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CD GEORG PHILIPP TELEMANN: PASSIONS ORATORIUM „Seliges Erwägen“ Freiburger Barockorchester, Gottfried von der Goltz, apartemusic

Live Aufnahme aus der Laeiszhalle Hamburg im Rahmen des Telemann Festivals 2017

18.03.2019 | cd

CD GEORG PHILIPP TELEMANN: PASSIONS ORATORIUM „Seliges Erwägen“

Freiburger Barockorchester, Gottfried von der Goltz, apartemusic 

 

Live Aufnahme aus der Laeiszhalle Hamburg im Rahmen des Telemann Festivals 2017

 

Im Vergleich zu Bach oder Vivaldi fehlt dem in jeder Hinsicht barock ausufernden Gesamtwerk Telemanns die sofort erkennbare musikalische Marke. Zudem ist er die eingängigen Hits schuldig geblieben, die den Leipziger Meister und den venezianischen Priestergeiger in alle Klassik-Charts und unverzichtbar in unzählige Wunschkonzerte katapultiert haben. Dennoch ist Telemann Haydn ähnlich ein Meister in allen musikalischen Formen von Kammermusik über Orchesterwerke bis hin zu Oratorien und – wenn auch wenig nachhaltig erfolgreich – Opern gewesen.

 

Telemanns musste während seiner 46-jährigen Hamburger Zeit gemäß dem lutherischen Brauch für die Karwoche jährlich jeweils eine Passion aus dem Hut zaubern. Zum Passions-Oratorium „Seliges Erwägen“ hatte Telemann den Text selbst verfasst. Das Werk ist zweiteilig verfasst, damit sich dazwischen auch Raum für eine Predigt findet. Zur „Beförderung der Andacht“  im Hamburgischen Werk- und Zuchthaus erstmals aufgeführt, hinterlässt Telemanns Version der Passionsgeschichte auch auf heutige Hörer einen starken Eindruck. Im Konzertleben von Hamburg, Rostock oder Riga hatte das Oratorium lange seinen angestammten Platz. Das Oratorium könnte die meist aufgeführte Passion des 18. Jahrhunderts gewesen sein, wird im Booklet gemutmaßt. Später hat die Musikgeschichte den Schleier des Vergessens über Telemanns Erfolgsstück gestülpt. 

 

Dirigent Gottfried von der Goltz, das Freiburger Barockorchester und die Solisten Anna Lucia Richter, Colin Balzer, Peter Harvey und Michael Feyfar haben dieses im Gegensatz zu Bachs Passionen wesentlich diesseitiger klingende Oratorium liebevoll wach geküsst. Zu Recht oder zu Unrecht vergessen, lautet nun die Frage? Also wollen wir Platz auf dem österlichen Gabentisch machen und den mächtigen Partitur-Folianten des deutschsprachigen Passions-Oratoriums „Seliges Erwägen des bitteren Leiden und Sterbens Jesu Christi“ aufschlagen: Neben den liturgisch platzierten elf Chorälen (solistisch homophon gesungen und mit Hanna Zumsande, Julienne Mbodjé, Michael Feyfar und Henk Neven exzellent besetzt)  sorgen vor allem der stupende melodische Erfindungsreichtum und die bunt differenzierte Instrumentierung der Arien dafür, das rare Werk absolut hörens- und empfehlenswert zu machen. Petrus’ “Foltern, pechvermischte Flammen”, die kämpferische Arie des Jesus “Ich will kämpfen”, die lautmalerische Vertonung der Andachts-Arie “Jesus wird ans Holz geschlagen” oder die Sopran-Arie des Zion “Erstaunet, ihr Kreyse” stellen beeindruckende Höhepunkte dar. Telemann erzählt die Geschichte in Einzelstationen (als Figuren genügen Christus, Petrus, der Hohepriester Kaiphas und  dazu die Allegorien Andacht – Sopran oder Tenor, Glaube und Zion) durchaus opernhaft, ein durchgängiger Bericht eines Evangelisten fehlt vollkommen. 

 

Die suggestive Kraft des Glaubens, die aus jeder Pore der Musik spricht, eröffnet spirituelle Fenster weit über die so sinnlich unmittelbar wirksame Dramatik der kompositorischen Invention hinaus. Nur so werden auch Textzeilen wie das finale “Wer so stirbt, der stirbt wohl” fasslich. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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