CD FRANZÖSISCHE VIOLINSONATEN: THOMAS ALBERTUS IMBERGER und MICHAEL KORSTICK mit Werken von Fauré, Lekeu, Ravel und Poulenc; Gramola
Mit „Pie Jesu Domine, dona eis requiem, sempiternam requiem“ klangmalte Gabriel Fauré das engeltröstlichste Adagio einer Totenmesse mit Sopransolo, das sich denken lässt. Der Tod tritt in seinem „Requiem“ als beschützender Begleiter in einen anderen, in seliger Ruhe lächelnden Kosmos auf, nicht als schwarzkapuzter, sündererntender oder je nach Vorstellungsgabe kopfabsäbelnder Sensenmann.
Aber nicht alleine dieses wohl bekannteste Stück aus Faurés Schaffen, das nach dem Tod seines Vaters entstand, soll Signum dieses französischen Komponisten sein. Der 180. Geburtstag Faurés am 12. Mai 2025 ist Anlass genug, weitere Kompositionen des Meisters und von ihm beeinflusster Tonsetzer in den Fokus zu rücken. Neben geistlicher Musik glänzte Fauré in den Genres Oper, Bühnenmusiken, Klavier und vor allem als Schöpfer von wunderbarer Kammermusik.
Der Salzburger Geiger Thomas Albertus Imberger und der Kölner Pianist Michael Korstick haben sich daher musikalisch nach Frankreich und Belgien aufgemacht und neben den beiden Violinsonaten in A-Dur, Op. 13 und in e-Moll, Op. 108 von Gabriel Fauré auch sogleich dessen musikalisches Umfeld näher unter die Lupe genommen. Als durchaus schmackhafte Begleiter sind im Doppelalbum so die Violinsonaten des 22-jährigen Guillaume Lekeu, von Maurice Ravel und Francis Poulenc zu hören. Letztere ist in Kooperation mit Ginette Neveu entstanden und wurde posthum Federico Garcia Lorca gewidmet.
Abgerundet wird das Programm durch Olivier Messiaens „Thème et variations pour violon et piano“ (1932), Ravels „Kaddish“ aus den deux mélodies hébraïques sowie die Ravels Lehrer gewidmete „Berceuse sur le nom de Gabriel Fauré“, beides für Violine und Klavier. Und nicht zu vergessen, widmen sich Imberger und Korstick einigen Salonstücken Faurés, wie der „Romance pour violon et piano“ (1883), Op. 28, dem „Andante pour violon et piano (1897), Op. 75, der „Sicilienne“ und der „Berceuse pour violon et piano“, Opp. 78 und 16.
Die erste, viersätzige Violinsonate, 1875/76 entstanden und Paul Viardot gewidmet, und die 40 Jahre später mitten im Ersten Weltkrieg 1916/17 geschriebene Zweite dreisätzige Sonate des bereits gegen schwere Gehörschäden ankämpfenden Komponisten bilden eine spannende sowie kontrastreiche Paarung.
Das Duo Imberger/Korstick wirft sich im ‚Allegro molto‘ der A-Dur Sonate mit jugendlichem Überschwang in die Saiten bzw. in die Tasten. Da wogen die Klänge im Auf und Ab der thematischen Modulationen, der sich tänzerisch kunstvoll windenden Emotionen. Auch im ‚Andante‘ wissen Imberger und Korstick mit agogischem Feinsinn die Spannung zu halten. Imberger lässt die Geige liedhaft aufrauschen, dem leicht verblüfften Lied von Glück und in sich gekehrter Scheu die buntesten Kantilenen abzutrotzen, während im verspielten ‚Scherzo‘ die Bälle flotter hin zum Klavier fliegen und Korstick sie mit ebensolcher Leichtigkeit vergnüglich pariert. Im ‚Finale‘, dem fluffigen Kehraus mit hinreißender Laune marmoriert, finden Imberger und Korstick zu jener traumumflorten Selbstverständlichkeit des gemeinsamen Konzertierens, der aufwallenden lyrischen Verzückung, die erst den unwiderstehlichen Charme dieses Werks begründet.
