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CD GEORG FRIEDRICH HÄNDEL: PORO, RE DELLE INDIE – Gesamteinspielung mit dem Ensemble IL GROVIGLIO unter MARCO ANGIOLONI; Château de Versailles Spectacles

20.03.2024 | cd

CD GEORG FRIEDRICH HÄNDEL: PORO, RE DELLE INDIE – Gesamteinspielung mit dem Ensemble IL GROVIGLIO unter MARCO ANGIOLONI; Château de Versailles Spectacles

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In die längst gestrichene Gesamtaufnahme dieser an Barockschlagern reichen Händel Oper mit Europa Galante unter der musikalischen Leitung von Fabio Biondi mit Banditelli, B. Fink, Bertini, Lesne u.a. vom April 1994 (Opus 111) habe ich mich regelrecht verliebt. Kaum eine Händel-Oper aus meiner Sammlung habe ich öfter gehört. Wie glücklich, berichten zu können, dass die neue, 30 Jahre später entstandene, nunmehr einzig erhältliche Aufnahme von „Händels galantem Indien“ am Markt, diesen frühen Eindruck verstärkt, ja noch übertrifft. In Monteverdis „L’Incoronazione di Poppea“ müssen Sie vier Stunden ausharren, bevor sie am Schluss eines der schönsten Liebesduette der Operngeschichte zu hören bekommen. Händel hat in seinem „Poro“ schon im zweiten Akt mit „Caro, dolce amico“ von Cleofide und Poro einen an Zauber und sich gegenseitig umschlingender Vokalerotik ebenso schönen wie herzergreifenden Liebesgesang aus Anlass der (vorläufigen) Versöhnung der beiden komponiert.

Die dreiaktige Oper nach einem Libretto eines Anonymus auf eine Vorlage des damals unvermeidlichen wie dramaturgisch geschickten Pietro Metastasio (die im Original als “Allessandro nelle Indie“ betitelte Geschichte ist die zweite von drei des Metastasio, die Händel vertonte), der sich in „Poro“ stilistisch u.a. an Corneille orientierte, wurde im King’s Theatre in London 1731 uraufgeführt. Im Gegensatz zu Metastasios strenger Opera seria-Periode setzte Händel in „Poro“ in erster Linie auf verführerische Arien, pathetisch glutvolle Gesangslinien, melodischen Schmelz mit ein wenig Heroischem abgemixt. Da der Bearbeiter von Metastasios Libretto (glücklicherweise für den heutigen Hörer) die Hälfte der Rezitative gestrichen hatte, kommen wir nun in den Genuss einer der melodisch hinreißendsten Händel-Opern überhaupt. Liebesgeflüster und die Großherzigkeit des Helden Alexander des Großen statt fieser politischer Intrigen, Händel wusste sein Publikum mit einem Labyrinth der Passionen, ausgedrückt in einzigartig gefühlvollen Arien – Eigenanleihen hin oder her – zu entzücken.

Ohne auf die komplex konfuse Handlung im Einzelnen einzugehen, finden wir in „Poro“ Schlachtfelder und königliche Gärten, tragische Helden, Eifersucht, Selbstmordideen, Wutanfälle, Irrungen und Wirrungen, vertauschte Identitäten, einen listig vorgetäuschten Tod und als lieto fine den Triumpf der Liebe von Poro und Cleofide.

Nicht das Wort und eine rhetorisch signifikante Artikulation bestimmen diese Oper, sondern herzerwärmende Kantilenen und koloraturfunkelnde Feuerwerksarien. Der Hörer schwelgt nach einer wunderbaren Ouvertüre in e-Moll in Bravourstücken, zärtlich galanten Gesängen, pathetischen Gefühlsintrospektionen und Paragone-Arien. Das Beste an Inspiration hat sich Händel jedoch für die Duette der Oper, vor allem den Schluss „Caro, vieni al mio seno“, reserviert.

Was die musikalische Umsetzung betrifft, so ist der Sänger des Alessandro zugleich der Dirigent der Aufführung. Der italienische Barocksänger und Oboist Marco Angioloni kann beides ganz vorzüglich. Als musikalischer Leiter lockt er das von ihm 2018 gegründete, auf italienisches Barockrepertoire des 17. und 18. Jahrhunderts spezialisierte Instrumentalensemble Il Groviglio (auf Deutsch „Verflechtung“) auf neue Pfade der Aufführungspraxis. Die Musiker und Musikerinnen haben einen individuelleren (Virtuosität) und zugleich ganzheitlicheren Zugang (sensitives Miteinander) als andere Spezialorchester. Die natürliche Wirkung der in Feinabschattierungen unüberbietbaren Dramaturgie spricht für sich.

Angiolonis herber, verzierungssicherer und stilistisch bestens geführter Tenor steht im klanglich sinnstiftenden Kontrast zum Interpreten des Poro. Dieser ist als Herz des vokalen Schmachtens und aller virtuos affektgeladener Schmuckgirlanden mit dem US-amerikanische Countertenor Christopher Lowrey besetzt. Mit seinem einschmeichelnden, flexiblen und klangschönen Alt harmoniert Lowrey bestens mit der im Lyrischen silbern aufblühenden, um kokette Töne nicht verlegenen Sopranstimme von Lucía Martín Cartón als Cleofide. Die auf Alte Musik spezialisierte Mezzosopranistin Giuseppina Bridelli macht als Poros, in Alessandro verliebte Schwester Erissena vokal pastos „bella figura“. Der aus Bergamo stammende junge Bassist Alessandro Ravasio in der Rolle des Timagene, Alessandros Leutnant, und der französische Countertenor Paul-Antoine Bénos-Djian als Poros Berater Gandarte ergänzen das spielfreudige wie stimmlich charakterstark agierende Ensemble.

Ganz große Empfehlung für die furchtlos Sentimentalen und Melodiesüchtigen unter uns.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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