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CD FRANZ SCHMIDT: FREDIGUNDIS – Live-Aufnahme einer konzertanten Aufführung vom 27.9.1979. Top Rarität mit einer fulminanten Dunja Veijzovic in der Titelpartie

02.04.2024 | cd

CD FRANZ SCHMIDT: FREDIGUNDIS – Live-Aufnahme einer konzertanten Aufführung vom 27.9.1979 aus dem Großen Musikvereinssaal Wien; Orfeo d’Or

Top Rarität mit einer fulminanten Dunja Veijzovic in der Titelpartie

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Manchmal habe ich das Gefühl, es werden immer dieselben Opern aufgeführt. Neben den üblichen „Verdächtigen“ scheinen gerade „Elektras“ und „Frösche“ Hochkonjunktur zu haben. Wenigsten bringt die Deutsche Oper Berlin demnächst mit „Intermezzo“ von Richard Strauss eine wirklich kaum gespielte, nichtsdestotrotz musikalisch lohnende Oper heraus. Und dass Ponchiellis „La Gioconda“ auf einmal eine exotische Seltenheit sein soll, na ja, was soll man dazu sagen?

Orfeo d’Or bringt mit dem großartig musizierten und – da auf den originalen ORF-Masterbändern basierend – klangtechnisch außerordentlich gut geratenen Mitschnitt aus Wien 1979 der Franz Schmidt Oper „Fredigundis“ ein herausragendes Werk der deutschen Spätromantik auf den Markt. Meines Wissens noch dazu die einzig verfügbare Aufnahme dieser dreiaktigen Oper nach einem Roman von Felix Dahn, der von Bruno Warden und Ignaz Michael Welleminsky zu einem nicht gerade stringenten Libretto eingerichtet worden war. (Anm.: Als nicht offizielles Bootleg war diese Wiener „Fredigundis“ einst bei Voce Records erschienen).

Von Franz Schmidt kennt man vor allem die vierte Symphonie („Requiem für meine Tochter“), die Oper „Notre Dame“ (vor allem wegen des ohrwurmigen Sinfonischen Intermezzos) und „Das Buch mit sieben Siegeln“. „Fredigundis“ hat Schmidt nach Notre Dame in Angriff genommen und von 1916 bis 1921 daran gearbeitet. Musikalisch zählt die Oper zum Besten und Aufregendsten, was Schmidt geschrieben hat. Schmetternde Fanfaren, dichte kontrapunktische Durchführungen, eine meisterliche Variationentechnik und Instrumentierung, ansprechende dramatische Gesangspartien und ein historischer Thriller Plot, was begehrt das Opernherz mehr?

Worum geht es in dieser im 6. Jahrhundert spielenden, durchkomponierten Oper? Fredigundis, eine einfache Magd, ist von Machthunger und gesellschaftlichem Aufstieg besessen. Ganz Lady Macbeth und monströs brutal – gleich zu Beginn der Oper murkst sie ein Rotkehlchen ab, weil es neben ihr nichts röter Leuchtendes auf der Erde geben soll – ignoriert sie die Avancen des jungen Landerich, Sohn des Herzogs Drakolen. Dafür sieht sie beim Anblick des Königs Chilperich, der gerade mit seiner zweiten Frau Galswintha auf einem Hochzeitsschiff vorüberzieht, ihre Stunde gekommen. Ein Sturm zieht auf und ein wilder Jäger (der verkleidete Chilperich) trifft im Wald auf Fredigundis. Die beiden trifft mit „Coup de foudre“ der Liebesblitz und der Hörer labt sich an einem Tristan-artigen Liebesduett im ersten Akt („Es brennen die Sinne“). Wie nicht anders zu erwarten, ermordet Fredigundis die arme Galswintha nächtens in ihrem monderhellten Schlafgemach. Der mittlerweile zum Bischof von Rouen Praetextatus beförderte Ex- Verehrer Landerich beobachtet, wie sein Vater, der Herzog Drakolen, der versucht, die Killerin festzuhalten, den Dolch der nicht Zimperlichen zu spüren bekommt. Der zweite Akt schließt mit einer wüsten Krönungsszene (Drakolen wird geblendet, nachdem er Fredigundis des Königinnenmordes beschuldigt hat), in der Chilperich am Ende Fredigundis selbst die Krone aufsetzt.

