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CD „Fra l’ombre e gl’orrori“ – NAHUEL DI PIERRO mit Arien und Szenen von MONTEVERDI, CAVALLI, SARTORIO, ZIANI, GIANNETTINI, BONONCINI, HÄNDEL, A. SCARLATTI und VIVALDI; Audax Records

08.12.2024 | cd, REISE und KULTUR

CD „Fra l’ombre e gl’orrori“ – NAHUEL DI PIERRO mit Arien und Szenen von MONTEVERDI, CAVALLI, SARTORIO, ZIANI, GIANNETTINI, BONONCINI, HÄNDEL, A. SCARLATTI und VIVALDI; Audax Records

Das Ensemble Diderot und Johannes Pramsohler begleiten dieses Album aus hundert Jahren Operngeschichte für Bass

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„Unser Wunsch war es, nicht nur die großen Arien des Barockrepertoires aufzunehmen, sondern auch die Lücke zu schließen, die zwischen Monteverdi und Händel, d.h. zwischen 1650 und 1700, zu klaffen scheint.“ Pramsohler

Jedes Album, wo Ensemble Diderot und Johannes Pramsohler draufsteht, ist ein Ereignis. Schon deshalb, weil Forschung und historische Informiertheit mit glühender interpretatorischer Lebendigkeit und einer stets versöhnlich wirkenden Humanität im Ausdruck, lyrische Introspektion mit theatralischer Pranke einhergehen und sich zu immer lichteren Gipfeln barockmusikalischer Kunstfertigkeit verbinden. Seit über 15 Jahren – 2008 gründete der umtriebige Südtiroler Geiger Johannes Pramsohler in Paris das nach Denis Diderot (mein persönlicher Lesetipp: „Jacques der Fatalist“) getaufte Ensemble – beglücken sie die barocke Musikszene mit originellen Programmen.

In der schon umfangreichen Diskografie des Ensembles finden sich kammermusikalische Raritäten bzw. Concerti vorwiegend aus dem 17. und 18. Jahrhundert, die selbst Spezialisten in Staunen versetzen. Die Liste der für uns entdeckten bzw. selten zu hörenden Tonsetzer und Komponistinnen ist lang und reicht von Johann Gottlieb Goldberg, Gerhard Diessener, Daniel Eberlin, Nicolaus Bruhns, Giovanni Battista Draghi, Pieter Hellendaal, Antonio Maria Montanari bis zur Prinzessin Anna Amalia von Preußen.

Das Interesse der exzellierenden Musiker und alles, was sie anfassen, in musikalisches Gold wandelnden Musiker mit Johannes Pramsohler (Violine) und Philippe Grisvard (Cembalo) an der Spitze, beschränkt sich nicht nur auf Instrumentalmusik, sondern reicht bis zu Spitzenwerken der Vokalmusik, wo wiederum der Entdecker- und Pioniergeist dieser Vollblutmusiker für umwerfende Hörerfahrungen sorgt. Ich möchte hier das großartige Kantatenalbum mit Musik von Giovanni Alberto Ristori, Vizekapellmeister unter Johann Adolf Hasse am Dresdner Hof, mit der Sopranistin Maria Savastano erwähnen.

Genauso gelungen ist das neueste Album mit dem argentinischen Bassisten Nahuel di Pierro.  In den tiefen und tiefsten Lagen begeistert di Pierro mit einzigartigen, sonor anthrazitfarbenen Klängen, in der Höhe hellt sein Bass ein wenig auf, ohne an Kern oder Kraft zu verlieren. Hören Sie etwa die Arie des Polifemo aus Händels „Aci, Galatea e Polifemo“ (mit einem tiefen D), die Arie des Claudio aus „Agrippina“ oder die triumphale Arie „Sibillar gli angui d’aletto‘ des Rinaldo aus Händels gleichnamiger Oper, um einen Eindruck von der unglaublich weit gespannten Tessitura des Sängers und seiner Fähigkeit, gewaltige Intervallsprünge oder Verzierungen exakt zu meistern, zu gewinnen.

Johannes Pramsohler verweist auf die Musikgeschichte, wenn er meint, dass die Musik, die Händel oder Scarlatti für ihre Bässe Giuseppe Maria Boschi, Antonio Montagnana oder Antonio Manna geschrieben haben, mit zum Schwierigsten gehört, was ein Sänger leisten kann.

