CD „FROM THE NEW WORLD“ – HANSJÖRG ALBRECHT auf der Konzertorgel der Kirche St. Michaelis in Hamburg; Transkriptionen über Musik von Dvořák (9. Symphonie, Carneval-Ouvertüre), Copland (Passacaglia) und Barber (Adagio);
Oehms Classics
„In memory of the Anglo-American conductor, concert organist, arranger and sound magician Leopold Stokowski (1882-1977) „
Nur selten geht Orgelmusik auf Tonträgern unter die Haut. Zu sehr hängt die überwältigende Wirkung der Königin aller Instrumente von hochgewölbten Kirchenräumen mit ihrer speziellen halligen Akustik und den körperlichen Vibrationen ab, die manche – vor allem tief gestimmte – Pfeifen erzeugen. Nicht zu vergessen bedarf es einer meisterlichen Aufnahmetechnik, die die Tiefenstaffelung, die enorme Wucht bei einer größtmöglichen Auswahl von gemeinsam spielbaren Registern sowie die Sauberkeit der kleinen Noten gleichermaßen einzufangen versteht. Martin Fischer ist auf diesem Gebiet dem Organisten Hansjörg Albrecht ein wunderbarer Partner.
Hamburg hat in der Kirche St.Michaelis heute wieder nicht nur eine hervorragende neobarocke Steinmeyer-Orgel (die der Vorgängerin Walcker & Cie-Orgel von 1912 nachempfunden ist, der einstmals größten, aber im Zweiten Weltkrieg zerstörten Orgel der Welt), sondern war auch Ausgangshafen für Millionen von Emigranten in die Vereinigten Staaten von Amerika. Wie viele von ihnen ein Stoßgebet vor der für ca. ein Fünftel der Reisenden tödlichen Überfahrt in der Michaelis Kirche gen Himmel gerichtet haben mögen, weiß keiner. Klar ist, nur wenige werden die zweite Marcussen Konzertorgel von 1914 auf der Nordempore gehört haben, weil die Hauptwelle der Emigration zwischen 1830 und 1914 stattgefunden hat. Zusätzlich gibt es noch ein voll funktionsfähiges Fernwerk, das seinen Klang von der zentralen Deckenrosette in 30 Meter Höhe streut.
Wir müssen uns Hansjörg Albrecht nun auf dem all diese drei Instrumente verbindenden und steuernden Haupttisch als eine Art erster Kapitän dieser majestätischen, stolz segelgeblähten Flotte an Pfeifen und Registern vorstellen, Glockenspiel, Regentrommel und Zimbelstern inklusive. Die Raumakustik spielt eine ganz entscheidende Rolle bei diesem Album, das ja neben der Widmung an Stokowski auch eine Hommage an die gewaltigen Räume der St. Patrick‘s Cathedral und der Cathedral of Saint John the Divine in New York und deren Orgeln sein will, die Dvorak wahrscheinlich in der sogenannten Neuen Welt gehört hat. Und wirklich ist es der mächtige quasi dreidimensionale Sound nach allen Regeln der Kunst, der audiophile Herzen höher schlagen lässt. Nicht zuletzt sind es auch die gekonnten Transkriptionen von Edwin Henry Lemare (Carneval), John Fesperman (Passacaglia), William Strickland (Adagio) und Zsigmond Szathmáry (9. Symphonie), die diese Gassenhauer der Klassik in ein ungewohntes, zauberisch bis festlich sprühendes Licht tauchen und zu einem stark berauschenden Fest der Sinne werden lassen.
Die dem Album namensgebende Neunte Symphonie “Aus der Neuen Welt” von Antonín Dvořák steht im Zentrum des Albums. Im Herbst 1892 reiste Dvorak samt Familie in die USA, um dort einem lukrativen Angebot als Leiter einer von der New Yorker Mäzenin Jeanette Thurber geförderten Musikschule nachzukommen. Als geistiges Fundament der Musik diente Dvořák Henry Longfellows Dichtung über den Irokesen-Häuptling Hiawatha. Aber sei es die im zweiten Akt anklingende Klage Hiawathas über das Hinscheiden seiner Gefährtin Minnehaha oder der für den dritten Satz komponierte Festtanz der Indianer zur Hochzeit Hiawathas, wir befinden uns klanglich und stilistisch eindeutig in slawischen Gefilden. Bombastisch und sehr amerikanisch hingegen erklingt das marschähnliche Hauptthema des vierten Satzes, das sich vor der „Neuen Welt“ hymnisch und ein wenig plakativ verneigt. Wer später auf die Klarinetten achtet, wird nicht umhin können, Dvořáks große Sehnsucht nach den granitenen Hochebenen, Karpfenteichen und feuchten Nadelwäldern Böhmens herauszuhören.
Der Symphonie geht die Transkription der Konzertouvertüre “Carneval” voraus, die der Trilogie “Natur, Leben und Liebe” entnommen ist und schon vor Dvořáks Amerika-Abenteuer entstanden ist. Als programmatisch und musikalisch dankbare Reisser aus der “Neuen Welt” erweisen sich die Transkriptionen der “Passacaglia für Klavier” von Aaron Copland und des berühmten “Adagios für Streicher” von Samuel Barber.
Den Organisten, Dirigent und Chef des Münchener Bach-Chores und des Münchener Bach-Orchesters Hansjörg Albrecht lobend zu würdigen, hieße Eulen nach Athen tragen. Es verdient jeden erdenklich positiven Bericht. Nur soviel: In der SACD-Reihe “Die Kunst der Orgeltranskription” für das Label Oehms Classics hat dieser großartige Organist mit seinem vollmundigen Spiel, dem Wissen um Strukturen und seinem wundersamen Klangempfinden schon für manches hehre Entzücken gesorgt. Vielleicht ist das neue Album ”From the New World” nun sein bestes. Anhören lohnt sich auf jeden Fall. Es wird nicht bei einem Mal bleiben. Neben der Neunten Mahler dirigiert von Adam Fischer ist Albrechts meisterlicher böhmisch-amerikanischer Musiktiegel derzeit meine Lieblings-CD.
Dr. Ingobert Waltenberger