CD GAETANO DONIZETTI „IL PARIA“ Studioaufnahme mit Albina Shagimuratova, René Barbera und Marko Mimica; Opera Rara
Furioser Belcanto – Lohnende Ausgrabung
Veröffentlichung: Jänner 2021
In Neapel durfte im frühen 19. Jahrhundert nach einer königlichen Opern-Galapremiere niemand applaudieren, bevor nicht der König sich als Erster dazu herabgelassen hat. Was war also, wenn der aber nicht wollte oder anderweitig mit seinen Gästen beschäftigt war und dadurch die Bestätigung des Publikums ausblieb? Richtig, dann ist die Oper durchgefallen.
Wir schreiben den 12. Jänner 1829. Im Teatro San Carlo wird Donizettis zweiaktige Oper „Il Paria“ uraufgeführt. Es war des Komponisten erste Premiere als Direktor der Königlichen Theater in Neapel, seine erste Oper mit einem tragischen Ende und die erste mit einem exotischen Sujet (aber ohne musikalisch kolorierte Entsprechungen wie später etwa in „Aida“). Der König und die royalen Gäste wurden vom Publikum enthusiastisch gefeiert, die Oper (besser gesagt: der Komponist) aber nicht. Nach nur sechs Vorstellungen war trotz der damaligen gefeierten Superstars in den Hauptrollen (Adelaide Tosi als Neala, Giovanni Battista Rubini als Idamore und Luigi Lablache, dem späteren Gesangslehrer von Queen Victoria, als Zarete) Schluss.
Zuerst beabsichtige Donizetti noch, die Oper umzuarbeiten, doch dazu ist es nie gekommen. Dafür bediente sich der Vielschreiber des Öfteren an eingängigen Nummern aus der früheren Oper, so zum Beispiel für „Anna Bolena“ oder für „Le Duc d’Albe“.
„Il Paria“ nach einem Libretto von Domenico Gilardon (basierend auf dem französischen Stück „Le Paria“ von Casimir Delavigne) spielt im indischen Benares im 16. Jahrhundert. Die Priesterin des Sonnenkults Neala, Tochter des Hohepriesters der Brahmanen Akebare ist in Idamore, den erfolgreichen Heerführer aus der jüngsten Schlacht gegen die Portugiesen verliebt. Dieser selbstbewusste Krieger Idamore ist jedoch der Sohn des Paria Zarete und weiß seine Herkunft in der Armee geschickt zu verbergen. Weil aber schon damals irgendwann alles aufflog, so musste unser Held schließlich Neala trotz aller Kastengesetze davon überzeugen, dass die Liebe stärker ist als jeder Hass, der auf religiösen Standesdünkel zurückgeht. Sie beschließen nach der Hochzeit gemeinsam zu fliehen. Als Idamores Vater Zarete davon hört, betritt er den Tempel, worauf die Todesstrafe steht. Idamore will seinen Vater retten und alle wissen nun, dass auch er ein Paria ist. Beide werden zum Tod verurteilt. Akebare freut sich, Vorhang.
„Il Paria“ ist eine Choroper großen Formats (bei den dramatischen Chornummern lässt sich schon Verdis “Otello” erahnen) mit enorm anspruchsvollen Gesangspartien. Die Rollen des Tenors und des Soprans sind mit hohen Noten und virtuosem Zierrat genau so fett gespickt, wie ein weihnachtlicher Rinderbraten mit Speck. Die Auftrittsarie des Idamore ist eigentlich schlichtweg unsingbar mit 13 hohen C’s, die aber noch dazu blöd liegen, weil rund um die hohen Noten noch in aller Leichtigkeit getrillert und fioriert werden muss. Rubini war der typische Vertreter eines an der Mode der Kastraten orientierten Singwiese, das Gegenteil des baritonal getönten dramatisch-heldischen Tenors, wie er später von Donizetti und Verdi so geschätzt wurde. Er konnte das alles, die Rolle war auf ihn maßgeschneidert.
In der im Jänner 2019 in den BBC Maida Vale Studios in London entstandenen Aufnahme mit der Britten Sinfonia unter Sir Mark Elder ist die Priesterin Neala mit der russischen Koloratursopranistin Albina Shagimuratova und die Rubini-Rolle des Idamore mit dem Amerikaner René Barbera besetzt.
René Barbera schlägt sich mit fein granuliertem Tenor in der Titelrolle wahrlich tapfer. Den Großteil der Partie singt er mit bewundernswerter Schönheit des Tons, rollenadäquater Dramatik und lyrischer Emphase in den an besten Bellini erinnernden unendlichen melodischen Bögen. Manchmal entgeht sein technisch sehr gut geschulter Tenor (was für wunderbare Decrescendi er singen kann) jedoch Verengungen in höchsten Lagen nicht. Insgesamt ist dennoch eine exzellente Interpretation zu loben.
Albina Shagimuratova legt ihre bislang beste Platteneinspielung vor. Die Versprechen, die sie bereits mit der hochgepriesenen Aufnahmen von Rossinis “Semiramis“ gab, löst sie nun vollends ein. Sie verfügt nicht über den cremigen Ton der Sutherland und nicht über die ätherischen Piani der Caballé, und dennoch brennt in ihrem ein wenig herber timbrierten lyrischen Koloratursopran (mit Potential in dramatischere Gefilde) ein inneres Feuer, das den Figuren Wahrhaftigkeit verleiht. Shagimuratova vermag mit differenziertem Ausdruck, bester Gesangstechnik und kluger Charakterisierungskunst bewegende Opernschicksale zu formen. Das ist wohl das ultimative Geheimnis einer großen Sängerin.
Der georgische Bariton Misha Kiria fasziniert in der großen Szene im zweiten Akt mit rund fließendem Ton, gehaltvollen Piani und dramatischer Attacke. Da muss man schon auf Juan Pons oder Renato Bruson zurückgreifen, um vergleichbare Leistungen zu nennen. Eine Entdeckung! Mirko Mimica zeichnet mit seinem kernig virilen Bariton den gefährlichen Bösewicht ‚Akebare‘. Der Tenor Thomas Atkins als Empsaele und die Mezzosopranistin Kathryn Rudge als Priesterin Zaide ergänzen das sehr gute Ensemble.
Der Opera Rara Chorus (Einstudierung Stephen Harris) ist eine Klasse für sich. Sir Mark Elder – von 2012 bis 2019 war er künstlerischer Leiter von Opera Rara – regt die Britten Sinfonia zu Höhenflügen in diesem auch instrumental stilistisch heiklen, nicht zu unterschätzenden Belcantofach an. Der Hörer darf sich an knackigen Rhythmen und stürmenden Strettas erfreuen, das Finale des zweiten Akts fetzt in glühender Intensität bis zum finalen C des Soprans und des Tenors.
Video Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=Q_UxTz1dN0Q
Hinweis: Eine erste CD-Aufnahme der Oper entstand 2001 live in Faenza unter Marco Berdondini mit Alessandro Verducci, Patrizia Cigna, Marcin Bronikowski, und Filippo Pina Castiglioni in den Hauptrollen und dem Orchester „Pro Arte Marche“. Sie wurde beim Label Biongiovanni publiziert.
Dr. Ingobert Waltenberger