CD FLOREZ ZARZUELA – Schwungvoller Start in das Eigenlabel des peruanischen Tenors; Florez Records
Der in Peru geborene Tenor Juan Diego Flórez ist ein Phänomen. Der 50-jährige lyrische Tenor, der sich vorsichtig und peu á peu ein wenig in dramatischere Gefilde bewegt (Hoffmann, Pollione), hat in den knapp 30 Jahren seiner Karriere nichts an Strahl, an Leichtigkeit, an Wahnsinns-Höhe, an Bravour und Beweglichkeit seiner hell timbrierten Stimme mit nach wie vor jugendlichem Schmelz und Draufgängertum verloren. Im Gegenteil: In der Mittellage hat sein ausdrucksstarker Tenor an Wärme, Farben und Gestaltungsmöglichkeiten hinzugewonnen. Er ist einer der ganz wenigen Sänger, der mich noch nie enttäuscht hat. Sein Name auf einem Besetzungszettel bedeutet eine „sichere Bank“.
Florez kann neben einer grandiosen Atemtechnik, einem perfekten Stimmsitz und Bühnencharisma auch noch auf eine schlafwandlerische Musikalität verweisen. Sein Vortrag gibt trotz glühender Passion (seine Decrescendi sind Legende) niemals etwas von seiner stilistischen Eleganz und der schlanken Stimmführung preis. Florez‘ Rollenporträts romantischer Belkantohelden aus dem Opernschaffen vor allem von Rossini, Donizetti und Bellini zählen zum Feinsten, was es in diesem Fach gab und gibt.
Nun hat der Tenor, um in seinen Aufnahmeprojekten flexibel und gänzlich eigenbestimmt zu sein, das Label Florez Records gegründet. Als Einstand hat sich Florez eine Platte mit Zarzuelas gewünscht, also mit Canzonen aus jenen spanischsprachigen Operetten, die in unseren Breiten wenig bekannt und noch weniger auf der Bühne zu finden sind. Aber nicht nur das ist beachtlich und steigert das Interesse. Als Hommage an seine Heimatstadt Lima und zur Unterstreichung der Bedeutung eines bedeutenden musikalisch-sozialen Projekts hat Florez das Jugendorchester und den Chor von Sinfonía por el Peru unter der Leitung von Guillermo García Calvo als Begleitung und für ein temperamentvolles Intermedio aus Gerónimo Giménez‘ „La Boda de Luis Alonso“ engagiert. Sínfonia de Peru will die Lebensbedingungen peruanischer Kinder und Jugendlicher durch kollektives Musizieren verbessern und mit der entsprechenden Ausbildung taugliche Lebensgrundlagen für sie schaffen.
Florez‘ Vorliebe für die Gattung der Zarzuela geht auf seine Jugend zurück. Sein Vater Rubén war ein peruanischer Volkssänger und Juan Diego versuchte sich als junger Musiker in der Komposition von populären Songs und Balladen. Als Chorist wurden ihm in der Schule kleine Solos in Zarzuela-Szenen anvertraut. Nach ersten Gesangsstunden bei seinem Musiklehrer Genaro Chumpitazi absolvierte Juan Diego Florez das nationale Konservatorium in Lima und gehörte drei Jahre lang dem Coro Nacional del Peru an. Ergänzende Studien am Curtis Institute of Music in Philadelphia folgten.
Luis Alva lud den damals 19-Jährigen ein, eine kleine Rolle in der Zarzuela „Luisa Fernanda“ zu übernehmen. Natürlich hat Florez den Hit ‚De este apacible rincón de Madrid‘ aus dieser, wohl einer der bekanntesten Zarzuelas von Federico Moreno Torroba in das Programm des Albums aufgenommen. Seither hat er in seinen Konzerten weltweit zahlreiche Romanzen aus Zarzuelas gesungen. Wie er selbst im Booklet sagt, ist es eine der raren Gelegenheiten für einen spanischen oder lateinamerikanischen Tenor, in seiner Muttersprache zu singen.
Die Kunstform der Zarzuela als musiktheatralischer Mix aus gesprochenen Dialogen und Gesang geht auf das 17. Jahrhundert zurück. Damals waren es höfische Singspiele, deren Plot von literarischen Größen wie Pedro Calderón de la Barca stammen. Auf dem Weg in und durch das 19. Jahrhundert kamen zur spanischen Folklore Einflüsse der italienischen Oper, Richard Wagners, aber auch populären Musikströmungen hinzu. Die Schauplätze der Zarzuelas beschränkten sich nicht auf Spanien, sondern wir finden auch solche, die in Kuba, Mexiko oder sogar den Philippinen spielen. Auf dem Album hören wir Ausschnitte aus Zarzuelas mit Geschichten aus den spanischen Regionen Aragon, Asturien, Cadiz, Estremadura, Maestrazgo, Navarra und der imaginären Stadt Cantabreda.
Die Zarzuelas des Albums stammen aus der „goldenen“ Zeit zwischen 1884 („El milagro de la virgen“ von Ruperto Chapì) und 1936 („La tabernera sel puerto“ von Pablo Sorozábal). In den ausgewählten Stücken u.a. von José Serrano („El trust de los tenorios“, „La alegría del batallón“, „Alma de dios“), Pablo Luna „La Pícara molinera“), Rafael Calleja & Tomás Barrera („Emigrantes“) oder Amadeo Vives („Dona Francisquita“ nach Lope de Vegas „La discreta enamorada“) sorgen tänzerische Rhythmen wie Flamenco, der tripeltaktige Jota, kreolische Melodien oder nostalgische Märsche für Lokalkolorit bzw. für prickelnde Atmosphäre.
Florez ist nichts weniger als der ideale Interpret für diese Art von Musik, die Temperament und Romantik, Virtuosität und lange Kantilenen gleichermaßen fordert. Da darf er in Liebesdingen schmachten, Jotas schmettern oder die Wanderschaft preisen („Canción del vagabundo‘). Mit der Sinfonia por el Peru (Orchester und Chor) erleben wir engagierte Mitstreiter, die die Begeisterung für das solitäre Projekt erst auf jene Hitzegrade heben, die ein packend-gesamthaftes Hörerlebnis sichern. Fazit: Traumhaft schön.
Top-Empfehlung!
Tipp: Auch Sopranistinnen reüssieren in der Gattung: Lisette Oropesa wird Ende Oktober ihr Zarzuela Album „Mis amores son las flores“ bei Euroarts vorstellen.
Dr. Ingobert Waltenberger