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CD GAUTIER CAPUCON: GAIA – 17 Kompositionen, gewidmet der Erde, inspiriert von ihrer Schönheit, ihrer Zerbrechlichkeit, ihrer Stärke; Erato

04.11.2025 | cd

CD GAUTIER CAPUCON: GAIA – 17 Kompositionen, gewidmet der Erde, inspiriert von ihrer Schönheit, ihrer Zerbrechlichkeit, ihrer Stärke; Erato

„Das Album ist auch ein Mahnruf, eine Hymne an diese bedrohte Schönheit, ein Gebet für die kommenden Generationen.“ Gautier Capuçon

vh

Gautier Capuçon ist ein Cellist von Gnaden und echter Savoyarde, der in und mit den Bergen aufgewachsen ist. Schon in früheren Alben ließ er sich mit dem Cello, Pult und Noten im Smoking auf Gletschern ablichten und demonstrierte so sein Verwachsensein mit der Natur, mit dem ewigen Eis und Fels. Diesmal treibt er sein zur Schau gestelltes Wohlgefühl erhaben-hochalpiner Welten wahrlich auf die Spitze. Die spektakulären Fotos des Cellisten für Cover und Booklet wurden allesamt im Mont Blanc-Massiv, genauer im Gletscherbecken La Vallée Blanche bei Chamonix, auf dem Gletscher Combe Maudite, auf dem größten Gletscher Frankreichs, dem Mer de glace, dem 3842 m hohen l’Aiguille du Midi und dem schwindelerregenden Berggrat Arête des Cosmiques aufgenommen.

Playing top im wahrsten Sinn des Wortes:  So weit, so telegen. Sein Projekt mit der Bezeichnung Gaia, Urgöttin der Erde in der griechischen Mythologie, geht auf die innige Beziehung des Künstlers zur Natur, zu den Bergen, zur Landschaft seiner Kindheit und Jugend zurück. Alle Musik auf dem Album ist speziell auf Wunsch und im Auftrag von Gautier Capuçon entstanden und wird hier erstmals eingespielt.

Da finden sich so illustre Namen wie Max Richter, Joe Hisaishi, Ludovico Einaudi, Gabriela Montero oder Nico Muhly. Als Schöpfer der drei bis knapp sechs Minuten langen Stücke finden sich weiters Bryce Dessner (zwei Mal), JB Dehner, Ayanna Witter-Johnson, Armand Amara, Olivia Belli, Xavier Foley, Jasmine Barnes, Quenton Blache, Abel Selaocoe, Missy Mazzoli sowie Michael Canitrot/Wladimir Pariente Dementsprechend stilistisch weit und unterschiedlich fallen die Musiken, die allesamt vom Thema „Erde“ erzählen, aus. „Jedes Stück gibt dem Cello seine eigene Stimme und lässt uns in die Kraft und Tiefe der Natur und der Erde, der Quelle des Lebens eintauchen“, so der Musiker zu seiner idealistischen musikalischen Tour de Force.

Es handelt sich bei der Mehrzahl der Stücke nicht um ausgesprochene Programmmusik, sondern um aus hochpersönlichen Emotionen und Gedanken destillierte klangliche Inventionen. So erklärt Max Richter zu seiner „Sequence for Gaia“ für Cello und Klavier, er habe ein Zitat Hermann Hesses nach einer Gipfelerklimmung im Sinn gehabt, als er die Musik schrieb. Es macht eben doch einen Unterschied, ob man einen Berg zu Fuß ersteigt oder sich per Seilbahn hochhieven lässt. Nicht im objektiv gegebenen Ausblick ins Tal, jedoch in der subjektiven Empfindung, dem Hochgefühl der Anstrengung (view versus vision).

Der US-amerikanische Komponist und Gitarrist Bryce Dessner wiederum reflektiert in seinen beiden Stücken für Cello solo „Towards the Forest“ und „Towards the Light“ in kinetisch kreisenden Patterns Natur, konkret dazu inspiriert von Landschaftsgemälden Edward Munchs aus dem Osloer Munch Museum. Der französische Bandmusiker Jean-Benoît Dunckel-Barbier ließ sich zu „Wake“ für Cello und Celloensemble vom „Gesang“ des Waldes anregen, den unterschiedlichen Stimmungen je nach Jahreszeit und Wetter.