Im dritten Akt spitzt sich die Tragödie zu, als der Bischof, der Fredigundis auffordert, auf die Krone zu verzichten, für das kranke Kind beten soll. Das für den Bischof bereitete Gift trinkt Childerich selbst, Kind und König sterben. Als Fredigundis versucht, den in der Kathedrale von Rouen aufgebahrten König durch gespenstisch altfranzösische Tänze und heidnische Beschwörungen wieder Leben einzuhauchen, geht das klarerweise schief. Die Furie klemmt sich die roten Haare im Sarkophag ein und stirbt am nächsten Morgen in apotheotischer Verzückung. Vorhang.

Die Musik profitiert in den reichen, sinnlich mäandernden Harmonien und der vielschichtigen Textur der Partitur von den Errungenschaften der Hoch-, Spätromantik und klassischen Moderne. Dezente Anklänge an Wagner sind ebenso unüberhörbar wie solche an R. Strauss. Die Zwischenspiele zählen zum Schönsten, was die Spätromantik an Klangmagie hervorgebracht hat. Dank des hervorragenden ORF Vienna Radio Symphony Orchestras und des mächtig auftrumpfenden ORF Chors vor allem im zweiten Akt (Einstudierung Gottfried Preinfalk) unter der theatralisch packenden musikalischen Leitung von Ernst Märzendorfer ist die Umsetzung der komplexen Partitur als mustergültig zu bezeichnen.

Der große Glücksfall der Besetzung liegt darin, dass die umfangreiche, anspruchsvolle Titelpartie der ca. 140 Minuten langen Oper mit der großartigen Dunja Vejzovic auf dem Gipfel ihrer nicht geringen vokalen Möglichkeiten besetzt worden ist. Vejzovic, die von Herbert von Karajan als Senta, Ortrud und Kundry für Aufführungen bzw. Schallplattenproduktionen engagiert war, ist mir persönlich außer in den genannten Rollen besonders positiv als Wozzeck-Marie und Florinda in Schuberts „Fierrabras“ (Abbado) an der Wiener Staatsoper in Erinnerung. Die in Zagreb geborene Sängerin bereicherte vorerst die Ensembles der Opernhäuser ihrer Heimatstadt, in Nürnberg und in Frankfurt, bevor sie nach ihren umjubelten Auftritten bei den Bayreuther Festspielen 1978 ihre internationale Karriere startete. Sie hatte solch eine luxuriöse Mittellage und eine durchschlagende Höhe, dass Armin Jordan und Lovro von Matacic sie für Basel und Monte Carlo sogar als Walküren-Brünnhilde besetzten. Noch 2023 sang sie mit beinahe 80 Jahren die Gräfin in Tchaikovskys „Pique Dame“.

Mich hat die äußerst modebewusste Künstlerin mit dem sofort wiedererkennbaren charaktervollen Timbre – in der Mittellage exotisch wild auftrumpfend, in der Höhe mit himmlischen schwebenden Piani für Gänsehaut sorgend – als Jungspund stets begeistert. Beim Wiederhören in „Fredigundis“ bestätigt sich noch einmal auf das Schönste, welch einzigartige, dramatisch exzellierende Sängerin Frau Vejzovic, die auch als Gesangspädagogin erfolgreich wirkte, war.

Ihr zur Seite sind in dem Live-Mitschnitt der deutsche Bassbariton Martin Egel als der skrupellosen Verführerin auf den Leim gegangener Chilperich, der bedeutende Mozart-Tenor Werner Hollweg als zwischen Liebe und Pflicht zerrissener Landerich sowie der aus Chicago stammende, langjährig an der Wiener Staatsoper wirkende Reid Bunger als final triumphierender Drakolen zu hören.

Fazit: Welche Sternstunde einer vokal wie instrumental aufregenden, künstlerisch geschlossenen Aufführung. Die Musik ist Franz Schmidt at his best. Für Melomanen und Stimmenfetischisten unverzichtbar!

Dr. Ingobert Waltenberger

 

 

 

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