CD GEORGE ONSLOW: Streichquintette Nr. 25 (Weltersteinspielung) und 28 – ENSEMBLE TAMUZ; Challenge Classics

Ein „französischer Beethoven“? Nein! Dieser André George Louis Onslow war ein genuin französischer Komponist britisch-französisch-aristokratischer Herkunft, der in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vor allem mit formvollendeter und individuell gedankensprudelnder Kammermusik, aber auch mit dem Schreiben von vier Opern und einigen Symphonien reüssierte. Ein kurzes Intermezzo 1799/1800 führte die Familie nach Hamburg, wo George bei Johann Ladislaus Dussek Unterricht nahm und diesen alsbald in London und Paris (Anton Reicha) fortsetzte.
Nun ist Onslow schon beim ersten Hinhören und erst recht bei näherer Befassung ein fantastisch kreativer, klanglich völlig eigenständiger Kopf, der keinen Vergleich mit anderen Tonsetzern braucht, um wahrgenommen zu werden. Dank der Arbeit der findigen Labels cpo, Naxos und DG gibt es bereits eine ansehnliche Diskografie vor allem des überaus reichen kammermusikalischen Schaffens. Nur haben sich diese löblichen Initiativen bislang noch kaum ins tägliche Konzertleben übersetzt.
Nun legt das Ensemble Tamuz, spezialisiert auf die Erforschung und Aufführung klassischen und romantischen Repertoires auf Instrumenten der Zeit, mit einer unglaublich packenden und expressiv musikantischen Einspielung der Streichquintette Op. 72 in g-Moll (Nr. 28) und Op. 61 in f-Moll (Nr. 25) nach. Bei der Aufnahme des 1839 entstandenen Quintetts Op. 61 handelt es sich um eine Weltersteinspielung, die auf einem Manuskript einer privaten Sammlung der Nachfahren des Widmungsträgers, des belgischen Cellisten Adrien François Servais, stammt.
Wenn es eines Beweises für die Originalität der Tonsprache Onslows bedürfte, dann erweisen sich das dissonant startende Adagio non troppo – Allegro moderato als auch das sanft melodienselige Adagio, molto cantabile des Streichquintetts in g-Moll als ideale Demonstrationsobjekte.
Zumal das in spannungsgeladener Dichte musizierende Ensemble Tamuz neben der klaren Form- und Strukturgebung die Musik auf den innersten emotionalen Gehalt hin abklopft. „Was macht für uns Ausführende und Zuhörer von heute das überzeitlich Gültige dieser Quintette aus?“, ist eine wesentliche Frage, für welche das Ensemble immer wieder überzeugende Antworten parat hält. Bei diesem Findungsprozess gelingt es dem Ensemble Tamuz, alles akademische Wissen über die Aufführungspraxis von Haydn bis Brahms in heftig aufrauschende Interpretationen in erstaunlicher Flexibilität und lustvoll ausgekosteter, nichtsdestotrotz wahrhaftig aufgerauter Schönheit zu wandeln. Rubati, die variable Gestaltung von Portamenti und Verzierungen, alles unterliegt einer experimentellen Prüfung hin auf Vitalität und direkten Bezug der historischen Reflexion zum Heute.
Hed Yaron-Meyerson, Diego Castelli (Violine), Avishai Chameides (Bratsche), Constanze Ricard und Bruno Hurtado-Gosalvez (Cello) begeistern mit dieser in der Andreas Kirche in Berlin Wannsee 2024 entstandenen, wundersam spontan und aus dem prallen Leben geschöpften Deutung der beiden Meisterwerke. Die detaillierte Feinabstimmung, ein temperamentvolles Miteinander als auch der kontrast- und abwechslungsreich modellierte Bogen erheben dieses Album zu einer der bestechendsten und vom Repertoirewert ohnedies wertvollsten Kammermusik-Neuerscheinungen des Jahres.
Fazit: Empfehlung nicht nur für diejenigen, die alles haben, sondern für alle entdeckungshungrigen Liebhaber kammermusikalischer Freuden.
Dr. Ingobert Waltenberger