Der im Belcantofach, den Opern Mozarts und Rossini genauso wie in der Alten Musik heimische di Pierro stellt in „Fra l’ombre e gl’orrori“ 13 meist virtuose Arien und Szenen vor, und das nicht nur von barocken Stars wie Monteverdi, Cavalli, Vivaldi, Bononcini und Händel, sondern auch von weniger bekannten Komponisten wie Marc‘ Antonio Ziani, Antonio Sartorio oder Antonio Giannettini. Insgesamt handelt es sich um ein Repertoire, „das dasjenige von den Anfängen der Oper bis zu ihrer Blüte im Hochbarock in den angesehensten Theatern von Venedig, Rom, Neapel, Wien, Paris und London durchquert.“

Das Album enthält überdies reine Instrumentalstücke, die die Entwicklung von einer kammermusikalischen Einzelbesetzung bis zum barocken Orchesterapparat nachzeichnen wollen. Die Sinfonia per introduzione del prologo aus Michelangelo Rossis Oper „Erminia sul Giordano“, die Sinfonia aus Marc‘ Antonio Zianis „Il duello d’amore e di vendetta“, die Ouvertüre zu Giovanni Bononcinis Oper „Il ritorno di Giulio Ceasare“ oder die Sinfonia aus Alessandro Scarlattis „La caduta de‘ decemviri“ mögen hier als passende Beispiele dienen.

Nahuel di Pierro meistert die bekannten wie die erstmals vorgestellten Stücke mit seiner virilen Prachtstimme, donnermächtig in ihrem heroischen Anspruch bis sinnlich-zart zurückgenommen, deklamatorisch bis arios, je nach darzustellendem Charakter, stets obertonreich und frei ausschwingend. Für einige der Figuren bringt di Pierro merklich seine enorme Bühnenerfahrung mit.

Johannes Pramsohler und das in unterschiedlicher Formation aufspielende Ensemble Diderot erweisen sich ein weiteres Mal als flexible Mitstreiter. Als charaktervoll und klangschön, mit jauchzendem Jubel und dunkler Dramatik, als insgesamt stilistisch faszinierend vielgestaltig erfreut sich die Bandbreite der Gestaltungen.

In der Szene des Seneca aus Claudio Monteverdis Oper „L’incoronazione di Poppea“ assistieren gekonnt Nicholas Scott (Tenor), Guillaume Gutierrez (Tenor) und Nicolas Brooymans (Bariton).    

Wenn Sie sich für das Album interessieren, sollten Sie sich das YoutubeVideo „In Conversation“ Nahuel Di Pierro & Johannes Pramsohler – „Fra l’ombre e gl’orrori“ nicht entgehen lassen. Link: https://www.youtube.com/watch?v=x2mOPH8UlxE

Spannend ist z.B. die Beobachtung des Nahuel di Pierro, dass dieses hochbarocke, aberwitzig virtuose Ausdrucksschreiben ganz auf das spezifische Können einzelner Sängerpersönlichkeiten zugeschnitten, als Vorläufer des Belcanto des 19 Jahrhunderts gelten darf.

Inhalt des Albums:

  • Michelangelo Rossi: Sinfonia zu „Erminia sul Giordano“
  • Claudio Monteverdi: Amici, e giunto l’hora aus“ L’incoronazione di Poppea“
  • Francesco Cavalli: Ma qual pungente arsura aus „Ercole amante“
  • Antonio Sartorio: ‚Selve amiche‘ aus „La Prosperità di Elio Seiano“
  • Marc‘ Antonio Ziani: Ritornello, ‚La fronte a quei superbi, All’armi, all’armi‘ aus „Alba Soggiogata da‘ Romani“ und die Sinfonia zu „Il Duello d’amore e di vendetta“
  • Antonio Giannettini: ‚Fra l’horror d’ombre terribili‘ aus „L’ingresso alla gioventù di Claudio Nerone“
  • Giovanni Bononcini: Sinfoia, ‚Si torno, o bella, Occhi belli, occhi possenti‘ aus „Il Ritorno di Giulio Cesare“
  • Georg Friedrich Händel: ‚Fra l’ombre e gl’orrori‘ aus „Aci, Galatea e Polifemo“; ‚Nella Britannia vinta, Cade il mondo‘ aus „Agrippina“; ‚O voi del mio poter, Sorge infausta una procella“ aus „Orlando“; Sibillar gli angui d’aletto‘ aus „Rinaldo“
  • Alessandro Scarlatti: Sinfonia zu „La caduta de‘ decemviri“,  ‚Trassi dal nulla il tutto, Dell’alba e dell’aurora‘ aus „La Gloria di primavera“
  • Antonio Vivaldi: ‚Se il cor guerriero‘ aus „Tito Manlio“; ‚Ah, sleale, a spergiura‘ aus „Orlando“.

Fazit: Grandioses Album, uneingeschränkte Empfehlung für Melomanen und barock musikalische Naschkater und -katzen.  

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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