CD GAETANO DONIZETTI: LUCIA DI LAMMERMOOR – Lisette Oropesa, Stefan Pop und Mattia Olivieri als Top-Besetzung einer Studioaufnahme aus dem Teatro Sangiorgio Catania; Euroarts

Donizettis „Lucia di Lammermoor“ nach dem auf Sir Walter Scotts Schauerroman “The Bride of Lammermoor“ basierenden Libretto von Salvatore Cammarano ist einer der vokal vielschichtigsten Belcanto-Opern, die bis heute nichts von ihrer Faszination und Bühnentauglichkeit eingebüßt haben. Verständlich, bietet sie doch außer der gnadenlosen Brutalität politischer Rivalität und einer tragischen Liebesgeschichte zwischen Lucia aus dem Clan der Ravenwoods und Lord Enrico Ashton mit der Titelpartie eine der virtuosesten, koloraturfunkelndsten Gesangspartien der Operngeschichte, mit der legendären Wahnsinnsarie ‚Il dolce suono‘ als ausgewiesenen Höhepunkt der Geschichte.
Viele der größten Sopranistinnen, die das Fach der lyrischen bzw. dramatischen Koloratur beherrsch(t)en, haben sich die Partie zu eigen gemacht: Die Pons, die Callas, die Paliughi, die Sutherland, die Moffo bis zur Gruberova, um nur einige zu nennen, haben sich dabei in mörderischen Wahnsinn gestürzt und viele begeisterte Fans in tobende Applaus-Raserei versetzt. Vom ungeheuren Erfolg der Musik erzählen auch die zahlreichen Ton- oder Video Studio- und Liveaufnahmen, die von dieser Oper existieren.
Kein Wunder, dass sich auch die gloriose Trias der heutigen lyrischen Koloraturprimadonnen, Lisette Oropesa, Pretty Yende und Nadine Sierra die Partie der in den männlichen Rache- und Machtintrigen gefangenen tapferen und treuen, den ihr zwangsweise angetrauten Lord Arturo Bucklaw in der Hochzeitsnacht hinmeuchelnden jungen Frau erarbeitet hat.
Die kubanisch amerikanische Opernsängerin Lisette Oropesa, derzeit international eine der ersten Adressen für Barock, Mozart bis italienischen Belcanto und das französische lyrische Fach, hat die Lucia auf der Bühne schon an die 50-mal, u.a. in Paris, an der Royal Opera Covent Garden London, am Teatro Real Madrid, an der Wiener Staatsoper und an der Mailänder Scala verkörpert.
Genau von dieser reichbunten Bühnenerfahrung profitiert die vorliegende Aufnahme, die noch dazu mit den stilistisch hervorragenden Kräften von Coro und Orchestra del Teatro Massimo Bellini di Catania unter der dramatisch aufpeitschten Leitung von Fabrizio Maria Carminati für hitziges Theaterblut sorgt. Hören Sie sich das temperamentvolle Finale des zweiten Aktes oder das mit ausgefahrenen Krallen hahnenkämpferische Duett Edgardo-Enrico zu Beginn des dritten Aktes an! Große musiktheatralische Momente, die jede Note mit dramaturgischer Unbedingtheit aufladen und zum Besten gehören, was dieses Jahr in Sachen Opern publiziert wurde. Mit dem grandios heldisch auftrumpfenden Stefan Pop als Sir Edgardo di Ravenswood und dem italienischen, viril timbrierten, höhensicheren Bariton Mattia Olivieri als Lord Enrico Ashton sind zwei Spitzensänger aufgeboten, die locker mit den besten Interpreten der beiden Rollen in den mir bekannten Aufnahmen mithalten können.
Lisette Oropesa gehört von Stimmtyp her sicher nicht zu den hochdramatischen Interpretinnen, wie es die Callas oder die Scotto waren. Ihre noch immer mädchenhaft anmutende Stimme ist im aktuellen Stadium der Karriere – für Sommer 2026 ist das Norma-Debüt beim finnischen Savonlinna Opera Festival anvisiert – nahezu ideal für die sowohl lyrisch verinnerlichten Augenblicke in der Suche nach der eigenen unveräußerlichen Wahrheit und Lebenslogik als auch die somnambule Intensität der Wahnsinnsszene, die den Tod der charakterlich so standhaften und starken Figur vorwegnimmt. Oropesas Stimme spricht in allen Lagen gleich gut an, entzückt mit wunderbaren Decrescendi und verfügt über genügend Schlagkraft und Ausdauer für die gefürchteten Akuti der Rolle. Die Interpretation ist ein Schulbeispiel für großartigen Belcanto im Hier und Jetzt, allerdings ohne zirkusreife Koloratur-Einlagen. Oropesa verzichtet nämlich auf die berühmte erweiterte Kadenz à la Nellie Melba mit Flöte oder Glasharmonika und präsentiert dafür eine eigene Fassung, die sie anlässlich ihres Lucia-Rollendebüts an der Pariser Oper präsentierte.
Die übrigen Rollen sind mit dem erfahrenen Bass Riccardo Zanellato als Raimondo Bibedent, dem irischen Tenor Dean Power als Normanno, Irene Savignano als Alisa und mit Didier Pieri als Lord Arturo Bucklaw angemessen besetzt.
Kleine Einschränkung: Die trockene Akustik des Teatro Sangiorgio Catania zollt ihren Tribut. Die Tonqualität spielt in Sachen Räumlichkeit und Brillanz nicht in der ersten Liga der technischen Möglichkeiten.
Dr. Ingobert Waltenberger

