Schuberts besondere Klangwelten: Filigrane Einspielung des Scottish Chamber Orchestra unter Maxim Emelyanychev
Das Scottish Chamber Orchestra unter der Leitung von Maxim Emelyanychev präsentiert in seiner neuesten Aufnahme bei Linn eine faszinierende Reise durch Schuberts orchestrale Klangwelt. Mit der Sinfonie Nr. 5 in B-Dur, der „Unvollendeten“ in h-Moll und dem Rondo in A-Dur für Violine und Orchester D. 438 zeigt das Orchester seine besondere Fähigkeit, mit kleiner Besetzung große musikalische Aussagekraft zu entfalten. Das Filigrane und die Transparenz des Klangs eröffnen dabei einen bemerkenswerten Zugang zu Schuberts Kompositionen.
Die Sinfonie Nr. 5, 1816 komponiert, spiegelt Schuberts intensive Beschäftigung mit Mozarts Kammermusik wider. Schon im ersten Satz, dem „Allegro“, gelingt es dem Scottish Chamber Orchestra, dynamische Kontraste mit Präzision zu gestalten. Besonders hervorzuheben sind die feinen Soli der Holzbläser, die einen reizvollen Dialog mit den Streichern führen. Das „Andante“ des zweiten Satzes wirkt schwebend und leicht, als würde die Musik im Raum tanzen. Diese Leichtigkeit wird ausgewogen durch das zarte Zusammenspiel der Instrumente getragen, das Emelyanychev wunderbar kontrolliert.
Im dritten Satz, dem „Menuetto“, überrascht eine ungewöhnliche Schroffheit. Die deutlichen Akzente und markanten Bläserstimmen verleihen dem Satz eine robuste, fast kantige Form, die in dieser Intimität selten zu hören ist. Das finale „Allegro vivace“ sprüht wiederum vor Lebensfreude – keck und beschwingt, als wollten die Musiker ein tänzerisches Finale feiern. Die Beweglichkeit und Agilität der kleinen Besetzung kommen hier besonders gut zur Geltung.
Maxim Emelyanychev, der 1988 in Russland geboren wurde, gehört zu den spannenden jungen Dirigenten seiner Generation. Er begann seine musikalische Laufbahn als Pianist und Cembalist, bevor er sich zunehmend dem Dirigieren widmete. Seit 2019 ist er Chefdirigent des Scottish Chamber Orchestra, mit dem er durch seine energiegeladenen und frischen Interpretationen international für Aufsehen sorgt. Emelyanychev ist bekannt für seine innovative Herangehensweise und seine Vorliebe für historisch informierte Aufführungen, was ihn besonders in der Interpretation von Barock- und Klassik-Repertoire auszeichnet. Gleichzeitig begeistert er durch seine Vielseitigkeit in einem breiten Repertoire, das bis hin zur Romantik reicht.
Das Scottish Chamber Orchestra besticht in dieser Einspielung durch seine filigrane Transparenz und Detailgenauigkeit. Maxim Emelyanychev führt das Ensemble mit sicherer Hand und einem Gespür für die subtilen dynamischen Nuancen Schuberts. Seine Interpretation verleiht der Musik Klarheit und Leichtigkeit, ohne dabei an Tiefe einzubüßen. Besonders in der Sinfonie Nr. 5 wird die Nähe des Orchesters zu den Kammermusiktraditionen greifbar, was dem Werk eine intime und doch ausdrucksstarke Aura verleiht.
Mit der Sinfonie Nr. 8, der „Unvollendeten“, betritt Schubert Neuland. Der erste Satz beginnt mit einem fahlen, fast gespenstischen Klang, der dem Werk eine eigenwillige Atmosphäre verleiht. Die kleine Orchesterbesetzung offenbart hier eine surreale Vielschichtigkeit – jeder Puls der Musik ist spürbar, jede Nuance erzählt eine Geschichte. Das Wechselspiel zwischen Bläsern und Streichern wirkt wie ein faszinierender Dialog, der von Emelyanychev fein ausbalanciert wird.
Der zweite Satz, „Andante con moto“, entfaltet eine ruhige, fast meditative Stimmung. Die Streicher spielen ohne Vibrato, was den Holzbläsern erlaubt, sich deutlicher abzuheben und die Textur der Musik noch durchsichtiger erscheinen zu lassen. Diese Reduktion bringt eine Klarheit, die das tiefe, fast sakrale Wesen dieses Werkes unterstreicht.
Zum Abschluss der Aufnahme tritt die Konzertmeisterin des Orchesters, Stephanie Gonley, als Solistin im Rondo in A-Dur, D. 438, auf. Ihr Spiel wirkt natürlich und spontan. Sie wechselt spielend zwischen kontrastreichen Passagen und lyrischen Bögen, wobei sie die technische Brillanz des Werkes ebenso souverän meistert wie dessen heitere Leichtigkeit. Das Scottish Chamber Orchestra begleitet sie dabei mit feinem Gespür für Balance.
Maxim Emelyanychev gelingt es auch hier, die Solistin und das Orchester zu einer harmonischen Einheit zu formen, ohne dabei die Eigenständigkeit der Solovioline zu schmälern. Die kurzen, prägnanten Phrasen des Orchesters setzen starke Akzente, die das Rondo zu einem lebhaften und kurzweiligen Erlebnis machen.
Diese Neueinspielung des Scottish Chamber Orchestra und Maxim Emelyanychev ist ein eindrucksvolles Beispiel für filigrane Kammerorchesterarbeit. Die Sinfonien Nr. 5 und Nr. 8, kombiniert mit dem virtuosen Rondo in A-Dur, werden in dieser Aufnahme mit bemerkenswerter Präzision, Klarheit und musikalischem Ausdruck dargeboten.
Dirk Schauß, im Oktober 2024
Franz Schubert
Scottish Chamber Orchestra
Maxim Emelyanychev, musikalische Leitung
Linn Records, CKD748