Online Merker Logo

Die internationale Kulturplattform

CD FRANCO FACCIO: AMLETO – Dokument einer überaus gelungenen Ausgrabung und klugen Festspielpolitik

Live Mitschnitt aus den Festspielhaus Bregenz 2016, NAXOS

28.07.2019 | cd

CD FRANCO FACCIO: AMLETO – Dokument einer überaus gelungenen Ausgrabung und klugen Festspielpolitik, live Mitschnitt aus den Festspielhaus Bregenz 2016, NAXOS

 

Den 2016 aufgenommenen Bregenzer Filmmitschnitt dieses 1865 in Genua uraufgeführten Prunkstücks der italienischen Oper hat CMajor bereits 2017 als DVD und Blu-ray herausgebracht. Nun legt Naxos mit einer rein akustischen Publikation nach. Bar jeder Ablenkung durch Bilder bestätigt sich einmal mehr der Eindruck einer dramaturgisch, aber auch in ihrer musikalischen Dichte und melodischen Eingebung einzigartigen ,tragedia lirica‘ auf absoluter Augenhöhe mit den besten Verdi-Opern der mittleren Periode oder mit der zehn Jahre jüngeren Oper „La Gioconda“ von Ponchielli. Kein Geringerer als Arrigo Boito als die Kunstform der Oper erneuern wollender ,Scapigliato‘ ist der Librettist, dem wie später bei der Bearbeitung von Shakespeares  Otello für Verdi ein überaus poetischer, das Original grosso modo operntauglich nachzeichnender Wurf geglückt ist. Die künstlerische Gruppe aus der Lombardei mit Boito und Faccio wollte neben dem Kampf für die nationale Befreiungsbewegung das reale Leben zum neuen Maßstab erheben, sie  hielten neben einer Verbindung von Literatur, Musik und bildender Kunst eine libertinäre Lebensauffassung abseits bürgerlicher Normen und Religion für erstrebenswert. 

 

Bis zum Jahr 2002, wo die Partitur zu Amleto vom amerikanischen Dirigenten Anthony Barrese wiederentdeckt wurde, war Franco Faccio bloß musikhistorisch Interessierten als Dirigent bekannt, der u.a. die italienische Erstaufführung von Aida, die Uraufführung von Verdis Otello oder auch die it. Erstaufführung der „Meistersinger von Nürnberg“ leitete.

 

Paolo Carignani feiert mit den Wiener Symphonikern, dem Philharmonischen Chor Prag und einer exzellenten Solistenschar rund um den sich wie Giuseppe di Stefano verausgabenden tschechischen Tenor Pavel Černoch in der Titelpartie ein musikalisches Feuerwerk nach der kritischen Edition der Oper ab. Das startet mit dem rauschhaften Fest anlässlich der Krönung von Claudius zum dänischen König mit einem zynischen Trinklied sowie ekstatischem Tanz. Aber auch die Erscheinung des Geistes von Hamlets Vater, Hamlets Monolog „Essere e non essere“, die Duette mit Ofelia und Gertrude sowie die virtuos gestrickten Finali der Akte zwei und vier gehören zu den Höhepunkten nicht nur der Partitur, sondern einer auch durch und durch spannenden, Hochdramatik und scheffelweise Theaterblut atmenden Aufführung. 

 

Hamlet ist bei Boito und Faccio kein blass introvertiertes Weichei, sondern ein mutiger, passionierter Held mit einem Schuss Hysterie in vorgespieltem Wahn, der sich der ungeheuerlichen Ermordung seines königlichen Vaters durch seinen Onkel Claudius unter Mitwissen seiner Mutter Gertrude mit aller Kraft schicksalshaft entgegenstemmt. Die Aufführung der ,schrecklichen Ermordung König Gonzagas‘ bringt ans Licht, wie Claudius seinem Bruder Gift ins Ohr träufelt. Pavel Černoch singt die lange, Dramatik, jede Menge an hohe Noten und lyrische Versenkung gleichermaßen fordernde Partie mit seinem prächtigen Material samt Zinsen. Er schont sich stimmlich in keiner Minute, sondern taucht in all die Facetten des Titelhelden mit jeder Faser seines Wesens ein, was zur Faszination des Mitschnitts beiträgt. Nicht minder gut gewählt sind die Protagonistinnen der Ofelia und der Gertrude mit der vom Timbre her an die Freni erinnernden lyrischen  Koloratursopranistin Julia Maria Dan und dem deutschen Mezzo Dshamilja Kaiser. Die rumänische Sopranistin Dan, aktuell Mitglied des Solistenensembles der Semperoper in Dresden, singt die Rolle der Ofelia mit berührender lyrischer Innerlichkeit, aber ebenso mit alle Ensembles überragenden fulminant gepfefferten Höhen. Frau Kaiser verleiht der schuldbeladenen Mutter mit ihrer expressiven Intensität und der betörenden Wärme ihres Mezzosoprans eindrückliches Profil. Das Besetzungsbüro hat aber auch mit der Auswahl der sechs tiefen Männerstimmen ganze Arbeit geleistet. Die Baritone Claudio Sgura als Claudio, Bartosz Urbanowicz als Marcello sowie die Bässe Eduard Tsanga als Polonio, Sébastien Soulès als Orazio, Gianluca Buratto in den Rollen Geist und Priester, Yasushi Hirano als Erster Totengräber erweisen ihrer Zunft alle Ehre. In kleineren Rollen sind Paul Schweinester als Laertes, Jonathan Winell als Herold und König Gonzaga und Sabine Winter als Königin Giovanna zu hören. Memorabel sind hier nicht nur die Einzelleistungen, sondern auch der harmonische Zusammenklang in den Ensembles. 

 

Fazit: Eine musikhistorisch relevante Aufführung der Bregenzer Festspiele (wie 2010 der Aufführung der Oper „Die Passagierin“ von Mieczylaw Weinberg) in einer musikalisch und stimmlich rundum befriedigenden Wiedergabe. Wenn „Rigoletto“, „Un ballo in maschera“ oder „Mefistofele“ als repertoiretaugliche Standard-Opern gelten, sollte das für ,Amleto von Faccia allemal gelten. Pavel Černoch hat mit seiner unglaublichen Intensität die Latte für nachfolgende Interpreten hoch gelegt. 

 

Dr. Ingobert Waltenberger

 

Diese Seite drucken