Ludovico Einaudis „Air“ hingegen braucht kein Programm und keine Übersetzung des poetischen Gehalts. Wir erleben eine fliegende Melodie für Cello, ein Lied, das keiner Worte bedarf. Wunderbar duftig und luftig hat Joe Hisaishi sein „Prélude“ für Gautier in Szene gesetzt. Cello und Klavier umkreisen einander quasi-arpeggierend in variabel kontrastierenden Rhythmen. Minimal Music in all ihrem harmonisch wandelbaren Zauber.

Der französische Filmkomponist Armand Amara (u.a. schrieb er die Musik zum Streifen „Das Konzert“) nimmt in „Boreas“ auf den Gott des winterlichen Nordwinds Bezug. Dieses üppig mit Cello, Klavier und Celloensemble besetzte Stück ist stilistisch ebenfalls den repetitiven Mustern der Minimal Music verpflichtet. Amara weiß mit wilden Akzenten und dem unerbittlichen Furor der Elemente auf faszinierende Weise in die Fußstapfen von Rameau zu treten. Mein persönliches Lieblingsstück des Albums.

Die neoklassizistische italienische Komponistin und Pianistin Olivia Belli umkreist in „Tàmâr Mĕtūshelāḥ“ ihren Glauben an die Resilienz und Vitalität der Natur in einfachen Harmonien. Zeuge dafür ist ein Dattelbaum, der aus einem 2000 Jahre alten Samen spross. Der amerikanische Kontrabassist Xavier Foley vollführt in “Ambition“ einen jazzig verspielten Reigen mit Cello und Klavier im Spannungsfeld von Entschiedenheit und Verletzbarkeit.

Mit weit ausschwingenden Melodien entzückt Gabriela Monteros „Sur le lac du Bourget“, eine Hommage an Seenromantik im Kleide der Klangwelten des französischen Impressionismus durch die Brille des Kinos der 60-er Jahre. Jasmine Barnes aus Baltimore evoziert in „Life in Sinshine“ mit Ausdrucksmitteln von Neo-Soul, Gospel und Jazz für Cello und Celloensemble einen Moment der Sorgenfreiheit, wie er sich dann und wann in der Kindheit zeigt.

Der US-amerikanische Komponist und Pianist Nico Muhly experimentiert in „Side Piece“ sanft lautmalerisch mit der Konsistenz von Flüssigem, nicht ohne auf spannende Verfremdungseffekte zu verzichten. Der aus Los Angeles stammende Cellist und Komponist Quenton Blache stellt in „Of Wind and Rain“ die beruhigenden Klänge von Wind und Regen ins Zentrum seiner Inspiration. Für Cello und Celloensemble geschrieben, wartet der junge Musiker mit gehörig Temperament und kompositorischer Raffinesse auf.

Der aus Südafrika stammende, im UK lebende Cellist, Sänger und Komponist Abel Selaocoe drückt in „Toro Tsa Kwa“ für Cello und rituell-furiose Vocals seine funkensprühende Dankbarkeit für das Geborensein und die Fürsorge für die Erde, die uns ernährt, aus. Missy Mazzoli, amerikanische Pianistin, Komponisten und Hochschullehrende versucht in „The Usual Illusion“ das Phänomen „Fata Morgana“ klanglich auszuleuchten. Was sich am Horizont von Wüsten und Polarregionen als Illusion erweist, speist seit jeher Geschichten von Sirenen, Geisterschiffen und verlorenen Kontinenten.

Das Album schließt mit dem Chanson „Never Say Never“ von Michael Canitrot/Sarah Rebecca, ein gefühliges Arrangement, wo sich die rauchige Stimme von Sarah Rebecca und der sinnlich-kernige Celloklang des Gautier Capuçon aufs herzerwärmendste mischen. Ganz ohne Kitsch geht es eben auch nicht.

Musiziert wird das musikalisch süffige Novitäten-Album auf durchwegs hohem Niveau von Gautier Capucon, Jacques Ducros (Klavier), Ayanna Witter-Johnson (Cello, Gesang), Frank Braley (Klavier), Olivia Belli (Klavier), Abel Selaocoe (Cello, Vocals), Sarah Rebecca (Gesang) und dem Capucelli Cello Ensemble.

Link zu JB Dunckels „Wake“: https://www.youtube.com/watch?v=DOVkGG6hVYM&list=RDDOVkGG6hVYM&start_radio=1

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

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