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CD GEORG PHILIPP TELEMANN „Das befreyte Israel – Ein musikalisches Gedicht“, JOHANN HEINRICH ROLLE „Die Befreyung Israels – Ein musikalisches Drama“; Passacaille

15.03.2023 | cd

CD GEORG PHILIPP TELEMANN „Das befreyte Israel – Ein musikalisches Gedicht“, JOHANN HEINRICH ROLLE „Die Befreyung Israels – Ein musikalisches Drama“; Passacaille

„Seht! Wie braußt das aufgethürmte Meer auf Pharaos Wagen daher! Die Winde heulen! Die vollen Wolken gießen und donnern! Entflammte Pfeile schießen die Himmel herab auf der Egypter Heer!“ Chor der Israeliten

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Beide Männer begründeten erfolgreiche und besonders von bürgerlichen Kreisen frequentierte Konzertreihen in ihren Städten und mussten bei vollem Geschäftsrisiko ohne staatliche Subventionen auskommen. Das ewig nach Neuem gierende Publikum wollte in den Subskriptions-Soiréen mit stets frischen Partituren gefüttert werden.

So schuf Georg Philipp Telemann ab 1755 regelmäßig Werke ganz auf seine Hamburger Konzerte zugeschnitten. Johann Heinrich Rolle tat selbiges später in Magdeburg. Die zwei umtriebigen Musiker und Impresarios verband die Wertschätzung für den Librettisten Friedrich Wilhelm Zachariä, Hofmeister am Carolinum in Braunschweig, der für seine wortbildmächtige, dramatisch effektvolle Sprache bekannt war. So stützt sich Telemann ganz auf das Textbuch Zachariäs, Rolle zumindest in Teilen.

Der Exodus aus Ägypten erzählt von der Rettung der Israeliten aus der Sklaverei des Pharaos Ägyptens und bildet schon vom ehrfurchtgebietenden „Schilfmeerwunder“ als auch der theologischen Konnotation zum Christentum her eine gern aufgegriffene Vorlage für Maler oder Komponisten, besonders der Barockzeit. Für Christen bildet das Motiv der Rettung vor dem Tod durch das Wasser die ideengeschichtliche Basis für die Taufe. Bei dieser soll durch die Berührung mit dem Wasser das Schlechte vom Guten getrennt werden: Die Sünde steht hier gegen den Glauben. Und natürlich taugt die allgemein gleichnishafte Geschichte der Vernichtung eines feindlichen Heers durch ein von Gott bestimmtes Volk nicht zuletzt zu allerlei politischer Propaganda.

Die bekannteste Vertonung des biblischen Stoffs stammt von Georg Friedrich Händel, der das Oratorium „Israel in Egypt“ in nur einem Monat 1738 schrieb. Chorensembles jubilieren, wenn sie das fantastische Stück als wirkmächtig eingesetzte Stimme des Volkes – nur von wenigen Arien untersetzt – aufführen dürfen. Händel hat in sein lautmalerisch kühnes und musikalisch experimentellstes Werk besonders die zehn biblischen Plagen mit großem Einfallsreichtum musikalisch ausgeleuchtet.

Von Blut, Fröschen, Viehpest, schwarzen Blattern, Hagel, Heuschrecken und Finsternis ist bei Telemann und Rolle nicht die Rede. Für Telemann handelte es sich nicht um die erste Auseinandersetzung mit der Flucht und der Rettung der Israeliten aus Ägypten. Bereits im Oratorium „Gelobet sei der Herr, der Gott Israel“ hatte er sein musikalisches Können in den Dienst der klanglichen Dramatisierung des Sujets gestellt.

Mit seinem 1759 uraufgeführten musikalischen Gedicht „Das befreyte Israel“ hat der damals schon 79-jährige Telemann, ohne auf die Ereignisse in Ägypten einzugehen, vor allem einen festlichen Hymnus, der im „Mosaischen Lobgesang“ kulminiert, geschaffen. Das Werk besteht aus Lobgesängen und Rückblenden auf die Flucht. Insgesamt hat Telemann drei große Chöre, einen Orchestersatz (Track 9), ein Rezitativ und acht Arien geschrieben. Anders als zu der Zeit üblich, sind nur zwei Nummern in Da-capo-Form konzipiert: Die Sopranarie „Pflanze sie, Herr“ und der prachtvolle Schlusschor „Der Herr wird König sein.“ Finden wir in den Arien die Poesie der literarischen Vorlage betonend überwiegend eingängige Melodien und sparsam eingesetzte Verzierungen vor, so trägt der Instrumentalpart mit Trompeten, Hörnern, Fagott, Oboen, Flöten und Pauke urtümlich hochbarocke Züge.

Johann Heinrich Rolles „Die Befreyung Israels“ aus dem Jahr 1774, eine Ersteinspielung, basiert ebenfalls auf den Worten Friedrich Wilhelm Zachariäs. Die Dichtung wurde jedoch von Christoph Christian Sturm bearbeitet und ausgebaut. Entsprechend der Entstehungszeit ist der musikalische Stil empfindsam, der dramaturgische Duktus opernhaft. Ralph-Jürgen Reipsch spricht im Booklet von einer Melodik, „die zwischen dem italienisch beeinflussten Stiel Carl Heinrich Grauns und jenem der Mannheimer Schule zu changieren scheint.“

Die exzellente Sängerriege mit Elvira Bill (Miriam), Miriam Feuersinger (Zipporah), Daniel Johannsen (Joshua) und André Morsch (Moses) treiben in den Rezitativen und Accompagnati das Geschehen voran bzw. stülpen in den sechs Arien ihre persönliche Gefühlswelt nach außen. In den Chören („Seht wie die Fluten stürmend sich bewegen“) kann Rolle zeigen, dass er es mit klangbildlicher Einfallskraft mit Telemann durchaus aufnehmen kann.

Chor und Orchester des 1988 gegründeten flämischen Barockmusikensembles Il Gardellino haben bereits mit den Aufnahmen der Bach-Kantaten BWV 35 & 169, von C.P.E. Bachs „Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu“ und von Niccolò Jommellis „Requiem und Miserere“ unter Beweis gestellt, wie trefflich sie sich im Genre orchesterbegleiteter barocker Vokalmusik bewegen. Unter der temperamentvollen wie umsichtigen Stabführung von Peter Van Heyghen musizieren alle Beteiligten auch auf der neuen CD auf einem stilistisch freudvollen Niveau. Die zwei ungleichen und dennoch musikgeschichtlich gleichermaßen interessanten Raritäten werden so nicht zuletzt dank der eloquenten, zwischen Orchester, Chor und Soli gut ausbalancierten stimmschönen Umsetzung zum Hochgenuss.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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