmtesten und fußballstadiontauglichsten Tenorarie der Operngeschichte seines Siegs sehr gewiss ist. Ob als Durchhalteparolen zum Zug zur Liebe oder Liebe als sportliche Machtübung begreifend, ist einerlei. Aber Jonas Kaufmann ist ein schlauer Profi und natürlich machen sich sein Wissen um tenorales Charisma und die Anstrengung im heldischen Auftrumpfen am Ende bezahlt. Da hat man hoffentlich schon vergessen, wie sehr er sich zu Beginn seines Parts vergeblich um Flexibilität und Leichtigkeit der Tonprojektion bemüht.
Der großartige und von mir äußerst geschätzte Baritenor Michael Spyres ist in der Charaktertenorpartie des Altoum verschenkt und hinterlässt keinen bleibenden Eindruck. Er hat sich damit und seinem Label keinen besonderen Gefallen getan. Wenn ich da an den greisen Waldemar Kmentt in der von Lorin Maazel dirigierten Premiere an der Wiener Staatsoper zurückdenke….
Die restliche Besetzung entspricht ohne Ausreißer nach oben oder unten dem Standard solcher luxuriösen Studioproduktionen.
Gespielt wird – durchaus gewinnbringend – in der Fassung des von Franco Alfano posthum komplettierten Finales, ohne die üblichen von Arturo Toscanini durchgefochtenen Kürzungen. Da sich am 29. November 2024 der Todestag Puccinis zum 100. Mal jährt, darf gegenständliche Aufnahme als vorweggenommene Hommage und primär dank Pappano als gelungener Versuch einer Neubewertung dieser vielfach geschmähten wie von großen Teilen des Publikums gleichermaßen verherrlichten Oper verstanden werden. Mit keiner vergleichbaren Aufnahme (da bietet sich rein aufnahmetechnisch die DECCA Aufnahme unter der musikalischen Leitung von Zubin Mehta am ehesten an) sind die Fortschrittlichkeit der Kompositionsweise Puccinis (Stichwort: innovative Bitonalität), seine kühne und Grenzen auslotende Radikalität besser zu bestaunen als mit dieser Neuveröffentlichung, die trotz manch sängerischem Vorbehalt viel Zuspruch verdient.
Abschließend noch die aufschlussreichen Anmerkungen des Dirigenten zur speziellen Covid-Aufnahmesituation vor Ort: „Interessanterweise erwiesen sich die schwierigen Umstände bei dieser Aufnahme (mit relativ strikten COVIDRegeln als sehr geeignet für die Klangwelt dieser Oper. Der Chor war sehr weiträumig auf der Empore verteilt, mit einem Abstand von zwei Metern zwischen jedem Sänger; damit bildeten sie ein weites Panorama vor mir. Ungewöhnlicherweise mussten die Solisten hinter dem Orchester und nicht in dessen Mitte plaziert werden, weshalb wir dieses ein wenig nach vorne rückten, sodass die Sänger vor der Rückwand der Bühne des Santa Cecilia-Konzertsaales standen. Zunächst bedeutete dies, dass es tatsächlich sehr schwierig war, ein kohärentes Ensemble zu erzielen. Aber sobald die Sänger und ich daran gewöhnt waren, empfanden sie die
erreichte Resonanz (mit der Wand direkt hinter ihnen) als sehr angenehm, und dank dieser Resonanz konnte ich sie viel besser hören, als ich jemals erwartet hätte. Das half mir an den Stellen mit äußerst flexibler und textbetonter Musik, und zudem veranschaulichten die weite Räumlichkeit und der gesamte Klangumfang – mit dem Riesenorchester und -chor und den weiträumig verteilten Blechbläsern hinter der Bühne – das monumentale Werk intensiv. Daher erwiesen sich die anfänglichen Strapazen bei der Suche nach einer Möglichkeit, diese Oper unter diesen Bedingungen aufzunehmen, als wirklich vorteilhaft für das Werk.“
Dr. Ingobert Waltenberger
Sondra Radvanovsky soprano Turandot, principessa
Michael Spyres tenor Altoum, suo padre, imperatore della Cina
Michele Pertusi bass Timur, re tartaro spodestato
Jonas Kaufmann tenor Calaf, il Principe Ignoto, suo fi glio
Ermonela Jaho soprano Liù, giovane schiava, guida di Timur
Mattia Olivieri baritone Ping, Gran Cancelliere
Gregory Bonfatti tenor Pang, Gran Provveditore
Siyabonga Maqungo tenor Pong, Gran Cuciniere
Michael Mofi dian baritone Un Mandarino
Francesco Toma tenor Il Principe di Persia
Valentina Iannotta soprano
Raksha Ramezani Melami soprano Ancelle di Turandot
Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia – Roma
Antonio Pappano