CD „FORBIDDEN FRUIT“ – BENJAMIN APPL und JAMES BAILLIEU interpretieren Lieder, Balladen und Chansons von Fauré, Gurney, Wolf, Weill, Poulenc, Hahn, R. Strauss, Quilter, Debussy, Schönberg, Grieg, Casucci, Schumann, Hensel, Brühne, Heggie, Eisler, Schubert und Mahler; alpha
Sündig gut!
„Wir streben immer zum Verbotenen und begehren das, was uns versagt wird.“ Ovid. Unter dieses Motto stellt der junge deutsche Bariton Benjamin Appl seine neue Lied-CD. Verbotene Früchte, Adam und Eva, der Garten Eden und die Vertreibung aus dem Paradies. Rund um diesen Themenkreis blüht der Baum der Erkenntnis. Evas Kosten vom berühmten alttestamentarischen Apfel brachte religionsgeschichtlich Scham und Sünde über die Menschheit. Oder allgemeiner formuliert: Das Sehnen nach Grenzüberschreitungen welcher Art auch immer, sind gar mächtige Triebfedern, das schon manch Abenteurerherz mit dem Leben bezahlte. Der ewigen Unzufriedenheit mit immer neuen Rekorden, den schmerzhaften kognitiven Dissonanzen, dem steten Vordringen in immer neue Galaxien des Weltalls, der Meere oder der Technik (Stichwort KI) hält Benjamin Appl den Spiegel des vergleichsweisen sicher bescheidenen, dennoch wirksamen Rezepts von Musik und Poesie entgegen, die „oft einen Weg jenseits dieser ständig sich verschiebenden Grenzlinien zeigen.“
Das stilistisch weitläufige Programm schlägt einen lustvollen Bogen vom anonymen „Ich werde meiner Liebsten einen Apfel geben“, britischen Liedern eines Ivor Gurney und Roger Quilter über Kleinode des französischen Impressionismus (Poulenc: besonders witzig seine „Couplets bachiques“, Debussy), Salonmusik (Hahn), und deutschem Kunstlied (Strauss, Mahler, Schubert, Schumann, Wolf).
Lasziv-humorvolle Chansons von Arnold Schönberg „Arie aus dem Spiegel von Arcadien“ oder Lothar Brühnes „Kann denn Liebe Sünde sein“ zeigen eindrücklich die enorme Wandlungsfähigkeit von Benjamin Appl als Interpret. Einmal resch ironisch, kann er ebenso hinreißend schmachten, verführerisch gurren oder einfach spannende Geschichten erzählen.
Leonello Casuccis „Just a Gigolo“ – auf einen 1924 vom österreichischen Librettisten und Schlagertexter Julius Brammer im Berliner Hotel Adlon verfassten Text – lässt einen feschen österreichischen Husarenoffizier im Tangotakt als Gigolo bzw. Eintänzer sein Leben verdingen. Dass Edvard Griegs mit „To a Devil“ ein Lied schrieb, in dem er launig auf das Paradies pfeift, weil er sich etwas aus Teufeln macht, wenn sie sind wie du. („Der Herr soll sein Paradies behalten, auch seine Engel soll er für sich behalten.“) wird nicht nur mich überraschen.
In Jake Heggies „Snake“ (mit seiner Oper „Dead Man Walking“ feierte er in San Francisco und Houston große Erfolge) wird über die Sichtbarkeit von Verführung und den Geschmack der verbotenen Frucht (süß, sauer, salzig, bitter in einem Miasma an Luft, Fäulnis, Erde und Wasser) sinniert. Das ungewöhnlichste Stück kommt von Hanns Eisler, der in der „Ballade vom Paragraphen 218“ – es geht um Abtreibungen wohnungs- und mittelloser Frauen, die in Deutschland Ende der 1920-er Jahre mit knapp einer Million Rekordwerte erreichte – wo der Arzt final zynisch rät: „Seien Sie mal‘ ne nette kleine Mutter und schaffen ein Stück Kanonenfutter. Dazu ham Sie’n Bauch und das müssen Sie auch. Und das wissen Sie auch. Und jetzt keinen Stuss.“
Klar, dass in dem kontrastreichen Programm auch die Romantik nicht zu kurz kommt: Besonders überzeugen die Hugo Wolf Vertonungen „Ganymed“, „An die Geliebte“ sowie „Und willst du deinen Liebsten sterben sehen“. Reines Seelenfutter in außergewöhnlich markanter Diktion (daran erkennen wir den Fischer-Dieskau Schüler) bieten Franz Schuberts „Heidenröslein“ und „Gretchen am Spinnrad“. Das Album schließt mit Gustav Mahlers kosmischem „Urlicht“ in der bewegenden Hoffnung auf Erlösung. „Das Urlicht ist das Fragen und Ringen der Seele um Gott und um die eigene göttliche Existenz.“ Mahler
Biblische Sätze aus dem Buch Genesis (in englischer Sprache) verbinden die einzelnen Lieder. James Baillieu erweist sich als wissender und einfühlsamer Klavierbegleiter, der mit hörbarer Freude an der abwechslungsreichen Zusammenstellung einen guten Anteil am Gelingen dieser verlockend sündigen CD hat.
Dr. Ingobert Waltenberger