CD GAUTIER CAPUCON – DESTINATION PARIS; Erato
Schmachtfetzenparade – Der französische Cellist mit einem Softklassik-Programm arrangierter „Evergreens“ aus den Sparten Chanson, Film und Oper
Gautier Capuçon ist ein erstrangiger Cellist mit unverwechselbar großem romantischem Ton, ein überaus empathischer Teamplayer und emotional stets fesselnder Kammermusiker. Was Konzerte anlangt, so zählt etwa die Mitwirkung des damals blutjungen Musikers im „Tripelkonzert“ von Beethoven mit Martha Argerich und Bruder Renaud auf der Geige (Livemitschnitt von den Salzburger Festspielen 2008, Gustavo Dudamel dirigiert das Simón Bolívar Youth Orchestra of Venezuela) zu den beeindruckendsten Zeugnisses pastos fiebernden, strukturell aufwühlenden und jugendlich draufgängerischen Cellospiels. In Kombination mit dem sachlich klaren Geigenton seines Bruder Renaud und der heroisch wilden Pranke der Argerich ergibt das eine unwiderstehlich aufregende Mischung.
Bei seinen Auftritten anlässlich des Kammermusikfestivals in Lugano der Martha Argerich (nachzuhören etwa in der Warner-Box „Martha Argerich The Lugano Recordings 2002-2016“) begegnet uns mit Capuçon zudem ein im Zusammenspiel sich intensiv verströmender, leidenschaftlicher, stilistisch vielseitiger Musiker, der immer wieder – hochehrlich im Ausdruck und mit vollem Einsatz – für intensive Hörerlebnisse sorgte.
Schon bei den Vorgänger Solo-Alben „Intuition“, „Emotion“, „Souvenir“ und zuletzt im vor über einem Jahr erschienenen Solo-Album „Sensation“, ebenfalls mit Jérôme Ducros am Flügel, setzte Capuçon auf ein „Best of“ einschmeichelnd bekannter Melodien. Der Mix bei „Sensation“ bestand aus etlichen für Cello bearbeiteten Chansons (Jacques Brel: Quand on n’a que l’amour), Songs (Harold Arlen: Over the Rainbow aus „The Wizard of Oz“), Ballettzünder (Serge Prokofieff: Danse of the knights aus „Romeo & Julia“), Opernschlager (Giacomo Puccini: Nessun Dorma aus „Turandot“) und anderen Filmmusikohrwürmchen.
Erfolg verpflichtet offensichtlich, auch bei künstlerisch fragwürdigen, vollkommen beliebigen Programmen. Daher folgt in der anspruchslosen Reihe nun mit „Destination Paris“ ein weiteres Kitschprogramm mit gleichbleibender Rezeptur. Diesmal mit Celloversionen u.a von George Bizets ‚Habanera‘ aus „Carmen“, Franz Lehars ‚Lippen schweigen‘‘ aus „Die lustige Witwe“, Charles Gounod ‚Ah, je veux vivre‘ aus „Romeo et Juliette“, Jacques Offenbachs ‚Barcarolle‘ aus „Les Contes d’Hoffmann“, Georges Brassens „Les Copains d’abord“ oder Charles Aznavours „La Boheme“.
Begleitet wird Gautier Capuçon vom faserschmeichelweich aufspielenden Orchestre de chambre de Paris unter der Leitung von Lionel Bringuier. In 15 von 22 Nummern ist der Pianist Jérôme Ducros mit von der Partie, der auch für die harmlosen bis aufreizend süßlichen Allerwelts-Arrangements verantwortlich zeichnet. Achtung: Zuckerschockgefahr! Beim eigens vom französischen Songwriter und Komponisten Jean-Jacques Goldman für das Album geschriebenen „Pense à nous“ für Cello, Kinderchor und Orchester assistieren ein „Orchestre á l’école“ aus Arles sowie der Kinderchor des französischen Rundfunks „Maîtrise de Radio France“.
Natürlich sind solche „Wunschprogramme“ im Sinne romantischer „Encores“ und Bearbeitungen populärer Melodien legitim und bedienen unbestreitbar einen Bedarf. Ich finde aber, dass es für einen begnadeten Musiker wie Gautier Capuçon nicht ausreichen sollte, in etlichen aufeinander folgenden Solo-Alben nur noch kommerzielle Zwecke zu verfolgen. Gerade in der zum Thema Erforschung des musikalischen Erbes so rührigen französischen Kulturlandschaft – ich denke da etwa an die Fondation Bru Zane oder Château de Versailles Spectacles – hätten die Programmgestalter zum Thema „Destination Paris“ auch über weniger bekannte, nichtsdestotrotz wunderbar sinnliche Stücke französischer Komponistinnen des 19. Jahrhunderts stolpern oder die eine oder andere Kante/Ironie/Humor zulassen können.
Nichts davon. Da verkauft sich ein Könner und Vollblutmusiker auf die Dauer massiv unter Wert.
Inhalt des Albums:
- Angel Cabral: La Foule
- George Bizet: Habanera aus Carmen
- Mike Wilsh / Mike Deighan: Waterloo Road (Les Champs-Elysées)
- Franz Lehar: ‚Lippen schwiegen‘ aus „Die lustige Witwe“
- Joseph Kosma: Les Feuilles mortes
- Jean-Philippe Rameau: Danse des sauvages aus „Les Indes galantes“
- Michel Legrand: The summer knows, L‘été 42
- Georges Brassens: Les Copains d’abord
- Charles Gounod: ‚Ah, je veux vivre!‘ aus „Romeo et Juliette“
- Francis Lai: Un homme et un femme
- Jean-Jacques Goldman: Pense a nous, Envole-moi
- Ennio Morricone: Chi Mai (aus dem Film „The Professional“)
- Maurice Ravel: Pavane pour une infante défunte
- Charles Aznavour: La Bohème
- Claude Debussy: Beau soir
- Richard Cocciante: Belle (aus dem Musical „Notre Dame de Paris“)
- Philippe Sarde: La Chanson d’Hélène aus dem Film „Les Choses de la vie“
- Jacques Offenbach: Barcarolle aus „Les Contes d’Hoffmann“
- Georges Delerue: Thème de Camille aus dem Film „Le Mépris“
- Gabriel Faure: Sicilienne
- Vladimir Kosma: Reality aus „La Boum“
https://www.warnerclassics.com/release/destination-paris
Dr. Ingobert Waltenberger