CD FRANCESCO GASPARINI „Arien für Alto“ – FILIPPO MINECCIA, Orchestra Nazionale Barocca dei Conservatori Italiani; Glossa
Manchmal ist es engagierten Plattenfirmen zu verdanken, dass großartige Musik den allem irdischen bestimmten, aber diametral umgekehrten Weg von fast Staub geworden zu prall rosigem Fleisch nimmt. Das frühe 18. Jahrhundert brachte eine Hochblüte nach der anderen im barocken Opernschaffen hervor. Venedig, Neapel, Rom. Aber die Musik eines Großteils der Komponisten wurde von den Werken Vivaldis und denjenigen der neapolitanischen Schule um Leonardo Vinci und Nicola Porpora verdrängt. Jetzt wird immer mehr von den vergessenen Juwelen aufgearbeitet, aufgeführt, aufgenommen und was das wichtigste ist, von Musikliebhabern rund um den Globus in tiefen Zügen genossen.
Dieser toskanische, damals eminent populäre Komponist Francesco Gasparini, war so fruchtbar wie Nilschlamm aus den Vulkangebieten Äthiopiens und arbeitsam wie ein ganzer Bienenschwarm, er hinterließ alleine 60 Opern. Das erste Bühnenwerk schrieb der Corelli- und Legrenzi-Schüler mit 15 Jahren. So richtig startete die Opern-Karriere des 1701 vierzigjährigen Allrounders aber mit seiner Position als Kapellmeister des Ospedale della Pietà in Venedig und als Kapellmeister von San Giovanni in Laterano durch. Daneben verfasste Gasparini aber auch unzählige Vokal,- Kammer, – Sakral- und Instrumentalwerke.
Im Vergleich dazu ist die Diskographie äußerst mager, aber qualitativ vom Feinsten. Dem spanischen Verlag Glossa ist es zu verdanken, dass es eine gediegene Gesamtaufnahme der Oper „Il Bajazet“ aus dem Jahr 2014 mit Leonardo de Lisi, Filippo Mineccia, Giuseppina Bridelli, Ewa Gubanska, den Auser Musici unter Carlo Ipata gibt. Letzeres Orchester und Dirigent haben 2016 dann noch eine Arien-CD mit Roberta Invernizzi nachgelegt.
Nun wird eine bereits 2019 in Rom aufgenommene CD mit dem Florentiner Countertenor Filippo Minecca veröffentlicht. Zu hören sind für Altstimme geschriebene Arien mit unterschiedlichem Affektgehalt des Francesco Gasparini aus den Opern „Engelberta“, „Eumene“, „Oracolo del Fato“, „Antioco“, „Ambleto“, „Il Tartaro nella Cina“, „Bajazet“ und „Erode“, aufgelockert durch eine „Sinfonia“ in F-Dur und Ausschnitten aus den berühmten Concerti Grossi von Arcangelo Corelli. Zwei Arien stammen aus Gasparinis Oratorium „La Penitenza gloriosa nella conversione di St. Maria Egiziaca“, eine Arie aus Padre Pier Jacopo Baccis „L’Umilità Gloriosa ovvero S. Andrea Corsini“.
Es ist ein abwechslungsreiches Programm entstanden, das uns Filippo Mineccia und das Orchestra Nazionale Barocca dei Conservatori Italiana unter Paolo Perrone genüsslich servieren. Langsame, expressive Lamenti oder arkadische Arien kontrastieren mit furiosen und kontrapunktisch zentrierten Stücken. Einen besonderen Platz nehmen die sogenannten „Wut-Arien“ ein wie ‚Verrò duo punitor‘ aus „Engelberta“, ‚D’ire armate il braccio forte‘ aus „Ambleto“ oder „No, non discende no‘ aus „Bajazet“.
Filippo Mineccia, ein arrivierter Countertenor mit einer beachtlichen Diskographie und ebensolchem Einsatz für nach wie vor vernachlässigtes Repertoire, verfügt über kein sämig-samtiges Timbre wie etwa Jaroussky noch eine üppig-androgyne obere Mittellage wie Cencic. Dafür beherrscht dieser echte Charakter-Alto die Kunst der ausdrucksbetonten Verzierung und der aus dem Sinngehalt des Textes in Klang anverwandelten Emotionen. Sehr gut funktionieren die untere Mittellage und das Legato, bei der Ansteuerung hoher Noten neigt Mineccia zu übermäßigen, etwas mulmigen Portamenti.
Insgesamt legt Mineccia mit diesen „Gasparini-Arien“ (darunter neun Weltersteinspielungen) ein reizvolles Album mit höchstem Repertoirewert und – temperamentvoll unterstützt vom Orchestra Nazionale Barocca dei Conservatori Italiani – auch ein leidenschaftliches Plädoyer für einen langsam an Kontur gewinnenden Komponisten der Achse Venedig-Rom im frühen 18. Jahrhundert vor.
Dr. Ingobert Waltenberger