Die späte Sonate Faurés in e-Moll zeigt sich harmonisch raffinerter und kühner, gleichzeitig emotional schroffer, aus dichterem Stoff gewebt. Imberger und Korstick spachteln im Allegro non troppo die Farben großzügiger, wühlen rhythmisch markant in den rasch aufeinanderprallenden, widerstreitenden Tonlagen und lassen so die biografische und zeitgeschichtliche Tragik der Entstehungszeit erahnen. Im ‚Andante‘ oszillieren Klang und Gefühle ein wenig verschwommener. Der Eindruck einer gewissen Verlorenheit, einer Ratlosigkeit macht sich breit, bevor im Finale eine abgeklärte Heiterkeit, vielleicht auch eine Schicksalsergebenheit oder schlicht eine gewisse kreative Erschöpfung Platz zu greifen scheint.
Ganz anders gestaltet sich Olivier Messiaens „Thema und fünf Variationen“. Ungemein avantgardistisch, ideensprudelnd und im Finale hymnisch auftrumpfend geriert sich Messiaens klangsinnlicher Früh-Ling. 24 Jahre jung war Messiaen, als diese kleine kammermusikalische Glitzerbrosche entstand.
CD 2 startet mit Guillaume Lekeus dreisätzigem Jugendstreich für Klavier und Violine. Die von Eugène-Auguste Ysaÿe in Auftrag gegebene und auch von ihm bei der Uraufführung musizierte Violinsonate knüpft stilistisch an das Schaffen von Lekeus Lehrerpersönlichkeiten César Franck und Vincent d’Indy an. Melodischer grundiert und chromatisch aufgepeppter als Faurés Sonaten, berühren der glühend leidenschaftliche Duktus, die Energie und Lebenszugewandtheit dieser in ihrem vorwärtstreibenden Elan und in ihrer raffinierten Eleganz unter die Haut gehenden Musik des leider schon mit 24 Jahren an Typhus dahingeschiedenen belgischen Tonsetzers. Imberger und Korstick betonen genau das romantisch-Genießerische, das Sangliche und erotisch Rauschhafte der Partitur. Im ‚Trés lent‘ gerinnen die schwärmerischen Gedanken zu einer jeglicher Zeitlichkeit enthobenen Selbstreflexion einer puren Seele. Im scharfen Gegensatz dazu lässt Lekeu sein jugendliches Ungestüm im ‚Très animé’ aufgepeitschte Kapriolen schlagen. Der Einfluss der Tonsprache Richard Wagners – den jungen Musiker versetzte ein Besuch der Bayreuther Festspiele im Sommer 1889 in kreative Flammen – treibt nicht zuletzt im letzten Satz die schillerndsten musikalischen Blüten.
Atmosphärisch völlig anders erweist sich die erst posthum veröffentlichte frühe Violinsonate von Maurice Ravel, auch er ein Fauré-Schüler, aus dem Jahr 1897. Deren zweiter Satz trägt die für sich sprechende Bezeichnung ‚Blues: Moderato‘. Christian Heindl spricht von einer in hohem Maß autonomen Führung beider Instrumente, was einer Bemerkung Ravels entspräche, wonach diese grundsätzlich unvereinbar seien. „Die dadurch enstehenden vielfältigen parallelen Entwicklungen und bitonalen Reibungen erzeugen spezifische Reize, ohne dass auch nur im Geringsten ein Auseinanderfallen der Musik feststellbar wäre.“ Im Gegenteil, Ravel zeigt in diesem klangexotischen Universum mit jazzig synkopierten Einsprengseln seine originär-inventive Begabung für impressionistische, das Metropolenleben dandyhutlüftend reflektierende Klangeffekte. Im quirligen ‚Perpetuum mobile‘ des dritten Satzes sind Imberger und Korstick ganz in ihrem farbsprühenden Element, das sie wie Tagger aus Vollem zu genießen scheinen.
Auf ähnliche Weise faszinierend ist Francis Poulencs „Sonate für Violine und Klavier“. Dem ohrwurmhaften ‚Allegro con fuoco‘ folgen hispanisierende Abschnitte mit Gitarren-Imitationen (‚La guitare fait pleurer les songes‘), bevor Poulenc im dritten Satz – den er 1949 nach dem Unfalltod der Geigerin Ginette Neveu revidierte – in eine düster-trotzige Stimmung abdriftete. Dementsprechend anklagend aufgeraut und kantig gehen es Imberger und Korstick an.
Fazit: Ein grandioses Raritäten-Album, das weit über impressionistische Klangmäander hinausgehend, Erweiterungen schafft und denkt. Thomas Albertus Imberger und Michael Korstick begeistern mit agogisch wie dynamisch ausgefeilten, aber dennoch stets spontan wirkenden Interpretationen voller Leidenschaft im sicher geführten Pinselstrich.
Dr. Ingobert Waltenberger