CD FRANZ SCHUBERT: LICHT UND SCHATTEN – SAMUEL HASSELHORN und AMMIEL BUSHAKEVITZ; harmonia mundi
Schubert 200: 1828 – 2028; Vol. 2
Zum Projekt: Im Jahr 2028 gedenkt die Musikwelt des 200. Todestages von Franz Schubert. Aus diesem Anlass haben der Bariton Samuel Hasselhorn und der Pianist Ammiel Bushakevitz das Projekt “SCHUBERT 200” initiiert. Das Herz des Projekts bildet die Aufnahme von insgesamt fünf Alben mit Schubert-Liedern, die das Schaffen der letzten Jahre von Schuberts Leben chronologisch nachzeichnen. Damit wollen der Bariton und sein Begleiter am Flügel eine neue Publikums-Generation ansprechen und der Frage nachgehen, „inwieweit Schuberts Lieder für unser Leben im 21. Jahrhundert relevant sind und wie diese Verbindung hör- und erfahrbar gemacht werden kann.“
Gestartet wurde mit „Die schöne Müllerin“ (1823). Das nun publizierte Album widmet sich den Jahren 1824/25, also dem unglaublich reichen Schaffen des schon von gesundheitlichen Problemen überschatteten Lebens Franz Schuberts. Die Reihe soll mit den Alben „Hoffnung“ (1826), „Die Winterreise“ (1827) und „Schwanengesang“ (1828) fortgesetzt werden.
Schon mit 25 Jahren erfährt Schubert von seiner Syphilis-Erkrankung, die damals ohne Penicillin in Schüben mit zunehmend grauenhafteren Symptomen langsam aber sicher zum Tod führte. Laut Deutschem Ärzteblatt befand sich die Krankheit zuletzt im dritten Stadium. „Bei den katastrophalen Wiener hygienischen Verhältnissen war eine Infektion mit Abdominaltyphus leicht möglich; sie überforderte die Abwehrkräfte des untrainierten, fehlernährten, korpulenten, infolge der chronischen Infektion immuninkompetenten Mannes. Fatal war die aus heutiger Sicht absurde Therapie (Phlebotomie „Broussaismus“= Verabreichung von Quecksilber mit anschließender Schwitzkur).
Die psychischen Auswirkungen dieses Unabänderlichen in den Jahren 1823 bis 1825 intensivierten die kreativ-experimentellen Kräfte in einem fast unvorstellbaren Maß. Zudem fand Schubert in der Wahl von Texten und in der immer freieren, sich vom Strophenlied lösenden Musik die Sehnsüchte nach Liebe und Geborgenheit, die Folgen der seelischen wie körperlichen Schmerzen, die Gefühle des Auf-sich-geworfen Seins, der Einsamkeit und Todesnähe sowie nicht zuletzt die Erkundung der metaphysischen Beziehungen zwischen Mensch und Natur je nach momentaner Verfassung individuell sublimiert, d.h. einen oftmals schwarz gepflasterten Weg des Überlebens.
Für das Album mit dem Titel „Licht und Schatten“ stehen 15 Lieder, davon etliche weniger bekannte. Die meisten der Lieder entstanden abseits der Sommerfrischen während der Winter- und Frühjahrsmonate in Wien. Wie Roman Hinke im Booklet aufschlussreich hinweist, beschränkt sich das „ambivalente Zusammenspiel von Licht und Schatten“ nicht nur auf Schuberts Liedkunst, sondern ist etwa auch in den ins Programm aufgenommenen zwei Ländlern, D. 366 und acht Deutschen Tänzen, D. 783 und D. 820 zu merken. „Auch sie Ausdruck der empfindsamen Psyche ihres Urhebers und Abbild seiner überaus fragilen Stimmungswelt.“
Unter den Liedern finden sich oft gehörte und aufgenommene Titel wie „Die junge Nonne“ D828, „Im Abendrot“, D. 799 oder „Wanderers Nachtlied“, D. 768. Besonders interessant sind aber die dramatischeren, musikalisch von Samuel Hasselhorn schonungslos expressiv durchhörten Lieder, als da sind „Auflösung“, D. 807, „Die Allmacht“, D. 852, „Der Einsame“, D. 800, „Normans Gesang“, D. 846 oder „Das Heimweh“, D. 851. Mein persönlicher Favorit des Albums ist vielleicht das wild bewegte Lied „Auf der Bruck“, D. 853.
Samuel Hasselhorn ist der große Geschichtenerzähler unter den jungen Liedsängern. Artikulation, Phrasierung, Dynamik, alles steht im Dienst der kleinen und größeren Dramen, die sich vor unseren Ohren abspielen. Da zählen nicht primär Wohllaut oder die Ebenmäßigkeit des Vortrags, sondern die ausdrucksintensive, tiefenpsychologische Wahrheit von Lyrik mal Melodie. In diesem Sinne markieren schon „Die junge Nonne“ und durchaus noch kontrastreicher „Die Allmacht“ Höhepunkte des Albums und der Auslotung des Äußersten im Liedgesangs generell. Oder wen ließe der im Wechsel von Hasselhorn gehauchte und gedonnerte Vers ‚Geht unter, Welt, und störe nimmer die süßen ätherischen Chöre‘ von „Auflösung“ gleichgültig?
Ein bedeutender Stellenwert zum Gelingen des Albums kommt dem Pianisten Ammiel Bushakevitz zu. Er ist ein Stimmungszauberer auf dem Flügel, die Schubertschen Kantilenen und, wo gegeben, die onomatopoetisch pianistische Zweitspur zum Gesang durchmisst er als klanggewandter, sensitiv-artistischer Partner.
Als Liedbegleiter auf Tonträgern ist er zudem mit Sägerinnen wie Anna Lucia Richter oder Katharina Konradi hervorgetreten. Logisch, dass Bushakevitz auch in diesem Jahr der Schubertiade Schwarzenberg/Hohenems (2025) eine zentrale Rolle als Liedbegleiter spielen wird (4. Mai Catriona Morison, Konstantin Krimmel, 22., 27.Juni und 24., 27., 30. August Konstantin Krimmel, 2. Oktober mit Samuel Hasselhorn).
Da Ammiel Bushakevitz nicht nur als der einfühlsame und gestalterisch exzellierende Mitstreiter von Samuel Hasselhorn im Projekt „Schubert 200“ von sich reden macht, sondern auch bei Hänssler Classic mit dem Album „Fantasies“, Schubert Piano Works, Vol. II, angelangt ist, lohnt ein näherer Blick auf diesen vielseitigen Pianisten, dem Schubert besonders am Herzen als auch pianistisch vom innersten Wesen her zu liegen scheint. Ein Album mit den Impromptus D. 899 Nr.1-4, den drei Klavierstücke D. 946 und dem Grätzer Walzer D. 924 ist bereits 2017 erschienen. Das neue Album mit dem Titel „Fantasies“ ist Schuberts G-Dur Sonate, D. 894 sowie der C-Dur Fantasie, D. 760, von der Nachwelt als „Wanderer Fantasie“ bezeichnet, gewidmet, Kernstücken des romantischen Klavierrepertoires.
Bushakevitz ist der aktuell mich am meisten überzeugendste und berührendste Schubert-Interpret am Klavier überhaupt.
Hinweis: Am 19. März 2025 wird es im Berliner Kühlhaus ein Konzert im Rahmen des Projekts Schubert 200 mit Hasselhorn/Bushakevitz geben.
Dr. Ingobert Waltenberger