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CD GEMINIANO GIACOMELLI: CESARE IN EGITTO – Live-Mitschnitt aus dem Tiroler Landestheater Innsbruck vom August 2024; ALPHA

10.09.2025 | cd

CD GEMINIANO GIACOMELLI: CESARE IN EGITTO – Live-Mitschnitt aus dem Tiroler Landestheater Innsbruck vom August 2024; ALPHA

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Ottavio Dantone, Co-künstlerischer Leiter des Innsbrucker Festivals für Alte Musik, will es ganz genau wissen mit seinen Ausgrabungen. 2024 hat er sich Geminiano Giacomellis völlig unbekannte Oper „Cesare in Egitto“ auf ein Libretto von Carlo Goldoni und Domenico Lalli vorgenommen. Wobei selbst Kennern barocker Opernwonnen – vielleicht ausgenommen ein paar einschlägige Giacomelli-Kostproben in Recitals berühmter Sängerinnen wie Cecilia Bartoli, Joyce DiDonato oder Ann Hallenberg – nicht einmal der Name des Komponisten geläufig sein dürfte

Den aus dem Umland von Parma stammenden Giacomelli nahm Francesco Farnese unter seine herzoglichen Fittiche und machte ihn nicht zuletzt dank seines Erfolgs mit dessen Opernerstling „Ipermestra“ 1724 drei Jahre danach neben höfischen Verpflichtungen zum Kapellmeister der Kirche San Giovanni in Piacenza. Eine Periode fruchtbarer musikalischer Arbeit folgte. An die 20 musiktheatralischen Werke für Bühnen in Norditalien sind verbürgt. „Cesare in Egitto“ komponierte Giacomelli 1735.

Zum Vergleich: G. F. Händel schuf die wohl bekannteste Vertonung des Stoffes etliche Jahre früher, und zwar für die Spielzeit 1723/24 der Royal Academy of Music in London. Giacomelli war einige Jahre in den späten dreißiger Jahren des 18. Jahrhunderts Wien am Hof Kaiser Karl VI. aktiv, seine Oper „Cesare in Egitto“ wurde unter seiner Leitung auch in Graz aufgeführt. Wie geschätzt die effektvollen Arien Giacomellis zu seiner Zeit gewesen sein müssen, mag auch daraus geschlossen werden, dass Antonio Vivaldi ausgewählte Arien von Giacomelli in sein Pasticcio „Bajazet“ aufnahm.

Aus den überlieferten Versionen für Mailand und Venedig basiert die hier präsentierte Fassung von „Cesare in Egitto“ auf einer kritischen Edition von Bernardo Ticci und Ottavio Dantone. Die Handlung stützt sich auf die altbekannte Geschichte des römischen Kaisers in Ägypten mit dem Personal Cesare, Cleopatra, Cornelia, Achilla, Tolomeo und Lepido.

In Lallis, vom jungen Goldoni mit verfassten Textbuch streiten sich neben der unvermeidlichen Liebesgeschichte Cleopatra und Tolomeo hahnenkampfähnlich um die Macht. Das kulminiert darin, dass Tolomeo, um sich erfolgreich bei Cesare einzuschleimen, ihm als „Geschenk“ den abgehackten Kopf von dessen politischen Widersacher und einstigen Schwiegersohn Pompeo überreicht, was die Witwe Cornelia naturgemäß tobend und rasend auf den Plan ruft. Es wäre nicht das verschroben-verworrene Universum der italienischen Barockoper, diente nicht Cornelia neben allen politischen staatsräsonierenden Ingredienzien auch als erotische Fantasy für Tolomeo und Lepido.

Die durchaus temperamentvolle und unmittelbar ansprechende, wenngleich kaum originelle Musik gliedert sich, wie bei solchen Werken üblich, in eine endlose Abfolge aus Rezitativen und Arien, denen als instrumentale Einleitung eine Sinfonia vorangestellt ist. Der aus Siena stammende Musikwissenschaftler Bernardo Ticci rühmt Giacomelli als Meister der theatralischen Sprache und lobt dessen spezifisches musikalisches Gespür. An dieser Einschätzung ist was dran. An in den Arien überwiegend koloraturreich ausformulierten Affekten, Zuständen und Naturgewalten ortet Ticci Wut, Tyrannei, Tapferkeit, Eifersucht, Rache, Verrat, Sturzbäche, ‚empathische‘ Meereskräfte, gebrochene Herzen und geliebte Augen.

Mit seiner neben Streichern mit Laute, Theorbe, Horn, Fagott, Oboe, Flöte und Cembalo besetzten Accademia Bizantina holt Ottavio Dantone vor allem das emotional Erregte aus der Partitur heraus. Die durchwegs kundige Sängerriege weist bekannte Namen und solide Könner der Alten Musikszene aus. Die Sopranistin Arianna Vendittelli als Cesare, Emőke Baráth als Cleopatra, der schneidend auftrumpfende Tenor Valerio Contaldo als Kopfabschneider Tolomeo und der erstaunlich hell timbrierte Kontraalt der im Dramatischen an Grenzen stoßenden Margherita Maria Sala als Wutbinkerl Cornelia schlagen lebendige Theaterluft auch aus der Konserve. Filippo Mineccia als Achjlla und der junge Federico Fiorio als Lepido halten die Fahne der Countertenöre hoch.

Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=MsyW5p76tvU

Fazit: Die zigste Ausgrabung aus den italienischen Opernstuben des 18. Jahrhunderts. Dennoch durchaus vergnüglich und abwechslungsreich mit überwiegend exzellenten Vertretern ihres Fachs zu hören. Aber wie das auch für wohlschmeckende Produkte aus Patisserien gilt, empfiehlt es sich zur Vermeidung einer möglichen Überreizung, dem fast drei Stunden dauernden Arienmarathon im wahrsten Sinne „scheibchenweise“ zu frönen.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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