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CD GEORG FRIEDRICH TELEMANN: MIRIWAYS – Oper in drei Akten nach einem Libretto von Johann Samuel Müller – Live Aufnahme aus der Laeiszhalle Hamburg 24.11.2017; PENTATONE

07.05.2020 | cd

CD GEORG FRIEDRICH TELEMANN: MIRIWAYS – Oper in drei Akten nach einem Libretto von Johann Samuel Müller – Live Aufnahme aus der Laeiszhalle Hamburg 24.11.2017; PENTATONE

Die historisierend exotische Handlung, die gewöhnungsbedürftigen musikalische Banalitäten, die Telemann mit einem von Afghanistan beherrschten Persien verband (vor allem Hörner und das Schlagzeug bedienen ein pseudo-orientalisches Klangklischee) und die deutsche Sprache obendrein machen aus der Oper in den Augen eines heutigen Betrachters eine seltsame skurrile, ziemlich heiter Hollodaro klingende  Angelegenheit. Telemann musste sich mit seinen Kenntnissen osteuropäischer Musik aus Polen bescheiden. Was wie ein Janitscharenstück klingen mag, der Chor „Lebe, großer Sophi“ war in Realität eine Entlehnung Telemanns aus der italienischen Oper, exakt einer Arie des Venezianers Giovanni Porta. Später sollte Händel auf dieselbe Arie in seinem Oratorium Solomon zurückgreifen…

Die technisch durchaus anspruchsvollen Verzierungen und Koloraturen kommen bisweilen hölzern rüber, manche Arie könnte genau so gut mit anderem Text in einem Oratorium zu finden sein. Das Unbehagen liegt sicherlich nicht an der Interpretation und den sängerischen Leistungen, die durchwegs auf hohem Niveau rangieren. Die Oper ist gemessen an den fantastischen, weitaus melodiöseren Werken eines Händel halt zwar schön und kurzweilig anzuhören, aber von Tiefgang und Genialität der Eingebung einfach kaum konkurrenzfähig. Selbst nach zweimaligem Anhören bleibt mir kaum eine Nummer im Gedächtnis haften.

Worum geht es? Im Jahre 1723 war unter dem Titel „Der persianische Cromwell“, oder „Leben und Taten des Miriways“ ein anonymer Bericht über Leben und Taten des Miriways, Beschützers von Persien, erschienen. Dies war geschichtlich nicht korrekt, denn eigentlich hat sein Sohn Mir Mahmud Hotaki 1722 Isfahan erobert. Nach der verhängnisvollen Schlacht zwang das Volk den Schah, seine Hauptstadt Isfahan den siegreichen Afghanen zu überlassen. Nach der Belagerung bedeutete das nichts weniger als das  Aus mit Hungersnot, Krankheit und Kannibalismus. Johann Samuel Müller formte aus diesem großteils erfundenen Bericht eine Geschichte und die üblichen Liebeswirrnisse von Protagonisten aus politischen Gegnerschaften mit einem Finale, das Miriways als einen gerechten und aufgeklärten Herrscher hinstellt. Der Vater von Miriways war als Anführer eines afghanischen Stammes eine Art Warlord, der die afghanischen Provinzen von der persischen Vorherrschaft befreien wollte. Freilich war er nichts anders als ein Eroberer.

„Miriways“ wurde am 26. Mai 1728 in der Hamburger Oper am Gänsemarkt uraufgeführt, einen zweiten Aufguss gab es 1730. Dann war lange nichts. Am 26. Juni 1992 wurde Miriways bei den Magdeburger Telemann-Festtagen konzertant von der Musica Antiqua Köln unter Leitung von Reinhard Goebel aufgeführt. Die Partitur der Oper erschien 2002 neu als Urtextausgabe bei Bärenreiter. Die Oper wurde dann im Frühjahr 2012 bei den Magdeburger Telemann Festspielen nach fast 300 Jahren auch szenisch neu aufgeführt und auch beim Brucknerfest 2012 in Linz vorgestellt.

Wir hören einen Mitschnitt des Norddeutschen Rundfunks vom 24. November 2017 aus der Laeiszhalle in Hamburg inklusive Applaus. Die Akademie für Alte Musik Berlin unter der Leitung von Bernard Labadie sorgen für ein korrektes, zuweilen beschwingtes  Hörerlebnis. Echte Passion gehört nicht gerade zu den Vorzügen dieser vom technisch sehr guten Orchester her (zu) brav geratenen Aufnahme. Für viel Freude bürgt allerdings eine Top-Sängerbesetzung. Beginnen wir mit dem exzellenten Bariton André Morsch in der Titelpartie, Robin Johannsen als Sophi und Sophie Karthäuser in der Partie der Bemira. Ganz vorzüglich reüssieren auch Lydia Teuscher als Nisibis, Michael Nagy als Murzah und Marie-Claude Chappuis als Samischa. In weiteren Rollen gefallen Anett Fritsch (Zemir), der Bariton Star der Komische Oper Berlin Dominik Köninger (Geist/Scander) und Paul McManara als Gesandter.

Vergleichseinspielung mit Markus Volpert, Ulrike Hofbauer, Julie Martin du Theil, Gabriele Hierdeis, L’Orfeo Barockorchester, Michi Gaigg; cpo 2012.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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