CD FRANTISEK TUMA: Geistliche Werke: Roman Válek dirigiert das Czech Ensemble Baroque; apartemusic
ANDREAS SCHOLL brilliert als Altsolist in barocken Motetten und der Kantate „Dixit Dominus“
Von Harmonia Mund für die langjährige Zusammenarbeit mit einem „Kompilations-Album“, schlicht „The Voice“ betitelt, geehrt, ist der Countertenor Andreas Scholl einer der markantesten und stimmlich eindrücklichsten Erscheinungen der Alte Musik Szene der letzten 30 Jahre. Und das weltweit: Seine 25-jährige Opernkarriere führte ihn bis zur New Yorker Met, wo er 2006 als Bertarido in Händels „Rodelinda“ an der Seite von Renée Fleming in der Titelrolle glänzte. Persönlich habe ich Andreas Scholl das letzte Mal im Jahr 2010 in Paris live gehört, als er in einer konzertanten Aufführung die Titelrolle in Händels „Giulio Cesare“ in der Salle Pleyel mit Cecilia Bartoli als Cleopatra und „Les Arts Florissants“ unter William Christie als Partnern verkörperte. Seither habe ich ihn ein wenig aus den Augen/Ohren verloren.
Scholl verfügt über eine einzigartige Stimmqualität unter allen Countertenören, die sich durch einen kernig, instrumental-„keuschen“, sofort erkennbaren Klang auszeichnet. Die Diskografie ab 1995 des einstigen Schülers von Richard Levitt und René Jacobs an der Schola Cantorum Basiliensis ist beeindruckend reichhaltig, geht über Alte Musik weit hinaus und ist musikalisch durchwegs allererster Güte. Seit 2019 unterrichtet Scholl Gesang am Salzburger Mozarteum.
Dass der nun frisch 56-jährige Sänger nach wie vor über das so spezifische Timbre, den Stimmumfang, die Geläufigkeit und den unerschöpflich langen Atem seiner Jugend verfügt, ist ein Wunder. Auf dem vorliegenden Album stellt er seine luxuriöse Stimme in den Dienst des Schaffens von František Ignác Tůma.
Nach Gesangsstudien bei den Prager Minoriten ging Tůma nach Wien, wo er die Poysdorferin Maria Elisabeth Hauser ehelichte. In Wien war für die weitere berufliche Laufbahn des Tůma sein Förderer Franz Ferdinand Graf Kinsky entscheidend, da er in den Jahren 1731 bis 1741 als Kapellmeister und Komponist die künstlerischen Geschicke der gräflichen Hofkapelle lenkte. Bezeugt sind auch Studien beim kaiserlichen Hofkapellmeister Johann Joseph Fux. Nach dem Tod des Grafen Kinsky im Jahr 1741 wurde Tůma Hofkapellmeister bei Elisabeth Christine von Braunschweig-Wolfenbüttel, Witwe des Kaisers Karl VI. Die Kaiserin-Witwe und Königin von Böhmen lebte fortan in Hetzendorf und behielt ihre private Musikkapelle. Mit ihrem Ableben im Jahr 1750 hörte die Kapelle zu existieren auf. Eher ungewöhnlich für einen vielfachen Familienvater legte Tůma im Jahr 1768 ein Ordensgelübde im Prämonstratenser-Kloster in Geras ab.
Wie Dirigent Roman Válek in seinem Vorwort festhält, mischt Tůma in seiner Instrumentalmusik (auf dem Album ist zwischen den geistlichen Vokalwerken eine Sinfonia a quattro in G-Dur für zwei Violinen, Viola und Bass eingestreut) die galanten und expressiven Strömungen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts, während er in seiner Kirchenmusik ganz in der Tradition der italienischen Kantaten und dem kontrapunktischen stile antico eines Fux verhaftet bleibt. Jedenfalls gilt Tůmas spätbarockes Schaffen von geistlicher Musik u.a. als Modell für dasjenige von Haydn oder Mozart.
Auf dem vorliegenden Album sind die Motetten de S. Joanne Baptista (1743), de tempore (1750), per ogni Tempo (1746) sowie das Dixit Dominus aus dem Jahr 1743 zu hören, allesamt Werke aus seiner Wiener Zeit bei Elisabeth Christine, geschrieben für die Gottesdienste der Kapelle im Hetzendorfer Schloss.
Roman Válek spornt Orchester und Chor (eine Klasse für sich) des Tschechischen Baroque Ensembles zu prächtig klingendem Gotteslob an, vier Trompeten, zwei Posaunen, Pauke, Theorbe und Orgelpositiv sorgen neben Streichern und Fagott für den gehörigen repräsentativ-festlichen Auftritt, vor allem im chorwuchtigen „Dixit Dominus“.
Andreas Scholl begeistert sowohl in den langgezogenen Legatophrasen als auch den virtuosen Verzierungen etwa im ‚Amen‘ der Motette per ogni Tempo. Das Vokalquartett wird durch die exzellenten Chorsolisten Romana Kruzikova (Sopran), Ondrej Holub (Tenor) und Jiri Miroslav Procházka (Bass) ergänzt.
Fazit: Empfehlung für alle, die sich mit dem reichhaltigen Schaffen geistlicher Musik im Wiener Barock über die beiden bei Supraphon erschienenen CDs mit Musik Tůmas (Missa Veni Pater pauperum, Te Deum, Requiem c-moll ‚Missa della morte“; Miserere c-Moll), ebenfalls unter der musikalischen Leitung von Roman Válek, hinaus näher beschäftigen oder einfach gloriose Motetten für Alt-Solo hören wollen.
Dr. Ingobert Waltenberger