CD GEORG FRIEDRICH HÄNDEL „XERXES“ – Neuauflage der Aufnahme des Bayerischen Rundfunks vom Oktober 1962; Orfeo d’Or
Rafael Kubelik als Chefdirigent des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks mit der legendären Besetzung Fritz Wunderlich, Hertha Töpper, Ingeborg Hallstein und Jean Cook
Gesungen wird das dreiaktige dramma per musica – nach heutigen Vorstellungen völlig abwegig – in der deutschen Fassung von Rudolf Steglich. Die Partien des Xerxes und Arsamenes, die ursprünglich für Soprankastraten geschrieben wurden, sind hier für Tenor gesetzt.
Die vorliegende Aufnahme ist nach heutigen Vorstellungen kein stilistischer Vorzeigefall, aber sicherlich ein vokales Juwel. So singt der heldisch strahlende Fritz Wunderlich in der Titelrolle das berühmte Largo auf eine schattenspendende Platane „Ombra mai fu“ (dt. „Nie war ein Schatten“) zum Steinerweichen innig und klangschön. Er zeichnet ein vielschichtiges Stimmporträt des Perserkönigs als den mit der Königstochter Amastris (Hertha Töpper) verlobten, in Romilda (Jean Cook) verliebten, aber ebenso eifersüchtig-gekränkten, despotischen Herrscher.
Die Logik der Opera seria verlangt es, dass Serses Bruder Arsamene (der estnische Tenor Naan Pöld) und Romilda ein Liebespaar sind. Atalante (Ingeborg Hallstein) wiederum, die Tochter des Feldherrn Ariodates (Karl Christian Kohn) steht auf Arsamene. Die Kampfarena für das Liebes- und Verwirrdrama ist damit abgesteckt.
Rafael Kubelik dirigiert die Oper natürlich ganz und gar nicht nach den Vorstellungen der historisch informierten Aufführungspraxis. Der breit fließende Streichersound legt das Fundament für den feierlichen und pompösen musikalischen Duktus der Aufführung.
Aber niemand wird sich diese Einspielung des Orchesters oder des Dirigats wegen anschaffen. Vielmehr sind es die so individuell timbrierten und wundervoll ausdrucksvollen Sängerinnen und Sänger, die das Album zu einer einzigartigen Sache machen. Dabei betonen die technisch in optimaler Qualität remasterten Bänder die Stimmen, ja stellen sie prominent und in aller Natürlichkeit in den Vordergrund. Ein Fest für Melomanen.
Bei so viel vokalem Gold kommt man aus dem Schwärmen gar nicht mehr heraus. Nach Fritz Wunderlich ist es die Wagner geeichte Grazerin Hertha Töpper auf dem Höhepunkt ihrer Möglichkeiten, die ihren elegant-voluminösen Edelmezzo nicht nur elegisch strömen, sondern auch rachegierig explodieren lassen kann. Ein besonderes Vergnügen bringt die Begegnung mit der amerikanischen lyrischen Sopranistin Jean Cook. Pamina in Zürich und Armida in Mozarts „La finta giardiniera“ bei den Salzburger Festspielen 1965/66, war sie ab 1965 Ensemblemitglied der Deutschen Oper am Rhein. Ihr Sopran mit dem samtigen Jurinac-Vibrato steht der heiß umworbenen Romilda hervorragend. Aber auch die als Königin der Nacht in die Operngeschichtsbücher eingegangene lyrische Koloratursopranistin Ingeborg Hallstein begeistert mit frischem Ton und Jubelhöhe in ihrer Arie „Wollt mir raten, nicht ihn lieben“ im 2. Akt. Karl Christian Kohn als Ariodates und Max Proebstl als Diener Elviro des Arsamene bringen mächtige Bassbaritonklänge und derben Osmin-Humor (Arie des Elviro „Wo man niemals bloß beim Wasser“) ins Händels Welttheater.
Fazit: Unwiderstehlich gut gesungene, von Kubelik dramatisch dirigierte, klanglich konventionelle Aufnahme.
Dr. Ingobert Waltenberger