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CD: GEORG FRIEDRICH HÄNDEL: SEMELE – English Baroque Soloists, John Eliot Gardiner

27.06.2020 | cd

CD: GEORG FRIEDRICH HÄNDEL: SEMELE – English Baroque Soloists, John Eliot Gardiner

Album Handel: Semele, HWV 58 (Live), English Baroque Soloists ...

Semeles Zeit ist nun endlich gekommen

Nachdem John Eliot Gardiner Händels „Semele“ ein erstes Mal aufgenommen hat, legt das englische Label Soli Deo Gloria nun eine weitere Aufnahme vor. Die Aufnahme entstand am 2. Mai 2019 im Londoner Alexandra Palace Theatre, „taken from a staged concert“ und „in front of a live audience“, wie es das Booklet vermerkt. Da, entgegen aller Erfahrung, vom Publikum nichts zu bemerken ist, und nur ein Termin vermerkt ist, muss die Aufnahme stark bearbeitet worden sein. Gardiners Äusserung im Booklet „Noch mehr als damals, vor nunmehr fast vierzig Jahren, als ich es erstmals aufführte und aufnahm, habe ich heute das Gefühl, dass Semeles Zeit nun endlich gekommen ist“ passt nicht unbedingt zum stark bearbeiteten Mitschnitt einer konzertanten Aufnahme.

Die Uraufführung von „Semele“ am 10. Februar 1744 im Londoner Theatre Royal in Covent Garden traf das zeitgenössische Publikum unvorbereitet, denn „Semele“ war für sein Verständnis weder Fisch noch Vogel, weder „richtige“ italienische Oper noch frommes Oratorium. Händel hatte sich auf musikalisches Neuland begeben und in einer neuen Form des Musikdramas das Beste aus zwei Welten kombiniert: die Arien, Ensembles, Duette, begleitete Rezitative der italienischen Oper und die imposanten, prunkvollen Chöre der Oratorien.

Zugleich ist die Aufnahme glänzendes Erzeugnis einer langen Karriere und reicher Erfahrung, denn – wenn auch bearbeitet – eine Aufnahme von dieser Qualität als Ergebnis einer konzertanten Aufführung entsteht nicht einfach so. Die zweiundvierzig Jahre Arbeit mit seinem Orchester, den English Baroque Soloists, ist jedem Ton anzuhören und in jeder Phrase zu spüren. Die English Baroque Soloists spielen ausserordentlich feinfühlig und erreichen so einen unheimlich farbigen Klang, der allerdings ein genaues Hinhören verlangt. Die fast berauschende Wirkung der Aufnahme liegt auch in der Ausgeglichenheit der Aufnahme, die Gardiner dadurch erreicht, dass einzelne Register nur dort dominieren, wo es der Notentext auch verlangt.
Der ebenfalls von Gardiner begründete Monteverdi Choir agiert in Höchstform mit ausnehmend homogenem Klang und tadelloser Verständlichkeit. Selten werden die Schattierungen und Lautstärken so perfekt erreicht.

Die Ankündigung des Stücks als „Opera after the manner of an oratorio“ dürfte das zeitgenössische Publikum schon verwundert haben, denn Semele basiert weder auf dem Alten Testament noch passt sie zur Fastenzeit. Was darf man erwarten? Die Götter sind so gar nicht fromm: Sie bewegen sich auf derselben Ebene wie das Publikum und fühlen wie das Publikum. Da ist der Spiegel, den das Publikum vorgehalten bekommt, doch etwas zu dicht vor der Nase.

Wie nicht anders zu erwarten hat Gardiner für die Aufführung ein hochkarätiges Ensemble versammelt. Louise Alder als Semele begeistert mit ihrer stupenden Technik und dem glockenreinen Sopran. Hugo Hymas als Jupiter brilliert mit hellem und agilem Tenor. Lucile Richardot gibt Juno / Ino mit vollem, technisch bestens geführtem Mezzo. Die Entdeckung der Aufnahme ist der Countertenor Carlo Vistoli als Athamas: eine wunderbar runde, volle und wohlklingende Stimme, die Lust auf mehr macht! Mit jugendlich beweglichem Bass singt Gianluca Buratto einen absolut überzeugenden Cadmus / Somnus. Emily Owen als Iris, Angela Hicks als Cupid, Peter Davoren als Apollo, Angharad Rowlands als Augur und Dan D’Souza als Hohepriester ergänzen das Ensemble.

Trotz aller Einwände: Die beste wohl verfügbare Aufnahme von „Semele“.

27.06.2020, Jan Krobot/Zürich

 

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