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CD: GEORG FRIEDRICH HÄNDEL/GEORG PHILIPP TELEMANN: CLEOFIDA, KÖNIGIN VON INDIEN • Il Gusto Barocco – Stuttgarter Barockorchester, Jörg Halubek

03.05.2023 | cd

CD: GEORG FRIEDRICH HÄNDEL/GEORG PHILIPP TELEMANN: CLEOFIDA, KÖNIGIN VON INDIEN • Il Gusto Barocco – Stuttgarter Barockorchester, Jörg Halubek

Eine grossartige Bereicherung der Händel-Diskographie

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Mit der Aufnahme von «Cleofida, Königin von Indien» legt das Label cpo in Kooperation mit WDR 3 und SWR 2 eine Aufnahme vor, die den Zuhörer tief in die Aufführungspraxis barocker Opern, konkret von Händels «Poro, Re dell’Indie», entführt. Der nicht zu unterschätzende Verdienst der Einspielung ist es, die Oper nicht als wissenschaftliche Rekonstruktion der Uraufführung, sondern als Rekonstruktion einer späteren Aufführung, als sich die Oper schon hatte bewähren müssen, zu Gehör zu bringen. Daher auch die Nennung zweier Komponisten: Eingespielt wurde Händels «Poro», wie sie sein guter Freund Georg Philipp Telemann mit dem neuen Titel «Cleofida, Königin von Indien» 1732 für die Aufführung am Hamburger Gänsemarkttheater (ab 14. Februar 1732) eingerichtet hatte. Bis 1736 wurde diese Fassung über dreissig Mal gespielt.

«Poro» stammt aus der Zeit von Händels zweiter Londoner Opernunternehmung und wurde am 2. Februar 1731 im King’s Theatre Haymarket uraufgeführt. In der folgenden Spielzeit wurde die Oper am 23. November 1731 wiederaufgenommen und viermal gezeigt. Am 8. Dezember 1736 wurde Händels «Poro» erneut wiederaufgenommen und wieder viermal gezeigt. Trotzdem vermochte «Poro» nicht den Erfolg von «Alessandro», wo Händel erstmals eine Episode aus dem Indienfeldzug von Alexander dem Grossen bearbeitete, heranzureichen. Für seine zweite Alexander-Oper adaptierte Händel das Libretto «Alessandro nell’Indie» von Pietro Metastasio, das Leonardo Vinci 1729 in Rom das erste Mal in Musik gesetzt hatte und mit über 60 Vertonungen (von Hasse, Porpora, Galuppi, Jommelli, Piccini, Cimarosa, Cherubini, Pacini und anderen) zu dessen beliebtesten Libretti zählte.

Zu Händels Zeiten (wie auch später im Belcanto) war es üblich, dass sich Komponist und Librettist nach der Besetzung zu richten hatten und nicht umgekehrt. Die Partien wurden im Falle von Uraufführungen individuell den Solisten angepasst, in die Kehle komponiert, und bei Wiederaufnahmen wurden die Partien genauso angepasst. So hat Timagene bei Händels Poro-Fassung der Uraufführung keine Solonummern – die Leistungen des Basses waren offenbar nicht entsprechend –, wohl aber in der Fassung der Wiederaufnahme (1731) und der von Telemann für Hamburg eingerichteten Fassung. Für die Aufführung in Hamburg waren in erster Linie die Rezitative zu übersetzen und adaptieren (die Arien wurden italienisch gesungen und auf Grund ihrer Formelhaftigkeit trotzdem verstanden) und die Besetzung der Vokalpartien anzupassen. Christoph Gottlieb Wend, der die Rezitative übersetzte, schreibt dazu in der Vorrede zum Libretto-Druck: „Dass unser Herr Telemann die Teutschen Recitative unter Noten gebracht / brauche ich wohl nicht erst zu melden / weil so ein grosser Meister dergleichen etwas wohl im Schlafe zu verrichten fähig ist / und ich folglich seinen sonst hohen Verdiensten durch Meldung eines so geringen fast Unrecht anthun würde“. Die musikalischen Änderungen gehen im Bestreben bestimmte Aspekte der Dramaturgie zu verstärken über die Rezitative hinaus: Drei Nummern sind im Vergleich mit Händels Uraufführungsfassung neu. Während in der Londoner Uraufführung die Besetzung des Poro mit dem Mezzosoprankastraten Francesco Bernardi, genannt «Senesino», die Attraktion war, wurden in Hamburg, da italienische Sänger im Allgemeinen wie Kastraten im Besonderen nicht üblich waren, alle Männerrollen mit natürlichen Männerstimmen besetzt.

Auf der vorliegenden Silberscheibe ist also zu hören, wie Händels Poro für ein Aufführung an der Gänsemarktoper in Hamburg am 14. Februar 1732 eingerichtet wurde. Die erste Aufführung der Neuzeit fand unter dem Titel «König Porus» am 21. April 1928 in Braunschweig statt. Die erste Aufnahme (in deutscher Sprache mit zeitgenössischen «Verbesserungen») stammt von 1956 von den Händel-Festspielen in Halle (Saale). Von der kritischen Edition existieren mindesten zwei Aufnahmen. Händels «Poro, Re dell’Indie» ist damit so gut dokumentiert wie nur wenige seiner Opern.

Das Originalklangensemble «Il Gusto Barocco – Stuttgarter Barockorchester» unter musikalischer Leitung von Jörg Halubek spielt einen ausgesprochen eleganten, samtig weichen und farbenfrohen Händel und trägt die Solisten auf Samthandschuhen durch die Aufnahme. Durch die Aufnahme, denn was ursprünglich als Live-Aufnahme geplant war, wurde als solche von der Pandemie zunichte gemacht und konnte dann, weil nur so den Vorschriften entsprochen werden konnte, als Studio-Aufnahme doch noch umgesetzt werden.

Suzanne Jerosme gibt die Cleofida mit glasklarem, virtuos geführtem Sopran. Florian Götz leiht dem Porus seinen recht hellen, beeindruckend agilen Bariton. Jorge Navarro Colorado gestaltet mit seinem hellen, absolut höhensicherem Tenor die Rolle des Alessandro sehr lyrisch und auf Wohlklang bedacht an. Johanna Pommranz Sopran wirkt etwas voluminöser als jener der Cleofide und so ergibt ihre Erixena einen guten Kontrast. Der Altus von Leandro Marziotte als Gandartes bereichert das Spektrum der vertretenen Stimme mit einer interessanten, kristallklaren Farbe. Josep-Ramon Olivé gibt den Timagenes mit herrlich wohlklingendem, leicht geführten Bass.

Eine herrliche Aufnahme und grossartige Bereicherung der Händel-Diskographie!

03.05.2023, Jan Krobot/Zürich

 

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