Am Wendepunkt der Epochen: Schubert, Mahler und Webern neu gedacht
Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg unter Kent Nagano widmet sich Schubert in Bearbeitungen von Mahler und Webern sowie Weberns Frühwerk – eine klangliche Expedition zwischen Romantik und Moderne, erschienen bei Farao Classics.
Franz Schuberts Streichquartett d-Moll „Der Tod und das Mädchen“ zählt zu den ikonischen Werken der Romantik. Mit seiner thematischen Fokussierung auf Vergänglichkeit und Schicksal repräsentiert es das emotionale Spannungsfeld der Epoche. Gustav Mahler, der große Meister der orchestralen Klangfarben, adaptierte das Quartett für Streichorchester. Seine Bearbeitung erweitert die kammermusikalische Intimität in eine symphonische Dimension und legt den Fokus auf die dramatischen und lyrischen Potenziale des Werkes. Dichte Klanglichkeit und theatralischer Instinkt ergeben hier eine faszinierende Wirkung.
Kent Nagano und das Philharmonische Staatsorchester Hamburg bringen Mahlers Version in eindringlicher Klarheit zum Klingen. Die Streicher präsentieren eine Palette, die von düsterem Pathos bis zu lyrischem Glanz reicht, während Nagano die Struktur mit analytischer Präzision und Farbigkeit formt.
Anton Weberns „Langsamer Satz“ ist eine Reminiszenz an die Spätromantik, geschrieben 1905, bevor der Komponist sich der atonalen Kompositionsweise zuwandte. Mit seiner üppigen Harmonik und expressiven Linienführung bleibt das Werk tief in der Tradition verwurzelt, wirkt jedoch in seiner komprimierten Form wie eine Vorschau auf Weberns späteres Streben nach Reduktion. Sehr schnell entsteht eine Sogwirkung, der man gerne folgt.
Das Philharmonische Staatsorchester Hamburg entfaltet in Naganos Interpretation die emotionale Intensität und zugleich die zerbrechliche Schönheit dieses Stücks. Die Solisten des Ensembles – namentlich Konradin Seitzer (Violine) und Clara Grünwald (Violoncello) – bestechen durch eine intime Klanggestaltung in sonorer Tongebung, die Weberns dichte melodische Strukturen eindrucksvoll hervorhebt.
Die Deutschen Tänze, D 820, zeigen Schubert von seiner tänzerischen, volksnahen Seite. Anton Weberns Orchestrierung verleiht diesen Miniaturen jedoch eine faszinierende Modernität, die sowohl Schuberts Schlichtheit als auch die subtilen Veränderungen im Klangbild feiert. Weberns Ansatz, den tänzerischen Charakter zu bewahren und dennoch raffinierte Farben zu setzen, zeugt von tiefem Respekt vor der Vorlage.
In der Interpretation Naganos und des Hamburger Orchesters werden die Tänze zu funkelnden Preziosen, die spielerische Leichtigkeit und künstlerische Tiefe miteinander vereinen. Die Musiker meistern Weberns vielschichtige Partitur mit Präzision und Charme, wodurch Schuberts Tänze in Weberns orchestraler Sprache einen ganz neuen Charakter gewinnen.
Diese Aufnahme des Philharmonischen Staatsorchesters Hamburg unter Kent Nagano ist eine musikalische Rarität, welche die Übergänge zwischen Romantik und Moderne in ihrer ganzen Vielfalt ausleuchtet. Die fein abgestimmten Interpretationen und die klangliche Exzellenz des Orchesters machen dieses Album hörenswert. Besonders hervorzuheben ist Naganos Fähigkeit, sowohl das emotionale Spektrum als auch die strukturelle Klarheit der Werke herauszuarbeiten. Die Aufnahmequalität ist vorzüglich und das Beiheft, mit einem ausführlichen Interview mit Kent Nagano, informativ.
Schubert, Webern und Mahler sind in dieser Kombination ein Beleg dafür, wie lebendig der Dialog zwischen Tradition und Innovation in der Musik bleibt. Eine ganz besondere Einspielung!
Dirk Schauß, im November 2024
Franz Schubert
Anton Webern
Gustav Mahler
Philharmonisches Staatsorchester Hamburg
Kent Nagano, musikalische Leitung
Farao Classics, B108116