CD: FRANÇOIS-JOSEPH Gossec: La nativité, Messe des morts & Christe Redemptor – Barockorchester Mannheimer Hofkapelle, Florian Heyerick
Ein «Pariser Klassiker»
François-Joseph Gossec (1734–1829) ist, auch wenn sein Name im deutschsprachigen Raum weniger bekannt ist und er in der Königsdisziplin der Oper, im Schatten seiner Zeitgenossen André-Ernest-Modeste Grétry und Christoph Willibald Gluck, keine Erfolge vorweisen kann, einer der profiliertesten französischen Komponisten des 18. Jahrhunderts. Basis dieser Wertung sind seine enorm lange Karriere von fast 80 Jahren wie auch die Vielfältigkeit seines Schaffens und seiner Ämter. Der 1751 mit einem Empfehlungsschreiben des Antwerpener Domkapellmeister zu Rameau nach Paris gekommene Gossec komponierte und verlegte Werke aller Gattungen und war an allen neuen Tendenzen und Strömungen interessiert. Dieser nahm ihn als Violinist in das damals von ihm geleitete Privatorchester des Generalpächters Alexandre Le Riche de la Pouplinière auf. Nach Rameaus‘ Abschied aus La Pouplinières Kapelle machte Gossec Bekanntschaft mit dessen Nachfolger Johann Stamitz und erlernte von ihm die Errungenschaften der Mannheimer Schule: homophone Orchestersymphonien und neuartige Dynamikeffekte mit den dafür erforderlichen Klarinetten, Bassetthörnern und anderen Blasinstrumenten. Bevor Gossec zum musikalischen Wortführer und offiziellen Komponisten der Revolution wurde, leitete er von 1769 bis 1773 das Orchesters «Concert des Amateurs» und von 1773 bis 1777 das Concert Spirituel. Gossec nutzte die Gelegenheiten, seine eigenen Werke und die seiner Freunde zu Gehör zu bringen. 1795 wurde er am neu gegründeten Pariser Konservatorium Professor für Komposition und zusammen mit Jean-François Lesueur, Étienne-Nicolas Méhul, Luigi Cherubini und André-Ernest-Modeste Grétry Inspektor des Konservatoriums (Mitglied der Direktion).
Das Weihnachtsoratorium «La Nativité» wurde am 24. Dezember 1774 uraufgeführt und brachte es in der Folge auf bemerkenswerte neun Aufführungen durch das Concert Spirituel. Presse und Publikum waren vor allem von den neuartigen Orchester-Effekten begeistert. Gossec hat das Werk einfach strukturiert und melodisch gestaltet, um eine gute Textverständlichkeit zu erreichen (Französischer Text von Michel Paul Guy de Chabanon, 1730–1792) und die grosse Bläserbesetzung in den Vordergrund zu stellen. Musikalisch erinnert das Werk an die gut zwanzig Jahre später entstandene Böhmische Weihnachtsmesse (Česká mše vánoční) von Jakub Šimon Jan Ryba. Die drei Solisten, die Sopranistin Hendrickje van Kerckhove als Bergère (Hirtin), der haute-contre Philippe Gagné als Berger (Hirt) und der Bass-Bariton Robbert Muuse als Une Voix/Un Mage (Eine Stimme/Ein Magier) begeistern mit frischen, jugendlichen Stimmen
Die Motette «Christe Redemptor» (Motettum a due voce pro Nativitatis Christe) ist ein Jugendwerk Gossecs. Entstanden um 1763 ist sie durch eine einfache Orchesterbehandlung und einen frühklassischen Gesangsstil geprägt. Die Solisten sind Philippe Gagné und Robbert Muuse.
Das Requiem «Messe des Morts» Gossecs ist ebenfalls ein Frühwerk Gossecs, hier aber nicht in ihrer originalen Fassung, sondern einer anonymen Bearbeitung aus der Sammlung von Abel Régibo (Manuskript heute in der Konservatoriums-Bibliothek zu Gent) eingespielt. Der anonyme Bearbeiter hat hier die Strukturen vereinfacht und die Besetzung reduziert. Dies gilt auch für die fünf eingefügten Teile (Dies irae, Recordare, Confutatis, Ora suplex und Lacrimosa) aus Joseph Haydns Stabat Mater Hob. XXa:1. Die Solisten, die Sopranistin Elisabeth Scholl, der Haute-contre Pascal Bertin, der Tenor Robert Getchell und der Bass Dirk Snellings, verleihen dem Werk mit ihren frischen Stimmen die würdige Atmosphäre.
Das Vokalensemble Ex Tempore (La Nativité, Requiem) wie auch Les Agrémens (Messe des Morts) und die Mannheimer Hofkapelle unter Leitung von Florian Heyerick musizieren hoch konzentriert und mit sattem Klang
Die Ausgrabung dieses «Pariser Klassikers» hat sich wahrhaft gelohnt!
08.02.2021, Jan Krobot/Zürich