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CD: GAËTANO DONIZETTI: Dalinda • Berliner Operngruppe, Felix Krieger. Live-Mitschnitt

19.03.2024 | cd

CD: GAËTANO DONIZETTI: Dalinda • Berliner Operngruppe, Felix Krieger

Weltersteinspielung

Ein Juwel im Oeuvre Donizettis

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Am 14. Mai 2023 war im Konzerthaus Berlin dank der kritischen Edition von Eleonora Di Cintio und dem Engagement der Berliner Operngruppe die Uraufführung von Donizettis Oper «Dalinda» zu erleben. Bei Oehms Classics ist nun ein Live-Mitschnitt der Uraufführung erschienen. Die technische Umsetzung des Live-Mitschnitts ist mustergültig: es gibt kein Hinweis auf ein Publikum.

Bei der Arbeit an der kritischen Edition von Donizettis «Lucrezia Borgia» entdeckte 2019 die Musikwissenschaftlerin Eleonora Di Cintio in der Bibliothek des Konservatoriums ein unbekanntes Libretto mit dem Titel «Dalinda». Bald ergab sich, dass es sich um eine Bearbeitung von «Lucrezia Borgia» handeln musste. In detektivischer Kleinarbeit, ähnlich wie das Jean-Christophe Keck bei den Werken Offenbachs tut, gelang es Di Cintio die Musik komplett zu rekonstruieren und eine von Ricordi verlegte kritische Edition zu erstellen. Die Uraufführung verdankt sich dem Engagement der 2010 vom Dirigenten Felix Krieger gegründeten Berliner Operngruppe, die das Ziel hat, in Berlin Opern zu präsentieren, die abseits des gängigen Opernrepertoires stehen und hier entweder noch nie oder seit vielen Jahrzehnten nicht mehr zu hören waren.

Die Relevanz der Einspielung liegt nun nicht nur darin, Donizetti-Fans zu begeistern und das Schaffen der ewig tätigen Musikpumpe um einen Titel zu ergänzen, sondern auch darin, dass es sich hier nicht um einen Austausch von Namen und Zeit der Ort und Handlung handelt, sondern die tiefergehende Umarbeitung eines Werks des führenden Librettisten der Zeit, Felice Romani (1788-1865). Verantwortlich dafür ist die Zensur, mit der fast jeder Komponist der romantischen italienischen Oper mehr oder weniger stark zu kämpfen hatte.

Wie so viele andere Werke Donizettis entstand «Lucrezia Borgia» in verhältnismässig kurzer Zeit. Am 10. Oktober 1833 unterzeichnete Donizetti den Vertrag und die Uraufführung fand am prestigeträchtigsten Termin der damaligen italienischen Opernwelt, der Eröffnung der Karnevalssaison am 26. Dezember 1833 statt. Als arrivierter Komponist konnte Donizetti das Libretto selbst wählen und entschied sich für das nur wenige Monate zuvor uraufgeführte Drama «Lucrèce Borgia» von Victor Hugo als Vorlage.

Die Uraufführung war kein überragender Erfolg, aber rasch entwickelte sich Lucrezia Borgia zu einer der beliebtesten Opern des Meisters aus Bergamo. Mit dem Versuch die Oper in Neapel herauszubringen, begannen die Probleme für Donizetti erst richtig. Von den verschiedenen Fassungen von «La cena della vendetta» über «Elisa Fosco» und «Adelinda» bis «Dalinda» fand keine die Zustimmung der Zensur.

Interessant an «Dalinda» ist, dass hier bei gleichbleibender Personenkonstellation durch die zeitliche und örtliche Verlagerung die Oper wesentlich interessanter und aktueller geworden ist. Das klassische Dreieck der italienischen Oper (Sopran-Tenor-Bariton) bleibt auch in «Dalinda» erhalten. Die Handlung wird aus der italienischen Renaissance ins mittelalterliche Persien, auf Burg Alamut zur Zeit des 3. Kreuzzugs (1189-1192) verlegt.

Aus Lucrezia Borgia wird Dalinda, aus ihrem Sohn Gennaro wird Ildemaro und aus Alfonso d’Este der persische Fürst Acmet. Damit gewinnt das Mutter-Sohn-Verhältnis an Brisanz, denn Dalindas Sohn Ildemaro ist Christ, während sie und ihr Gatte Acmet moslemischen Glaubens sind. Aus Lucrezia Borgia wird eine persische Frau mit eigenem Willen, die auch bereit ist, diesen durchzusetzen. Wenn Lucrezia die Maske heruntergerissen wird, fällt nur eine Verkleidung: wenn Dalinda der Schleier heruntergerissen wird, ist das ein Tabubruch. Ob diese Schärfung der Handlung gewollt war oder nicht, lässt sich nicht abschätzen. Aber auch diese Fassung fand nicht die Billigung der Zensur und verschwand in den Archiven, bis Eleonora Di Cintio das Libretto wiedergefunden hat.

Zwischen «Lucrezia Borgia» und «Dalinda» liegen gut vier Jahre, in denen sich der Komponist Donizetti natürlich auch weiterentwickelt hat. So bieten die ersten beiden Akte noch weitgehend Material aus «Lucrezia Borgia», während Donizetti den dritten Akt «Dalindas» weitgehend neu komponiert hat.

Chor und Orchester der Berliner Operngruppe e.V. unter musikalischer Leitung von Felix Krieger (Choreinstudierung: Steffen Schubert) musizieren stilistisch einwandfrei und mit hörbarer Leidenschaft und vermögen das Feuer sofort zu entfachen.

Lidia Fridman gibt die Dalinda mit rundem, vollem Sopran absolut stilsicher. Besonders intensiv gelingen ihr die Duette mit ihrem Sohn Ildemaro. Luciano Ganci begeistert als Ildemaro mit agil geführtem, höhensicherem Tenor, der sich zwischen tenore di grazia und romantischem Tenor bewegt und mit dieser Mischung zwischen lyrischem Schwärmen und packender Attacke ideal zu dieser Rolle und Donizetti passt. Paolo Bordogna mit seiner reichen Belcanto-Erfahrung und seinem samtigen Bassbariton ist als Acmet eine Idealbesetzung. Yajie Zhang als Ugo d’Asti (Hosenrolle als Referenz an die Tradition?), Kangyoon Shine Lee als Garniero, Egor Sergeev als Ridolfo, Kento Uchiyama als Ubaldo und Fermin Bastera als Guglielmo ergänzen als fränkische Ritter das Ensemble. David Oštrek als Dalindas Diener Corboga und Andrés Moreno García als Acmets Vertrauter Elmelik komplettieren den Cast.

Eine höchst interessante Entdeckung und ein Muss für Fans von glutvoll umgesetztem Belcanto!

18.03.2023, Jan Krobot/Zürich

 

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