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CD FRANZ SCHUBERT: DIE SCHÖNE MÜLLERIN – SAMUEL HASSELHORN und AMMIEL BUSHAKEVITZ; harmonia mundi

19.09.2023 | cd

CD FRANZ SCHUBERT: DIE SCHÖNE MÜLLERIN – SAMUEL HASSELHORN und AMMIEL BUSHAKEVITZ; harmonia mundi

Überhaupt nicht biedermeierlich – Aufwühlende Parabel über Liebesschmerz und existenzielle Einsamkeit

sami

Schubert 1828-2028: Ein neues Schallplattenprojekt ist im Entstehen. Bis zum 200. Todestag von Franz Schubert (19. November) 2028 wollen der deutsche Bariton und engagierte Liedsänger Samuel Hasselhorn und der in Israel geborene und in Südafrika aufgewachsene Pianist Ammiel Bushakevitz jedes Jahr ein Album mit Schubert-Liedern herausbringen, die jeweils 200 Jahre vor dem Veröffentlichungsjahr der CD geschrieben wurden. Die letzten sechs Lebensjahre des mit 31 Jahren an den Folgen einer Syphilisinfektion verstorbenen Sängers waren auch die rauschhaft fruchtbarsten, so die Initiatoren.

Hasselhorn und Bushakevitz starten ihre Serie mit „Die schöne Müllerin“ nach den Gedichten von Wilhelm Müller, einem Gymnasiallehrer, Hofbibliothekar und Lyriker aus Dessau. Der Zyklus von 20 Liedern entstand Ende 1823, Anfang 1824. Sowohl Müller als auch Schubert haben autobiographische Erlebnisse des Scheiterns von Liebesbeziehungen in ihr Werk einfließen lassen. Und dennoch erlaubt das künstlerische Ergebnis den Schluss, dass jenseits der mehr oder weniger banalen Liebesgeschichte eines wandernden sehr jungen Mannes, der die Hoffnung auf eine Liebschaft mit der Tochter des Chefs aufgeben muss, weil diese den sozial höherstehenden und wohl auch männlich reiferen Jäger als Partner bevorzugt, eine weitere, abstraktere Ebene des Verständnisses existiert. Auf jeden Fall bleibt „die männliche Figur alleine zurück, der erhofften Liebe und Anerkennung beraubt“. Samuel Hasselhorn meint, dass jenseits der Geschichte von einer verschmähten Liebe „es indirekt auch um gesellschaftliche Ausgrenzung geht. Wer nicht den geltenden Normen entspricht, wird wegen seiner Individualität und damit seinem Anderssein ausgeschlossen, und an dieser sozialen Isolierung verzweifelt er schließlich.“

Ich gehe noch weiter und denke, dass der Müllersbursche in „Die schöne Müllerin“ für das Phänomen einer unfreiwilligen Einsamkeit und mit der Zeit zunehmenden Desillusionierung des Menschen an den unteren sozialen Rändern in einer auf Produktion und Funktion zentrierten Gesellschaft an sich steht. Der einfache Müllersbursche hat in der harten sozialen Rangordnung einfach keine Chance auf eine erfüllte, gesellschaftlich anerkannte Liebe mit einer, heute würde man sagen, Unternehmerstochter. Kein Wunder, dass die Natur, genauer der Bach, zum im Unglück trostreichen „Gefährten“ des Jünglings und in den Liedern „Der Müller und der Bach“ und noch mehr in „Des Baches Wiegenlied“ sogar zum logischen Akteur wird.

In der Interpretation wagen Hasselhorn und Bushakevitz einen ganz eigenen, faszinierenden Ansatz. Anstatt, wie das sehr häufig geschieht, die Tempi primär einem fiktional steten Wanderrhythmus anzupassen, und damit im äußeren Erzählrahmen zu verharren, wollen die beiden bewusst mit abrupten Rubati die Gefühlslage des Antihelden (lyrisches Ich) noch in den dunkelsten Ecken ausloten und den musikalischen Fluss dynamisieren. Da gibt es emotional gleichnishaft unerwartete Strudel und Untiefen, Unterströmungen und Wellen zu verdeutlichen. Dieser Ansatz verlegt das Erleben des Müllerburschen vom hoffnungsfroh ängstlichen Beginn an ins Innere, stellt seine disparaten und jäh wechselnden Gefühle schonungslos offen. Die reichen vom euphorischen Unglauben über das, was mit ihm geschieht (die erste Liebe ist eine elementare, schrecklich schöne, schön schreckliche Sache), von diffuser Angst, blitzender Hoffnung, Resignation, grauer Verzweiflung, Wut, Trauer, Erstarrung bis hin zu einer Art von verklärtem Tod, ähnlich wie wir das später in Wagners „Tristan und Isolde“ erleben können. Mit allem, was da noch an unfassbaren Gefühlszwischentönen existiert, kocht und köchelt es, kühlt sich wieder ab und erfriert in des Müllerburschen Seele.

Hasselhorn und sein kongenialer Mitgestalter am Flügel Bushakevitz bringen die ins Allgemeingültige sublimierte Erzählung in ebenso vielfältigen, Drastik und Dramatik nicht scheuenden Nuancen zum Ausdruck. Ton und Wort, Stimme und Klavier verschmelzen zu einer höheren Einheit. Roman Hinke stellt in seinem interessanten Booklettext diesen Kontext so dar: „Entscheidend für die stilistische Brisanz des Zyklus jedoch sind die immens verfeinerten harmonischen und tonmalerischen Mittel, mit denen Schubert dem Bedeutungsgehalt einzelner Verszeilen, ja Worte nachspürt.“

Das ist alles andere als biedermeierlich beschaulich, die Lesart von Samuel Hasselhorn hat mich aufgewühlt wie keine andere zuvor. Dazu zählt natürlich, dass der Sänger mit seinem exquisit tabakdunkel gefärbten, eindrücklich expansionsfähigen Bariton vom zartesten introvertierten Piano bis hin zum existenziellen Aufschrei ein höchst plastischer Gestalter ist, der über bloßen Schöngesang hinaus nach äußerster Wahrhaftigkeit strebt.

Der Start mit dieser exzeptionellen „Die schöne Müllerin“ ist gemacht. Auf die Fortsetzung der Serie, der ich viel Erfolg wünsche, darf man gespannt sein.

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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