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CD FLORENT SCHMITT: LA TRAGÉDIE DE SALOMÉ -erste Version von 1907; Alain Altinoglu dirigiert das hr Sinfonieorchester Frankfurt; alpha

21.05.2024 | cd

CD FLORENT SCHMITT: LA TRAGÉDIE DE SALOMÉ -erste Version von 1907; Alain Altinoglu dirigiert das hr Sinfonieorchester Frankfurt; alpha

„God, how fine it is! It is one of the greatest masterpieces of modern music.“ Stravinsky 1912

schmit

Tropisch schwüle Jahrhundertwendemusik: Wer kennt sie nicht, die Geschichte der Salome, jung verdorbene Prinzessin mit Tanzbegabung und sonderbaren Gelüsten nach dem abgeschlagenen Kopf des Johannes des Täufers, an dem sie dann auch noch oral vergeht. Ein Freundschaftsbussi war ihr fataler Kuss sicher nicht.

Die Pariser Erstaufführung des blutrünstigen Einakters von Richard Strauss fand im Mai 1907 im Théâtre du Châtelet statt, und zwar in deutscher Sprache und nicht in der von Strauss selbst ab 1905 eingerichteten „französischen Fassung“. Dabei wurde Oscar Wildes gleichnamiges Drama am 11. Februar 1896 in Paris und auf Französisch aus der Taufe gehoben.

Der 1870 aus Blamont/Lothringen stammende Komponist Florent Schmitt, am Conservatoire de Paris unter anderen bei Jules Massenet und Gabriel Fauré ausgebildet, erhielt den Kompositionsauftrag zu seiner „Tragédie de Salomé“ von Robert d’Humières, dem Chef des winzigen Théâtre des Arts. Im August 1907 begann Schmitt mit den Arbeiten. Im November 1907, also etwa ein halbes Jahr nach der Oper „Salome“, fand die Uraufführung des Mimodramas „La Tragédie de Salomé“  mit dem Dirigenten Désiré-Émile Inghelbrecht und der amerikanischen Tänzerin Loïe Fuller statt. Da der Platz für ein Orchester im kleinen Theater äußerst beschränkt war, musste sich Schmitt mit einem Klangkörper von etwa 20 Personen begnügen. 1911 adaptierte Schmitt das Werk für großes Orchester und widmete diese Version Igor Stravinsky. Weit mehr als die Hälfte der Musik musste bei dieser Adaption jedoch ihre stolzen Federn lassen.

Ob sich Schmitt von eindrücklichen Reiseerlebnissen in orientalische Länder inspirieren ließ, speziell von einem in der Türkei erlebten Tanz der „Heulenden Derwische“, gehört zu den Anekdoten um das Stück. Sicher ist, dass er das biblische Element zugunsten ausgedehnter Naturstimmungen schwinden ließ.

Die Klangsprache Schmitts ist genuin französisch, bisweilen überwältigend monumental in orchestralem CinemaScope. Das (fast) stumme Drama in sieben Bildern samt den Tänzen der Salomé (Tanz der Perlen, Tanz des Pfaus, Schlangentanz, Tanz des Bogenschützen, Tanz des Blitzes, Tanz der sieben Schleier, Tanz des Schreckens) schöpfen aus fließenden Orchesterstimmungsbildern, die ähnlich wie Debussys sinfonische Skizzen „La Mer“ sich ungeachtet ihrer farbigen Abstraktion auf konkrete lautmalerische Wirkungen berufen. Wir erleben instrumentale Licht- und Schattenspiele in irisierend-schlierende bis brutalistische choreografische Episoden unterteilt, von Posaune, ersten und zweiten Violinen und Klarinette näher charakterisiert. Diese Instrumente stehen nämlich als klanglich zuordenbare Marker für die Auftritte von Johannes, Herodes, Salome und Herodias.

Wie im Stummfilm kristallisieren sich die orchestralen Wogen und stets sich wandelnden rhythmischen Strukturen in einer starken „mimisch expressiven Komponente“, um Charaktereigenschaften der handelnden Personen zu verdeutlichen.

Die Handlung unterscheidet sich erheblich von derjenigen in R. Strauss Oper, wenngleich die Konstellation der Figuren zueinander doch sehr ähnlich ist. Salome spielt tänzerisch raffiniert mit ihrer erotischen Ausstrahlung zuerst knapp perlengeschmückt, beim Bankett in einem berauschenden Federkleid und als Höhepunkt mit zwei giftigen Kobras um den Hals gegenüber dem Stiefvater Herodes. Herodias denkt, dies politisch ränkeschmiedend für sich nutzen zu können. Ein Unwetter samt blitzgrellem Himmel unterbricht die „idyllische“ Party. Aus dem Toten Meer steigen fluoreszierende Lichter, Trümmer der untergegangenen Stadt Pentapolis sowie gestikulierende Tote an die Oberfläche. Die einsame Stimme Aischas (Ambur Braid Sopran) erklingt in wortlos ornamentiven Melismen (Chant d’Aïça). In Silber gehüllt tanzt Salome zu den Blitzen. Von Donner begleitet färbt sich die Atmosphäre ins rot-dämonische Dunkel, gleitet ins mystisch Tödliche. Beinahe vor dem Ende des Tanzes des sieben Schleier, rast Herodes auf Salome zu und will dem Mädchen den letzten Schleier entreißen. Johannes bedeckt ihren Körper mit seinem Mantel. Herodias ruft den Scharfrichter. Den abgeschlagenen Kopf des Propheten küsst Salome aber nicht, sondern schleudert ihn angeekelt ins Meer, das wie der Kopf des Johannes blutrot anschwillt. Salome wird wahnsinnig. Als finale Szenerie mit der Küste von Moab und dem lavaspeienden Berg Nebo als Hintergrund verschlingt die Natur Palast und Terrasse.

Dirigent Alain Altinoglu, seit 2021/2022 Chefdirigent des hr-Sinfonieorchesters Frankfurt, hat sich für die vorliegende Aufnahme für die erste Version aus dem Jahr 1907 entschieden. Tatsächlich hat im Vergleich zu der späteren Kurzversion für großes Orchester (nachzuhören etwa auf dem Album mit dem Orchestre Philharmonique de Radio France unter Marek Janowski – Label apex) die Einschränkung dazu geführt, dass Schmitt mit noch größerem Einfallsreichtum und detaillierter Feinzeichnung an die Orchestrierung gegangen ist. Die Musiker des hr Sinfonieorchesters Frankfurt in Kammerbesetzung machen gehörig Effekt und können die sinnlich vibrierende, dekadente Atmosphäre auf der Terrasse des über dem Toten Meer gelegenen Palasts des Herodes in geheimnisvoll impressionistischen Klangflächen höchst anschaulich und atmosphärisch dicht wiedergeben. Die Naturschilderungen wandelt Altinoglu zu klangüppigen akustischen Gemälden. In schwelgerischer Magie lässt er das ganze Kaleidoskop an sich stets verdüsternden Szenen quasi filmmusikalische Gestalt annehmen. Eindrucksvoll.

Als Ergänzung hören wir den „Chant Élégiaque“. Das ursprünglich für Violoncello und Klavier geschrieben Stück hat Schmitt 1911 orchestriert. Auch hier erweisen sich Dirigent und Orchester als engagierte Anwälte einer kunstvoll eingerichteten Partitur, die ihrem künstlerischen Wert nach in Nichts den berühmteren Stücken Debussys oder Faurés nachsteht.

Empfehlung!

Dr. Ingobert Waltenberger

 

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