CD GASPARE SPONTINI: OLIMPIE, Aufnahme aus der Philharmonie de Paris Mai/Juni 2016, Palazetto Bru Zane
Hector Berlioz hat Spontini ganz allgemein und diese tragédie lyrique basierend auf einem Schauspiel von Voltaire im Besonderen bewundert. Ästhetisch haben wir es jedenfalls mit einem Schlüsselwerk am Übergang von der tragédie lyrique zur großen romantischen Oper zu tun. Nicht wenig der prächtigen Musik weist schon auf die großen Meisterwerke Berlioz‘ hin.
Die Aufführungsgeschichte und die Rezeption der „Olimpie“ bis heute verliefen jedoch alles andere als reibungslos: Schon vor der Premiere an der Académie royale de musique als kolossal lang und laut verschrieen (die Zeitung „Le Camp volant“ schrieb, dass alle Trompeten der frz. Armee gebraucht würden, um die Pianostellen zu spielen), hat die Oper schon vor der Premiere Parodien auf den Plan gerufen. Da hat es nur noch der Ermordung des Herzogs von Berry im August 1820 am Eingang der Académie bedurft, um für die Oper rund um den gewaltsamen Tod von Alexander den Großen nach sieben Vorstellungen erst einmal das Aus in Paris zu bedeuten, trotz echter Elefanten auf der Bühne. Das war zudem gerade die Zeit, wo Spontini schon in Berlin beim preußischen König einen Vertrag als Generalmusikdirektor (ab Februar 1820) unterzeichnet hatte.
In Berlin überarbeitete Spontini die Oper, kein Geringerer als E.T.A Hoffmann besorgte die deutsche Textfassung, den dritten Akt schrieb er sogar komplett neu. Diese, allerdings in Französische rückübersetzte Fassung der „Großen Oper“ aus dem Jahr 1826 hören wir der kritischen Edition folgend mit zwei größeren Schnitten (vor allem Ballettmusiken betreffend) in der vorliegenden Aufnahme.
Da endet die Story keineswegs tragisch mit dem Selbstmord von Statira und Olimpie (wie in der Erstversion), sondern Olimpie heiratet den von jeglicher Schuld freigesprochenen Cassandre. Publikumsrenner war die zweite Variante in Paris ebenfalls nicht. Zu gestrig erschien der Stil im direkten Vergleich zu Rossinis höchst erfolgreicher Oper „Le Siège de Corinthe“. Das braucht den heutigen Hörer allerdings nicht abzuschrecken. Historische Modefragen sind für unsere Wahrnehmung von Musik irrelevant.
Im 20. Jahrhundert ist eine Aufführung vom Olimpie 1950 mit Renata Tebaldi unter Tullio Serafin beim Maggio Musicale Fiorentino verbürgt. 1966 folgte eine weitere Produktion, diesmal an der Mailänder Scala mit Pilar Lorengar, Fiorenza Cossotto und Franco Tagliavini (ein Mitschnitt war als CD u.a. auf dem Label Opera d‘Oro erhältlich). Die einzige Studioproduktion (Orfeo) mit Varady, Toczyska, Tagliavini, Fischer-Dieskau ist als CD vergriffen und nur auf Vinyl erhältlich. Die neue Aufnahme ist also höchst willkommen.
Die in ihrer Emphase und mächtigem Auftritt Wagner vorwegnehmende Musik kann als lautmalerisch heroisch, feierlich, melodienselig, reich orchestriert, leidenschaftlich oder auch effektvoll beschrieben werden. Wer es pompös liebt, wird gut bedient. Trompeten künden Militärisch-Martiales, es gibt gewaltige Chorszenen, eine Stretta und pathetische Aktschlüsse ebenso wie filigranen Kontrapunkt, neue Echotechniken und Tanzszenen. Vor allem die vielen Ensembles sind äußerst kunstvoll gewebt und unkonventionell instrumentiert.
Die ziemlich krude Handlung geht kurz so: Die beiden am Tode Alexanders beteiligten Könige Antigone (frz., dh das -e wird nicht ausgesprochen) und Cassandre sind in die vermeintliche Sklavin Aménais (=Olimpie) verliebt. Nachdem die Frauen im zweiten Akt ihre wahre Identität vor Cassandre preisgeben, ist wegen der ungeklärten Schuldfrage am Mord des Vaters der Titelheldin erst noch ein intrigenschwangeres „Hühnchen“ zwischen den verfeindeten Armeen des Antigone und Cassadre zu rupfen. Antigone gesteht vor seinem Tod unter Blitzschlag und Anrufung der Gottheiten der Unterwelt, dass er den Tod Alexanders allein auf seine Kappe nimmt. Der Hochzeit Olimpies mit dem geliebten Cassandre im heiteren Klangkleid steht nun nichts mehr im Wege.
Unter der lebendig jedes Detail auslotenden musikalischen Leitung von Jérémy Rhorer spielt das Originalklangensemble Le Cercle de l’Harmonie klangschön auf, lässt die Fanfaren glänzen, die Trommeln rühren und die Streicher huldvoll singen. Der Flämische Radiochor als Profi-Kammerchor ist besser als die meisten Opernchöre. Die Besetzung rund um die edelreife kanadische Sopranistin Karina Gauvin als Olimpie, Tochter Alexanders des Großen, kann sich durchaus hören lassen: Kate Aldrich ist Alexanders Witwe und Olimpies Mutter Statira, der in die allererste Reihe gehörende niederösterreichische Bassbariton Josef Wagner der griechische König Antigone, der lyrische Tenor Mathias Vidal (mit Florez Potential) interpretiert die Rolle des makedonischen Königs Cassandre. Ferner hat Patrick Bolleire seinen Auftritt als L’Hiérophante und Philippe Souvagie als Hermas.
Keine Frage, hier haben wir es mit einer Referenzeinspielung zu tun.
Anmerkung: Das Centre de Musique romantique française im venezianischen Palazetto Bru Zane (Fondation Bru) kümmert sich um die Wieder-Entdeckung des französischen musikalischen Erbes von 1780-bis1920. Da treffen sich Wissenschaftler und Künstler, um Partituren zu editieren, Konzerte und Opernaufführungen international zu organisieren, das Ganze überzuckert mit pädagogischen Projekten und der Veröffentlichung von Schallplattenaufnahmen. Die Edition zählt mit „Olimpie“ die Nummer 20. Die zwei CDs werden in einem höchst informativen, gut illustrierten Buch (167 Seiten, Texte in Französisch und Englisch) angeboten.
Dr. Ingobert Waltenberger