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CD GEORG FRIEDRICH HÄNDEL: ISRAEL IN EGYPT – in der von Hector Berlioz fälschlicherweise als endgültig gehaltenen Fassung; Alpha

21.10.2025 | cd

CD GEORG FRIEDRICH HÄNDEL: ISRAEL IN EGYPT – in der von Hector Berlioz fälschlicherweise als endgültig gehaltenen Fassung; Alpha

Hervé Niquet und Le Concert Spirituel mit der Ouvertüre und den Teilen II und III des berühmten Chor-Oratoriums

egv

Ob es Sinn macht, die im 19. Jahrhundert vorherrschende, aus einem Versehen heraus um den Teil I gekürzte Version von Händels bestem Chororatorium „Israel in Egypt“ aufzuführen, und sei es auch auf Wunsch des künstlerischen Leiters des Berlioz-Festivals Bruno Messina, sei dahingestellt.

Schuld an diesem Missverständnis war der Londoner Verleger Händels, der Teil I des Oratoriums vorab unter anderem Titel publizierte und die Teile II und III (Exodus und das Lied des Moses) separat veröffentlichte. Wie kam es dazu? Nach Vollendung des Oratoriums „Saul“ auf ein Libretto des Charles Jennens 1738 machte sich Händel daran, „Moses Song. Exodus Chap. 15“ zur feierlichen Erinnerung an die göttliche Teilung des Roten Meeres zur Rettung der Israeliten vor dem sie verfolgenden Pharao, zu schreiben. Nach nur 10 Tagen startete Händel damit, lautmalerisch grandios expressive Musik zur Darstellung der zehn Plagen Jehovas nachzuschicken. Am 20 Oktober war er auch damit fertig. Als ersten Teil griff Händel auf ein bereits vorhandenes Anthem „The ways of Zion do mourn“ zum Begräbnis von Queen Caroline zurück und unterlegte die Musik mit einem neuen Text. Das Ergebnis war „The Lamentation of the Israelites for the Death of Joseph“. Das gesamte dreiteilige Werk wurde in London am 4.4.1739 uraufgeführt.

Die Begräbnisode fehlt jedoch, wie bereits erwähnt, in der neuen Aufnahme und damit im Vergleich zu den Gesamtaufnahmen ca. 45 Minuten Musik.

Was Händel an monumental-orchestralem Prunk und Farben auffahren ließ (Flöten, Fagotte, Oboen, Trompeten, bis zu drei Posaunen, Pauken) bzw. welche ungeheure Sorgfalt in verschiedensten „Techniken, Stilen und Texturen“ (David Vickers) er in die Komposition der Chöre legte, ist einzigartig. Für uns heute ist es völlig irrelevant, dass Händel sich auch an Musik von Alessandro Stradella (Serenata Qual prodigio è ch’io miri), Francesco Antonio Urio (Te Deum) oder Dionigi Erba (Magnificat), um nur einige zu nennen, bediente. Die Komposition ist ein großer und geschlossener Wurf geworden, so sehr gelang es Händel mit genialen Eigeneingebungen bzw. kleineren und größeren Adaptionen eine in sich schlüssige Geschichte zu erzählen.

Die Solisten als individuelle Figuren (Prophetin Miriam) haben in „Israel in Egypt“ (hier Myriam Leblanc, Lucie Edel Soprane, Lena Sutor-Wernich Alt, Laurence Kilsby Tenor, Andreas Wolf, Alexandre Baldo Bassbariton) vergleichsweise wenig zu tun.

Von allen Oratorien Händels habe ich als ehemaliger Wiener Chorbassist „Israel in Egypt“ mit Abstand am meisten geschätzt. Daher wundert es mich auch nicht, dass einige der renommiertesten Chöre der Welt, wie The Choir of King’s College Cambridge, The Monteverdi Choir, der Taverner Choir, The Sixteen oder der Chor des Bayerischen Rundfunks exzellente Aufnahmen dieses Oratoriums vorgelegt haben.

In der aktuellen Einspielung scheint Hervé Niquet mit den vereinten Kräften von Le Concert Spirituel etwa im Vergleich zu Stephen Cleobury (DECCA) einen Geschwindigkeitsrekord aufstellen zu wollen. Obwohl ich flüssige Interpretationen mit Drive an sich schätze, kommen bei Niquet doch so manch lautmalerische Finessen (etwa in der trägen, die Zeit still stehen lassenden Harmonik von „He sent a thick darkness“ und genüssliches Auskosten von naturalistischen Klangmalereien in Froscharie, Fliegen- oder Hagelchor ein wenig unter die Räder. Das jubelnde, in einem Take aufgenommene Finale „Sing ye to the Lord for he hath triumphed glorious“ ist laut Dirigenten dem unglaublich Befreiungsgefühl nach Covid und dem Wiederfinden der chorischen Balance geschuldet. Tatsächlich handelt es sich um die beste Nummer dieser Aufnahme.

Empfehlung gibt es keine. Warum sollten sich Interessenten für „Israel in Egypt“ eine 70-minütige, historisch fragwürdige Rumpffassung zulegen, wenn sie um ein ähnliches Geld die ursprüngliche dreiteilige Fassung (etwa Stephen Cleobury mit 123 Minuten Spielzeit) in mindestens ebensolcher musikalischer Qualität haben können? Wenn jemand unbedingt wissen will, wie das anno dazumal war, kann mit dem Hören halt bei Teil II gestartet werden. Einen Sinn darin sehe ich allerdings nicht.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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