CD: FRANCESCO VENTURINI: CONCERTI – la festa musicale, Anne Marie Harer / Mechthild Karkow
Musik aus dem Zentrum der Entwicklung des «gemischten Stils»
Um 1713 erschienen, was für jene Zeit ein seltenes Ereignis war, Francesco Venturinis (1675-1745) Concerti di camera, Op. 1 in Amsterdam im Druck. Wer war dieser Francesco Venturini, dessen Werk diese seltene Ehre zuteilwurde?
Über die Kindheit, Jugend und Ausbildung des anlässlich seiner Hochzeit am 13. Januar 1697 erstmals urkundlich erwähnten Francesco Venturini ist nichts bekannt. Der 1698 als Violinist ins hannoversche Hoforchester engagierte Venturini dürfte um 1675 in Brüssel geboren worden sein, was der Sobriquet “Bruxellensis” («aus Brüssel stammend») im Taufregister-Eintrag seiner Kinder vermuten lässt. Venturini muss als Musiker hochbegabt gewesen sein, denn das Hannoveraner Hoforchester zählte seit 1665, vor allem aber zwischen 1680 und 1714 zu den führenden Orchestern Europas. Musikerpersönlichkeiten wie Antonio Sartorio (1630-1680), Agostino Steffani (1654-1728) und Georg Friedrich Händel (1685-1759) prägten das musikalische Leben am Hof. War der Hof gesellschaftlich und sozial ursprünglich katholisch-italienisch geprägt, wandte er sich mit der Thronbesteigung von Ernst August von Braunschweig-Calenberg im Jahr 1679 der protestantisch-französischen Prägung zu. So kam Venturini am Hof in Stellung. Der Hof in Hannover wurde zu einem Zentrum der Entwicklung des «gemischten Stils», der Mischung der musikalischen Traditionen Italiens und Frankreichs, und spielte die zentrale Rolle in der Entwicklung der norddeutschen Barockmusik. Lag der Fokus unter Ernst August auf den jährlichen Opernproduktionen, wandte sich sein Sohn und Nachfolger Georg Ludwig, der 1714 als Georg I. den englischen Thron bestieg, der Instrumentalmusik zu. 1714 wurde Venturini als Nachfolger von Jean-Baptiste Farinel (1655-1720) Hofkapellmeister und blieb dies bis zu seinem Tod 1745.
Venturinis «Concerti di camera a 4-9 instromenti, Op. 1» umfassen 12 als Orchester-Suiten gestaltete Konzerte in unterschiedlichen Kombinationen von Streichern, Flöten, Oboen und Fagotten mit Basso continuo. Venturini setzt den gemischten Stil bis ins kleinste Detail um: die Konzerte mit ungeraden Nummern beginnen mit einer Ouvertüre im französischen Stil, die mit geraden Nummern mit einer Sinfonia im italienischen. Beide führen dann die Kombination französischer und italienischer Elemente fort.
Auf der vorliegenden CD sind drei der «Concerti di camera a 4-9 instromenti, Op. 1» eingespielt: No. 2 in a-Moll (I. Concerto. Allegro assai / Adagio, II. Canon. Andante, III. Passepied & Trio), No. 11 in B-Dur (I. Ouverture, II. Aria. Tempo giusto e affettuoso, III. Furies. Presto / Sarabanda. Cantabile, V. Gavotta, VI. Menuet I & II) und No. 9 in g-Moll (I. Ouverture. Adagio, II. Aria. Allegro, III. Aria. Affettuoso, IV. Aria. Mouvement de Gavotte, V. Menuet I & II). Zusätzlich eingespielt wurden die «Ouverture à 5 in e-Moll» (I. Ouverture. Adagio, II. Gavotte, III. Sarabanda, IV. Angloise & Trio, V. Rondeau, VI. Gigue) und das «Concerto à 6 in A-Dur» (I. Adagio. Allegro, II. Adagio, III. Allegro).
Venturinis Musik entspricht grundsätzlich den zeitgenössischen Mustern, ist aber, da kommen Arbeitgeber und Arbeitsort zur Geltung, ausserordentlich farbenfroh, lebendig und reich instrumentiert (z.B. orientalisierende Affekte).
Das Ensemble la festa musicale unter Leitung von Anne Marie Harer und Mechthild Karkow musiziert Venturinis Musik schlicht mustergültig.
Ein wahrhaft bereichernder Ausflug in die Musikgeschichte.
07.02.2021, Jan Krobot/Zürich